Die Stadt als Ausstellungsobjekt

Ein Labor für zukünftige Stadtentwicklung: Berlins Chance zur nachhaltigen Transformation ist mehr als eine Vision für die Expo 2035. Doch es braucht Mut, diesen Weg zu gehen.

WENN IN DEN VERGANGENEN JAHRZEHNTEN die ganze Welt anlässlich einer Ausstellung in einem Land zu Gast war, dann sorgte das stets für großes Aufsehen. Orte wurden transformiert, und Projekte rundherum hinterließen dauerhaft Spuren. Weltausstellungen können zudem wahre Publikumserfolge sein. So zog die Expo 2010 in Schanghai 73 Millionen Besucherinnen in die Stadt – ein Rekord. Ein Blick auf die letzte Weltausstellung in Deutschland, die Expo 2000 in Hannover, zeigt jedoch, dass das Megaevent auch zu einem finanziellen Reinfall werden kann, beispielsweise aufgrund geringer Besucherzahlen. Hinzu kommen die enormen Kosten, die vor allem die Investitionen in die Infrastruktur verursachen. Anlässlich der Expo in Schanghai wurden umgerechnet rund 23 Milliarden Euro für Projekte wie neue Flughafenterminals, Straßen, Brücken, U-Bahn-Linien oder Parks ausgegeben. Auch die Ausgaben für die Expos selbst erreichen leicht Milliardenhöhe – jüngst stiegen die prognostizierten Kosten für die Expo 2025 in Osaka auf 1,5 Milliarden Euro. Für die Gestaltung des Ausstellungsgeländes der Expo 2020 in Dubai ließ das Gastgeberland gar sieben Milliarden Euro springen. Was lässt sich aus solchen Erfahrungen für zukünftige Expos lernen? Und wie müsste ein Konzept aussehen, das zu Berlin passt und die Stadt nachhaltig voranbringt?

WAS BLEIBT VON EINER EXPO? DAS ARCHITEKTONISCHE ERBE DER WELTAUSSTELLUNGEN
Wie erstrebenswert ist es, die Expo 2035 in Berlin auszurichten? Vieles steht und fällt mit der Frage, was am Ende von solch einem Projekt bleibt. Die Geschichte der Weltausstellungen ist reich an illustrativen Beispielen, wie dieses Erbe aussehen kann. Mit dem Kristallpalast schuf der britische Architekt Joseph Paxton das Aushängeschild der ersten Weltausstellung 1851 in London. Das Glasgebäude galt als technisches Meisterwerk und begründete einen neuen Gebäudetypus. Es steht jedoch auch für eine ganze Reihe architektonischer Expo-Werke, die heute nicht mehr existieren: Der Kristallpalast wurde 1936 bei einem Brand zerstört, und auch von der Rekord-Expo 2010 in Schanghai ist heute nicht mehr viel zu sehen. Das ist die eine Seite der Medaille. Doch im Zuge von Weltausstellungen entstanden auch Bauwerke, die zum Wahrzeichen ihrer Stadt wurden: der Eiffelturm in Paris, das Atomium in Brüssel, die Space Needle in Seattle oder der Arc de Triomf in Barcelona. Wie könnte ein solch visionäres Bauwerk in Berlin aussehen? Benötigt Berlin überhaupt ein weiteres Wahrzeichen neben Fernsehturm, Brandenburger Tor, Siegessäule, Gedächtniskirche, Reichstag und Dom – um nur einige zu nennen? Oder ein weiteres Maskottchen neben dem in der Stadt omnipräsenten Bären? Vielleicht braucht es für eine Stadt wie Berlin auch in dieser Hinsicht ganz neue Denkansätze.

DER RICHTIGE ZEITPUNKT FÜR DIE DEBATTE ÜBER BERLINS EXPO-BEWERBUNG IST JETZT
Auf den ersten Blick scheint die derzeit Fahrt aufnehmende Debatte rund um die Bewerbung für die Expo 2035 etwas verfrüht. Bei genauerer Betrachtung könnte der Zeitpunkt für die Diskussion jedoch besser nicht sein. Zunächst, weil die – zum Teil durchaus berechtigten – Bedenken frühzeitig geäußert und im Vorfeld ausgeräumt werden müssen. Angesichts der ernüchternden Erfahrungen bei der Umsetzung von Großprojekten wie dem Flughafen BER oder dem Bahnhof Stuttgart 21 kann es nicht überraschen, dass die Kritik an den Bewerbungen für die Expo 2035 und auch für Olympia 2036 in Berlin bereits in diese Richtung zielen. Hinzu kommen Zweifel, ob angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Gesamtlage, der Haushaltskrise, der baufälligen Infrastruktur, bürokratischer Hürden oder der anhaltenden Wohnungsnot die Bewerbung um solche internationalen Großereignisse sinnvoll ist. Damit eng verknüpft ist die Frage nach dem konkreten Konzept sowie dem Zeitplan und der Umsetzung. Schließlich muss die gesamte Infrastruktur der Stadt auf den potenziellen Ansturm von Millionen zusätzlichen Besuchern vorbereitet werden. Hier zählt jedes Jahr. Auch ohne Expo belaufen sich die geschätzten Kosten für die Modernisierung der Berliner Verkehrsinfrastruktur auf mehrere Milliarden Euro.

VISION FÜR EINE EXPO AN DER SPREE JENSEITS DER REINEN MACHBARKEIT
Die Frage nach der bloßen Machbarkeit ist aber nur das eine. Bei der Erörterung von Pro und Kontra ist es entscheidend zu zeigen, ob und wie sich die Expo 2035 positiv auf die oben genannten Themenfelder auswirken würde. Insbesondere aus Wirtschaft und Industrie sind bereits optimistische Stimmen zu vernehmen, etwa die von Robert Rückel, Vizepräsident der Industrie- und Handelskammer Berlin. Er sieht vor allem Chancen für Innovation und Investition in die nachhaltige Transformation der Stadt. Auch Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey betont, dass die Bewerbung um die Weltausstellung in Berlin mit den Zukunftsfragen der Stadtentwicklung verknüpft werden muss. Denn der Investitionsbedarf ist in vielen Bereichen immens: angefangen beim Bildungssystem mit seinen maroden Schulen und Hochschulen über die Verkehrsinfrastruktur und fehlenden Wohnraum bis hin zur notwendigen Digitalisierung der Verwaltung und nachhaltigen Transformation der Stadt. Gerade beim Thema nachhaltige und klimaneutrale Stadtentwicklung besteht die Chance, neue, eigene Wege zu gehen und das zu machen, was Berlin auszeichnet: mutig experimentieren, Gegensätze zulassen und vereinen sowie Raum für Kreativität schaffen. Vielleicht braucht Berlin genau das – die Idee einer Expo kann ungeahnte Kräfte freisetzen und dabei helfen, bürokratische Hürden abzubauen und Fachkräfte anzuziehen.

ZUM ERSTEN KONZEPT FÜR DIE EXPO 2035 IN BERLIN Die ersten Konzeptvorschläge zielen darauf ab, Berlin als innovative und nachhaltige Weltmetropole zu positionieren. Nach dem Motto „Ganz Berlin eine Weltausstellung“ stellt sich der Verein Global Goals Berlin die Stadt als eine „Drehscheibe globaler Kreativität und Innovation“ vor. Ein thematischer Schwerpunkt soll dabei auf der Umsetzung der Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen bis 2035 liegen, wodurch Berlin zum Vorreiter der globalen Nachhaltigkeitsbewegung würde und langfristig profitieren könnte. Anstatt ein eigenes Ausstellungsgelände zu schaffen, sollte die Expo als dezentrales Ereignis konzipiert werden. Schon die Expo 2000 in Hannover verfolgte teilweise diesen Ansatz. Zwar gab es damals ein dezidiertes Expo-Gelände in Hannover, einzelne Projekte waren aber auf Standorte in der Stadt, der Region und sogar bis Berlin verteilt. Eine aufgesplittete Organisation der Expo bietet zudem die Möglichkeit, lokale Communitys einzubeziehen und dort eine langfristige Entwicklung zu fördern. Durch die dezentrale Ausrichtung würden Bereiche in den Fokus rücken, die ansonsten außen vor blieben. Die Stadt würde zum Labor für nachhaltige Stadtentwicklung werden – und Berlin selbst zum Ausstellungsobjekt. Welche konkreten Auswirkungen ein solcher Ansatz hätte, zeigt sich allein im Bereich Mobilität: Um Millionen Besucherinnen einer dezentralen Expo zu den in der Stadt verteilten Ausstellungsorten und Pavillons zu bringen, müsste das aktuelle Mobilitätskonzept auf den Prüfstand gestellt und zukunftsfähig gemacht werden. Damit eröffnet sich zugleich die Chance, eine Lösung für den Stadtverkehr zu finden, die weit über 2035 hinausweisen und wirken würde.

QUO VADIS, BERLIN? Weltausstellungen waren von Beginn an internationale Megaevents, die die ganze Welt an einem Ort vereinen. Wie sehr die inszenierte Weltbühne vom Gastgeberland als Werbekampagne genutzt wurde, zeigte sich ebenfalls schon früh. Eine der ersten Weltausstellungen, ausgetragen 1873 in Wien, sollte nicht zuletzt dazu dienen, den damals angeschlagenen Ruf Österreichs auf der internationalen Bühne zu verbessern. Auch zeitgenössische Weltausstellungen wie die kleine Expo in Kasachstan im Jahr 2017 verfolgten ähnliche Zwecke. Insofern muss die zentrale Frage lauten: Welchem übergeordneten Ziel kann eine Expo an der Spree dienen, und welches Image soll dabei präsentiert werden? Will Berlin sich hier als nachhaltige Metropole der Zukunft zeigen – oder es bis dahin werden? Berlin hätte nicht nur die Chance, die Bühne für die Expo 2035 zu bieten, sondern auch selbst zum strahlenden Ausstellungsobjekt und dabei, ganz nebenbei, zukunftsfest zu werden.

Text: Christian Schön + Illustration Carolin Eitel
Fotos: © Carolin Eitel, © Carolin Eitel
Datum: März 2024

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