Zwei Leben für die Kunst

Baselitz und Beuys, Christo und Richter, Palermo, Polke und Warhol – Angelika Platen hat sie zu Beginn ihrer Weltkarriere fotografiert. Über Jahrzehnte schaute die gebürtige Heidelbergerin auf die Menschen hinter der Kunst und entwickelte dabei einen individuellen Stil, der bis ins Jetzt fasziniert.

ES SIND DIE SECHZIGER, als Angelika Platen ihre lebenslange Liebe zur bildenden Kunst für sich entdeckt. Inmitten der bundesrepublikanischen Aufbruchstimmung, die in der Welt der Kultur ihre Spuren hinterlassen wird, beginnt Platen, auf Ausstellungen und Kunstmessen zeitgenössische Künstler zu fotografieren, die später einmal Ikonen sein werden. Auch als Platen, zu dieser Zeit in erster Ehe verheiratet, Mutter wird, fotografiert sie weiter, zunächst in erster Linie dokumentarisch. So gelingt es ihr 1970 festzuhalten, wie Joseph Beuys, Klaus Staeck und Wolf Vostell gegen den elitären „Kunstmarkt Köln“ protestieren, während der Kunsthändler Rudolf Zwirner vor ihnen die Tür von innen verschließt.

ANFANG DER SIEBZIGER, als die jungen Kunstrebellen – zu jener Zeit fotografiert Platen vor allem Männer – langsam, aber sicher bekannter werden, vereinbart Platen immer mehr Atelierbesuche. Damals ein Leichtes: Telefonisch wird ein Termin ausgemacht, und man trifft sich – so entstanden viele jener Fotos, die den Geist der Porträtierten unaufdringlich und elegant einfangen. Gerhard Richter sitzt vor seinen Sylter Wolken und schaut in die Ferne, Sigmar Polke streckt der Kamera die Zunge im Spiegel entgegen, Platen ist selbst mit im Bild. Der Künstler vor seiner Arbeit und das Quasi-Selbstporträt der Fotokünstlerin im Spiegel mit ihren „eigentlichen“ Subjekten sind Stilmittel, die die Fotografin in den Siebzigern häufig benutzt. Sie betreut die Zeit-Rubrik „Kunst als Ware“ und leitet von 1972 bis 1975 die Galerie Gunter Sachs in Hamburg, bekommt zwei Töchter und kämpft lange dafür, sie auf Ausstellungen und zum Job mitnehmen zu können. Allen Erfolgen zum Trotz beendet Platen Ende der Siebziger ihre gut laufende Karriere als Fotografin, Journalistin und Kuratorin und zieht nach Paris – zu ihrem zweiten Ehemann. Ohne Kontakte in der Kunstszene Frankreichs und mit der dritten Tochter auf dem Weg entscheidet sich Angelika Platen dafür, in der Firma ihres Mannes zu arbeiten. Ihre erste Werkphase, ihr erstes Leben für die Kunst ist vorüber.

IHR ZWEITES LEBEN ALS FOTOGRAFIN begann zwei Jahrzehnte später. Mittlerweile war Platen zurück nach Deutschland gegangen, hatte in einem langjährigen Freund, dem Publizisten und Kulturjournalisten Günter Engelhard, ihren dritten Gefährten gefunden, mit dem sie bis an dessen Lebensende zusammenlebte, und begann, die Fotografie neu für sich zu entdecken. Statt wie in den Siebzigern ausschließlich schwarz-weiß zu arbeiten und lange auf das eine, das richtige Bild zu warten, stellte Platen auf die Digitalfotografie um. Die Technik beeinflusste selbstverständlich ihr künstlerisches Denken, auch wenn ihr exzellentes Gespür für Raum und Perspektive weiterhin dasselbe blieb – und ihr Talent, Menschen durch einfühlsame Gespräche dazu zu bringen, sich ihr zu öffnen.

WAS SICH EBENSO NICHT ÄNDERTE: Angelika Platens glühendes Interesse für jene Personen, die mit ihrer künstlerischen Arbeit Einfluss darauf nehmen, wie Menschen auf die Welt blicken. Diesmal gerieten Jeff Koons, Neo Rauch, Thomas Struth oder Marina Abramovic´ in ihren Fokus. Und noch mehr: Mit Aufkommen der MeToo-Bewegung fotografierte Platen eine Zeit lang ausschließlich Frauen und setzte dabei verstärkt auf den jungen Künstlerinnennachwuchs. Das Ergebnis: der 2021 erschienene Hatje-Cantz-Bildband „Meine Frauen“, in dem ihre Porträts von mehr als 100 Künstlerinnen zu sehen sind, Aufnahmen von 1970 bis heute. Erstmals waren ihre beiden Werkphasen in einem Buch vereint.

SEIT DEM BEGINN IHRER KARRIERE IN DEN SIEBZIGERN hat Angelika Platen in zahlreichen Galerien und Museen in Deutschland, dem europäischen Ausland und den USA ausgestellt, mehrere Monografien veröffentlicht und sich so als eine der wichtigsten Fotografinnen Deutschlands etabliert. Das Werk der 1942 Geborenen macht neugierig, wer die Menschen hinter den porträtierten Künstlerinnen sind, deren Arbeiten in kleinen und großen Ausstellungshäusern präsentiert werden. Um das zu untermauern, arbeitet sie an einer neuen Monografie, die im Laufe des Jahres erscheinen soll. Ein Glück, schließlich ist das Gesamtwerk von Angelika Platen wunderbares Anschauungsmaterial zum Verständnis der vergangenen 50 Jahre.

Text: Golo Friedel
Foto: © Angelika Platen, © Gerhard Kassner
Datum: März 2024

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