Guya Merkle
Moderne Technologien sind auf den Rohstoff Gold angewiesen, doch die Gewinnung des Edelmetalls geschieht noch immer unter schlimmsten Bedingungen für Mensch und Natur. Die Unternehmerin Guya Merkle will das ändern – und hat für ihre eigene Branche schon einen Weg gefunden.
GOLD FASZINIERT SEIT JAHRTAUSENDEN, als Schmuck und Wertgegenstand. Doch zunehmend ist die Industrie auf das Edelmetall angewiesen – mit einschneidenden Folgen. Zwischen 25 und 30 Millionen Menschen arbeiten derzeit im konventionellen Kleingoldbergbau in Ländern wie Uganda oder Peru, sagt Guya Merkle, mehr als 100 Millionen seien indirekt davon abhängig. Die Berliner Unternehmerin und Gründerin des Schmucklabels VIERI engagiert sich seit Jahren für ein Umdenken bei der Gewinnung von Gold. „Das Geschäft mit dem Gold ist schmutzig“, sagt Guya Merkle, „nur weiß das kaum jemand. Deshalb haben wir 2019 mit prominenten Gesichtern die Initiative World Gold Day gestartet. Wir wollen nicht nur das Bewusstsein für eine Ressource schärfen, die uns in 20 bis 30 Jahren nicht mehr zu Verfügung stehen wird, sondern auch langfristige Alternativen etablieren.“
STICHWORT URBAN MINING. „Seit Tausenden von Jahren wird Gold abgebaut – und niemand wirft bewusst Gold weg, es ist also bereits viel im Umlauf. Ich habe mich gefragt: Warum sorgen wir nicht dafür, viel mehr Gold in den Kreislauf zurückzuführen?“ Auf der Suche nach Antworten sei sie irgendwann beim Thema Elektroschrott angelangt, sagt Guya Merkle. „Handys, Laptops, andere Geräte: Sie alle enthalten Feingold.“ Der Knackpunkt sei jedoch, dass viele Besitzer ihre alten Geräte nicht zum Recyceln freigeben oder der elektronische Schrott illegal verschifft wird und auf Mülldeponien im globalen Süden landet. Im einen wie im anderen Fall entziehe das dem Kreislauf einen wichtigen Rohstoff, und nicht den einzigen: „Neben Gold werden in Handys ja noch viele weitere kostbare Rohstoffe wie verschiedene Metalle und seltene Erden verbaut.“ Gold sei nur der Anfang, sagt Guya Merkle – aber genau den brauche es, um etwas zu bewegen. In der Deutschen Telekom hat sie einen Kooperationspartner gefunden. Gemeinsam entwickelte Recyclingboxen für das Sammeln alter Smartphones werden Unternehmen und Privathaushalten zur Verfügung gestellt. Das zurückgewonnene Gold geht allerdings nicht an VIERI: „Die Telekom bringt die Wertstoffe zusammen mit dem Münchner Unternehmen Teqcycle Solutions wieder in den Kreislauf, wir erhalten pro Gerät eine kleine Spende.“
JEDE SPENDE AUS DER TELEKOM-KOOPERATION wird der Earthbeat Foundation zugeführt. Diese widmet sich der Verbesserung der Lebensbedingungen jener Menschen, die tagtäglich im Kleingoldbergbau arbeiten, und engagiert sich im Naturschutz. Guya Merkle hat Earthbeat 2012 in Form einer Schweizer Stiftung gegründet und damit sowohl den Endpunkt einer schmerzhaften persönlichen Entwicklung gesetzt als auch den Grundstein zu jenem visionären Unternehmertum gelegt, das sie heute mit VIERI lebt – ein Leuchtturm für ihre Branche.
VERANTWORTUNG SEI IHR LEBENSTHEMA, SAGT DIE UNTERNEHMERIN. Aus diesem Grund habe sie auch Marketing und Kommunikation studiert: „Ich habe, glaube ich, schon als kleines Mädchen Verantwortung übernommen. Als später das Thema Corporate Social Responsibility aufkam, wusste ich genau: Das will ich machen. Ich will in Unternehmen gehen und sie dabei unterstützen, verantwortlich zu agieren. Das war der Plan.“ Aber eben nur der Plan. Als die Studentin 21 Jahre alt ist, stirbt der Vater unerwartet. Ihrem Verständnis von Verantwortung folgend, übernimmt Guya Merkle die Geschäftsführung im väterlichen Schmuckgroßhandel – um drei Jahre später krachend zu scheitern. Die Firma muss Insolvenz anmelden. Noch heute, sagt sie, müsse sie vieles aus dieser Zeit verarbeiten, auch den Verlust des Vaters: „Ich musste funktionieren, hatte keinen Raum für meine Trauer. Diese Jahre waren eine schwere Zeit. Ich hatte all meine Leichtigkeit verloren.“ Zu dem wirtschaftlichen Desaster – die junge Frau büßt ihr gesamtes Erbe ein – gesellt sich das Gefühl tiefer persönlicher Scham.
DAS THEMA SCHMUCK SEI IN IHREM ELTERNHAUS immer gegenwärtig gewesen, sagt Guya Merkle, einen Zugang dazu habe sie allerdings nie gehabt. Es sei auch nicht erwartet worden, dass sie das von ihrem Großvater gegründete Familienunternehmen einmal übernehmen würde. Doch ihr Scheitern verändert alles. „Ich wollte verstehen, was meinen Vater und die Menschen überhaupt an Schmuck fasziniert“, beschreibt sie ihre Intention, sich in London beim Gemological Institute of America einzuschreiben. Das gemeinnützige Institut vermittelt Kenntnisse im Bereich Edelsteine und Schmuck und bringt die Expertinnen von morgen in diesem Segment hervor. Während ihrer Studienzeit unternimmt sie eine Reise nach Peru. In ihrem Hotel lernt sie eine Reisegruppe kennen, der sie sich spontan zu einer Goldminen-Expedition anschließt. Auf 4000 Höhenmetern inmitten der Anden angekommen, habe sie dann für einen Moment „den Glauben an die Menschheit verloren“, sagt Guya Merkle. „Gold war bis dahin für mich ein Synonym für Luxus und Schönheit. Nun sah ich die hässliche Gegenseite: Dreck, Quecksilber überall, ein unglaublicher Gestank.“ Sie habe Menschen mit Missbildungen gesehen, schwangere Frauen mit Angst um ihre ungeborenen Kinder. „Das Leben dort ist rudimentär. Es gibt keine Infrastruktur, keine medizinische Versorgung. Das Gestein wird gesprengt und das Gold per Hand aus den Brocken herausgeschlagen.“
EINE TONNE STEIN MUSS AUF DIESE ART BEARBEITET WERDEN, um ein Gramm Gold zu gewinnen. „Dieselbe Menge gewinnt man aus 40 Handys“, stellt die Unternehmerin fest. „Ich dachte, wenn das so einfach ist, kann doch niemand ernsthaft wollen, dass Menschen und Umwelt zu Schaden kommen. Darum habe ich die Earthbeat Foundation gegründet. Um zu informieren – und um die Schmuckindustrie von meiner Idee zu überzeugen.“ Allerdings erkennt sie schnell, dass zwar die Medien interessiert auf das Thema anspringen, sich in der Industrie aber nichts tut. „Dieses ‚Es ist doch gut so, wie es bis jetzt läuft‘ war ein weiteres wichtiges Learning für mich. Ich war 27, niemand hat mich ernst genommen. Da habe ich gemerkt, ich muss das ‚Full Package‘ machen, um etwas zu ändern. Darum habe ich 2015 VIERI gegründet.“
MIT IHREM SCHMUCKLABEL MACHT GUYA MERKLE IHRE POSITION zum Thema Gold erleb- und nachvollziehbar. Das 18-Karat-Feingold für ihre Kollektionen bezieht sie vom niederländischen Partnerunternehmen Closing the Loop, das weltweit Smartphones sammelt und recycelt. Gegen das Attribut Nachhaltigkeit wehrt sie sich allerdings: „Der Begriff stammt aus der Forstwirtschaft und beschreibt ausschließlich den Umgang mit Ressourcen, die nachwachsen. Fast jedes Unternehmen bezeichnet sich heute als nachhaltig. Dabei ist es unmöglich, bei acht Milliarden Menschen auf der Erde nachhaltig zu sein. Ich glaube, wir sollten diesen Begriff hinter uns lassen.“ Transparenz sei ihr wichtig, dazu eine stringente Planung des gesamten Produktionsprozesses sowie „Impact“. Für sie bedeute die Zukunft: „verantwortungsvolles Handeln, verantwortungsvolles Unternehmertum, verantwortungsvolles Produzieren“. Bei VIERI könne sie „zu 95 Prozent einen Haken dranmachen“, was diesen Dreiklang aus Verantwortung betrifft, sagt die Unternehmerin: „Im Juni 2022 haben wir die erste aktive Goldmine weltweit geschlossen, aktuell sind es drei in Uganda, die vor der Schließung stehen. Die CO2-Emissionen der 7000 Liter Diesel, mit denen wir die Bulldozer für die Erdarbeiten beim Schließen der Minen betreiben, kompensieren wir mit dem Anpflanzen von Bäumen.“ Dazu investiert VIERI jährlich 7,5 Prozent des Umsatzes an Closing the Loop zur Sicherung des Partnerunternehmens.
LÄNGST IST VIERI EIN BEGRIFF BEI EINER KLIENTEL, die im hochpreisigen Segment unterwegs ist. Guya Merkle entwirft die Schmuckstücke, die in Deutschland hergestellt und über einen Onlineshop verkauft werden. Darüber hinaus veranstaltet das Unternehmen regelmäßig Roadshows: „Wir sind dann an bis zu sieben Standorten in Deutschland für ein bis zwei Wochen mit Pop-up-Stores präsent“, sagt die Unternehmerin, „so sind wir auch eine Marke ‚zum Anfassen‘.“
ANDERE WÄREN MIT DIESEM STATUS ZUFRIEDEN, Guya Merkle ist es nicht. Die Wirtschaft, sagt sie, müsse ihr Denken ändern, um global zu neuen Lösungen zu gelangen: „Das Unternehmertum der Zukunft wird nicht mehr dadurch bestimmt sein, einen USP für eine Geschäftsidee zu finden, sondern dass wir bereit sind, zu teilen und gemeinsam zu arbeiten.“ Die Gewinnmaximierung müsse einer „Impactmaximierung“ weichen, sagt Guya Merkle. „Wir als Gesellschaft haben immer noch Angst, dass man uns etwas wegnimmt. Aber wenn wir unseren Impact maximieren, können wir am Ende viel mehr haben. Und zwar alle.“
Text: Christoph Horn
Foto: Ériver Hijano
Datum: März 2023
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