Auf ein offenes Wort: Sollte KI in Bildungseinrichtungen zum Einsatz kommen?

Herausforderung, Chance oder einfach nur Mittel zum Zweck? Fünf Berliner Expertinnen und Experten stellen sich schon heute einer Frage, die mittelfristig den Bildungssektor in neue Richtungen lenken wird. Nicht nur in Deutschland.

Prof. Dr. Johannes Kirch,
Professor für Personalmanagement und Unternehmensführung an der privaten bbw Hochschule in Berlin
© Fotostudio Neukölln

Ganz klar: ja. Die Potenziale der Technologie werden viele Arbeitsbereiche verändern. Diesen Fortschritt unreflektiert auszublenden wäre fahrlässig. Studierende sehen, dass einige Aufgaben aus ihren Nebenjobs zum Beispiel durch ChatGPT3 schneller erledigt werden könnten. Lehrkräfte müssen mit den Lernenden ausprobieren, was diese Tools konkret können und was nicht. Dazu wirtschaftlich und ethisch reflektieren, wo Chancen, Grenzen und Gefahren liegen. In der Wirtschaft übernehmen Chatbots teilweise schon jetzt konkrete Aufgaben, was zu mehr Druck auf typische Einstiegsjobs führt. Stichwort Effizienz. Aber auch zu Entlastungen, sodass sich Mitarbeitende dann beispielsweise auf eine bessere Beratung konzentrieren können. Stichwort Qualität. Es ist unverantwortlich, Absolvierende unvorbereitet in dieses Spannungsfeld zu schicken. Teilweise abstrus schlechte Plagiate durch ChatGPT3 zeugen von einem hohen Lernbedarf. Interne Diskussionen sind notwendig, um dazu einladende Prüfungs- und Lehrformen zu überdenken und neue Aufgaben zu stellen. Jobs in der Lehre werden sich auf lange Sicht ebenso verändern.

‚Intelligente‘ Lernsysteme schaffen im Schulkontext enormes Potenzial für eine individuellere, inklusivere und zeitgemäßere Förderung von Schülerinnen und Schülern. Zeitgleich bieten sie reichhaltige Möglichkeiten, Schulorganisation deutlich flexibler zu gestalten. Bei all der Euphorie sollten datenschutzrechtliche Aspekte dennoch Beachtung finden, muss die Funktionsweise nachvollziehbar bleiben und sollten Grundregeln vorgegeben werden können. Darüber hinaus bedarf es sicher einer Art Nutzungskodex und vorab vielleicht auch einer breiteren gesellschaftlichen Diskussion darüber, in welchem Maß es sinnvoll ist, Leistungen speziell von KI- Systemen im Rahmen von Kompetenznachweisen zuzulassen.

Steffen Reinecke,
Landeselternausschuss Berlin, Sprecher AG Digitalisierung
© Teresa Lopez

Dr. Dörte Schmidt,
Professorin für Musikwissenschaft an der Universität der Künste Berlin, Sprecherin des Advisory Council im Konsortium NFDI4Culture der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur und Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften
© Vincent Leifer

Öffentliche Bildungseinrichtungen bilden mündige Bürgerinnen und Bürger aus, die sich souverän an den Aushandlungsprozessen unserer demokratischen Gesellschaft beteiligen und sich in ihren Handlungsräumen bewegen können. Wenn KI zu unserer Welt gehört (und darüber besteht kaum Zweifel), sei sie sinnvoll und nutzbringend, sei sie problematisch gehandhabt, muss sie als
Gegenstand wie als Werkzeug also auch in diese Bildungseinrichtungen gehören: nicht mit dem Ziel der Effizienz-, sondern dem der Souveränitätssteigerung (und zwar nicht separiert, sondern als integraler Bestandteil ihrer verschiedenen Anwendungsbereiche).
Öffentliche Bildungseinrichtungen bilden mündige Bürgerinnen und Bürger aus, die sich souverän an den Aushandlungsprozessen unserer demokratischen Gesellschaft beteiligen und sich in ihren Handlungsräumen bewegen können. Wenn KI zu unserer Welt gehört (und darüber besteht kaum Zweifel), sei sie sinnvoll und nutzbringend, sei sie problematisch gehandhabt, muss sie als
Gegenstand wie als Werkzeug also auch in diese Bildungseinrichtungen gehören: nicht mit dem Ziel der Effizienz-, sondern dem der Souveränitätssteigerung (und zwar nicht separiert, sondern als integraler Bestandteil ihrer verschiedenen Anwendungsbereiche).

Zunächst möchte ich sagen, dass künstliche Intelligenz, speziell Chat-KIs, das Schulsystem auch nach Auffassung des Landesschülerausschusses einerseits vor große Herausforderungen stellen, aber gleichzeitig eine große Chance sind. Ich denke, ChatGPT kann Wissen vermitteln, bei den Hausaufgaben helfen und vielleicht sogar in mancher Hinsicht eine Nachhilfelehrkraft ersetzen. Deshalb denke ich, ChatGPT und Co. können zur Bildungsgerechtigkeit beitragen und Lehrkräfte sowie Eltern langfristig entlasten. Trotzdem müssen natürlich auch die Schwächen der Software bekannt sein und konsequent thematisiert werden. Schülerinnen und Schülern muss vermittelt werden, wie sie die Ergebnisse von ChatGPT kritisch auswerten und einordnen können, um so auch die Fehler zu reflektieren und am Ende nichts Falsches zu lernen. Auch muss verhindert werden, dass Schülerinnen und Schüler ganze Hausaufgaben von ChatGPT übernehmen. Wir sollten nämlich nicht in der Schule Aufgaben von einer Chat-KI erledigen lassen und dabei das Lernen gänzlich aus den Augen verlieren. Aufgaben sind zum Lernen da und sollten auch dafür erledigt werden, nicht um der Aufgaben willen.
Ich denke, es ist wichtig, dass die Lehrkräfte vor allem ausreichend ausgebildet werden, um richtig mit Chat-KIs umgehen zu können. Damit ein zukünftiger Unterricht mit ChatGPT möglich ist.

Paul Seidel,
Öffentlichkeitsarbeit Landesschülerausschuss Berlin
© Leonie Krüger

Dr. Aljoscha Burchardt,
Principal Researcher, Research Fellow und stellvertretender Standortsprecher des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Berlin
© Helmut Pucher

Man sollte diese Technologie in mindestens zwei Fällen einsetzen. Erstens dann, wenn man dadurch die Kunden – also Lernerinnen und Lerner – besser versorgen kann, etwa indem man stärker personalisierte Materialien erzeugt oder indem die Systeme im Sprachunterricht als Dialogpartner zur Übung dienen, wo sonst einfach niemand wäre. Zweitens sollte man die Systeme dann einsetzen und deren Nutzung einüben, wenn zu erwarten ist, dass die Lernerinnen und Lerner im (Berufs)leben mit solchen Systemen arbeiten werden. So werden jene hoffentlich zu mündigen Gestaltern und Nutzern zukünftiger Technologien. Nach dem Drei-Affen-Prinzip zu verfahren scheint mir der schlechteste Weg.  

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