Der neue Kick beim Konsum

Sharing Economy, Recycling, Secondhand, Fair Trade, Leihen statt Kaufen, Nachhaltigkeit – all diese Schlagworte haben eines gemeinsam: Sie zeigen, wie sich das Kaufverhalten vieler Menschen in den vergangenen Jahren gewandelt hat. Wer gewinnt dabei – und wie können Unternehmen sich auf die Veränderungen einstellen?

KAUFEN MACHT GLÜCKLICH – zumindest für einen Moment. Denn länger hält der Kaufkick nicht an. Aber gilt diese Erkenntnis überhaupt noch in einer Welt, in der viele Menschen ahnen oder wissen, dass ihre Kaufentscheidung sich negativ auf Umwelt, Klima und das Leben von Menschen in ärmeren Ländern auswirken könnte?
Das Steak auf dem Teller? Um Tierfutter anbauen zu können, wurde dafür womöglich Regenwald abgeholzt. Das T-Shirt in der Boutique ist zwar schick, wurde aber vielleicht von jungen Mädchen in Bangladesch unter unmenschlichen Bedingungen genäht. Und beim Abbau von Metallen der seltenen Erden für unsere Handys leiden oft sowohl Umwelt als auch Menschen. Ob Kaffee, Jeans, Fernreisen, Tee, Sneaker, Schokocreme oder Fernseher – die Zahl der Produkte und Dienstleistungen, die ethisch oder ökologisch problematisch sein können, ist groß. Von Ernährung über Kleidung und Mobilität bis hin zu Reisen, Wohnen und Arbeiten fragen sich deshalb immer mehr Konsumentinnen, welche Folgen ihr Tun hat. Und wie sie mit ihren Kaufentscheidungen einen Teil zu einer gerechteren, sozialeren sowie umwelt- und klimafreundlicheren Welt beitragen können.

Leasen statt kaufen
Aber nicht nur Einzelpersonen ist Nachhaltigkeit wichtig, auch Start-ups machen sie verstärkt zum Teil ihres Geschäftsmodells. Eines davon ist nuwo – kurz für „New Work“. Die Idee: Unternehmen leasen die Büromöbel für den Heimarbeitsplatz ihrer Mitarbeiter, statt sie zu kaufen. 2020, am Anfang von Coronapandemie und Homeoffice-Boom, gründete Lisa Rosa Bräutigam ihr Unternehmen in Mannheim, zog aber bereits 2021 wegen des besseren Start-up-Ökosystems nach Berlin. Die Gründerin und Geschäftsführerin, die für nuwo eine sichere Stelle als verbeamtete Lehrerin aufgab, betont im Gespräch mit diskurs, dass es darum gehe, bei der Office-Ausstattung vom schnellen Konsum wegzukommen: „Wir wollen nicht immer wieder aufs Neue ‚Wegwerfmöbel‘ verkaufen, sondern streben mit unserem Modell eine möglichst lange Nutzungsdauer der Büroausstattung an.“ Bräutigam weiter: „Wir setzen von Anfang an auf Nachhaltigkeit. Alle Büromöbelhersteller, mit denen wir zusammenarbeiten, Vitra, USM oder Herman Miller, produzieren nachhaltige, langlebige Produkte, die sich reparieren lassen.“


BEIM NUWO-MODELL sieht die dynamische Unternehmerin weitere Vorteile: „Ob Tisch, Stuhl, Leuchte oder Stauraum – die Mitarbeiter können sich genau so ausstatten, wie sie es möchten. Mit ergonomischen Möbeln, die zu ihrem Homeoffice passen. Und sie haben die Option, am Schluss alles zu einem fünfprozentigen Restwert zu übernehmen. So werden die Möbel noch länger genutzt.“ Aber auch die Unternehmen profitierten: „Büromöbel sind kapitalintensiv und werden über 13 Jahre abgeschrieben. Und du willst ja beispielsweise als Konzern nicht 10 000 einzelne Möbel, die irgendwo bei deinen Mitarbeitern stehen, über so lange Zeit in deiner Bilanz mitführen. Durch Leasing werden die Unternehmen also flexibler und brauchen deutlich weniger Kapital als bisher. Denn unser Arbeitsplatz-as-a-Service-Modell kostet pro Arbeitsplatz nur 60 Euro im Monat, inklusive Anlieferung, Montage und Service.“ Mehrere Tausend Homeoffices hat nuwo nach eigenen Angaben bereits ausgestattet. Zu den Kunden des 15-köpfigen Teams zählen mittelständische Unternehmen und internationale Konzerne, etwa die deutsche Niederlassung des IT-Dienstleisters Cognizant Technology Solutions, der weltweit knapp 300 000 Menschen beschäftigt.

Der bewusste Verbraucher
Neu oder anders zu konsumieren ist im Trend, der Wandel vom Konsumenten hin zum bewussten Verbraucher in vollem Gange: Rund zwei Drittel der Menschen können sich vorstellen, ihr Verhalten zu ändern, um Umwelt und Klima zu schützen. Auch soziale und ethische Beweggründe spielen eine Rolle. Knapp drei Viertel der Befragten würden mehr regionale und saisonale Produkte kaufen, gut 65 Prozent ihren Fleischkonsum reduzieren, knapp 60 Prozent häufiger Fahrrad und weniger Auto fahren und über 53 Prozent seltener mit dem Flugzeug verreisen. Doch zu sagen, man sei bereit, sich zu ändern, ist das eine – entscheidend ist, ob die Konsumentinnen ihr Verhalten wirklich ändern. Laut einer EY-Parthenon-Analyse schränken sich viele der Menschen, die veränderungsbereit sind, im Alltag tatsächlich ein: 62 Prozent von ihnen verzichten demzufolge auf sogenannte Fast-Fashion-Produkte und 49 Prozent auf Urlaubsflüge.

Wegwerfen? Nein danke
Neuer Konsum meint aber nicht nur darum, beim Neukauf auf Nachhaltigkeit zu achten. Ganz wesentlich ist es, elektronische Geräte, Kleidung oder andere Produkte möglichst lange zu nutzen, um den Ressourcenverbrauch zu reduzieren und die Klimabilanz zu verbessern. So zeigt eine Studie des Öko-Instituts im Auftrag des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, dass sich allein mit lange genutzten Fernsehern, Smartphones, Waschmaschinen und Notebooks jedes Jahr knapp vier Millionen Tonnen CO2-Emissionen einsparen ließen. Das entspricht dem Ausstoß von 1,85 Millionen Autos.


DOCH WIE LÄSST SICH DIE HEUTIGE Wegwerfgesellschaft entsorgen? Als erstes Bundesland hat Thüringen 2021 einen interessanten Ansatz gefunden: Wer ein defektes Elektrogerät reparieren lässt, kann einen Reparaturbonus von maximal 100 Euro erhalten und so bis zu 50 Prozent der Reparaturkosten sparen. Mehr als 12 000-mal wurde der Bonus bereits ausgezahlt. Neben der Umwelt profitieren die lokalen Handwerksbetriebe, da sie deutlich häufiger Reparaturaufträge erhalten. Sachsen hat den Bonus in diesem Oktober eingeführt, andere Bundesländer denken ebenfalls darüber nach.

Sharing Economy: alte Idee, neu gedacht
Reparaturen sind ein Schritt auf dem Weg zu einem nachhaltigeren Konsum. Eine wichtige Rolle spielen dabei Repair Cafés, die sich inzwischen in vielen Städten etabliert haben, auch in Berlin. Ein anderer ist die Sharing Economy. Dort geht es darum, Produkte oder Dienstleistungen gemeinsam zu nutzen, indem man sie teilt, tauscht, leiht, mietet oder verschenkt. Sharing Economy ist eigentlich ein altes Konzept – seit Langem funktionieren Bibliotheken, Skiverleihe oder Genossenschaften, die landwirtschaftliche Geräte für die gemeinsame Nutzung anschaffen, nach diesem Prinzip. Neu ist, wie diese alte Idee in immer mehr Wirtschaftsbereichen erfolgreich umgesetzt wird. Mehr als 50 Prozent der Menschen in Deutschland haben laut der Unternehmensberatung PwC bereits Sharingdienste genutzt.

Wachstumsmarkt Shared Mobility
Beispiel Mobilität: Knapp 4,5 Millionen Menschen haben sich in Deutschland bei Carsharing-Anbietern registriert, mehr als 8 Millionen sind daran interessiert. In Städten wie Berlin prägen die Autos von Miles, Share Now und Sixt Share bereits das Stadtbild, genauso wie die E-Scooter von Lime, Tier oder Voi. Und sogenannte Ridesharing-Unternehmen wie Uber, BlaBlaCar oder FreeNow sind in Deutschland ebenfalls präsent. Der gesamte Shared-Mobility-Markt wird 2023 weltweit voraussichtlich einen Umsatz von gut 1,3 Billionen Euro erzielen, bis 2027 sollen es laut Statista Market Insights mehr als 1,6 Billionen werden.

Die Revolution des Reisens
Ein weiteres Schwergewicht der Sharing Economy ist im Homesharing aktiv: AirBnB, das vor allem private Wohnungen und Ferienunterkünfte vermittelt. 2022 erzielte das Unternehmen, das die Reisebranche seit seiner Gründung im Jahr 2007 nachhaltig verändert hat, einen neuen Umsatzrekord. Einer der Gründe dafür: Viele Gäste bleiben inzwischen länger an ihrem Ziel – auch ein Ergebnis des Homeoffice- Trends. Und das Segment entwickelt sich weiter: In der Metropolregion Berlin-Brandenburg entstehen Working Retreats auf historischen Gutshöfen, Tiny Houses auf Streuobstwiesen und andere Angebote, die Arbeiten und Freizeit im wörtlichen Sinne unter einem Dach zusammenbringen.

Neuer Konsum – machbar mit den Nachbarn
Anders als klassische Unternehmen agiert das Nachbarschaftsnetzwerk nebenan.de, das sich als Sozialunternehmen versteht und positiv auf die Gesellschaft wirken will. 2,5 Millionen Menschen nutzen das soziale Netzwerk in Deutschland, um sich von der Nachbarin beispielsweise Werkzeuge oder Haushaltsgeräte auszuleihen, anstatt sich neue zu kaufen.

ÜBER DEN MARKTPLATZ DER APP lassen sich außerdem nicht mehr benötigte Kleidungsstücke, Möbel, Lebensmittel & Co. abgeben – meist geschieht das für wenig Geld oder sogar kostenlos. Die Nutzer müssen also weniger neu produzierte Dinge kaufen und verlängern außerdem die Lebensdauer von Konsumgütern. So trägt nebenan.de zu einem nachhaltigeren Alltag und einem geringeren Ressourcenverbrauch bei. Ähnlich wie die „Zu verschenken“-Kisten, die inzwischen häufig vor Hauseingängen und auf Bürgersteigen auftauchen – dabei kann allerdings ein Bußgeld wegen illegaler Ablagerung von Müll drohen.

Die Zukunft des Konsums
Immer mehr Menschen wollen anders und sinnvoller konsumieren als in der Vergangenheit. Unternehmen, die sich darauf einstellen und sich nachhaltig verhalten und positionieren, eröffnen sich hier viele Chancen. Denn sie können ihren Kundinnen mit ihren Produkten und Dienstleistungen den doppelten Kaufkick bieten: das kurze, schnelle Glück des Kaufens und das gute Gefühl, einen Beitrag zum neuen Konsum zu leisten.

Text: Christian von Jakusch-Gostomski
Fotos: © Pressemaster / Shutterstock, © Elmar Witt
Datum: November 2023

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