Das große Ganze und wir
Autor: Klaus Siegers
Klaus Siegers ist Vorsitzender des Vorstandes der Weberbank und verantwortlich für die Bereiche Strategie, Personal und Beratung institutioneller Kunden.
Normalerweise grüße ich an dieser Stelle mit Gedanken zur Vermögensanlage oder zur Wirtschaftspolitik. Aber nichts ist normal in diesen Tagen. Fassungslos schauen wir alle auf die Ereignisse in der Ukraine und versuchen, sie zu bewerten und einzuordnen. Den zweifellos richtigen Superlativen unserer Politikerinnen und Politiker möchte ich nichts hinzufügen – wünschen wir ihnen allen eine glückliche Hand. Empörung, Sorge, Mitgefühl, Wut – das sind die Emotionen dieser Tage. Es fällt schwer, in alldem auch nur irgendetwas Positives zu finden, aber immerhin: An eine solch breite Übereinstimmung der Meinungen im In- und Ausland kann ich mich nicht erinnern. Wenn es um Menschenleben geht, wenn eine vertraute Rechts- und Friedensordnung infrage gestellt wird, wenn es also um das große Ganze geht, dann ist alles andere nebensächlich. Dennoch fragen viele unserer Kundinnen und Kunden, was die Geschehnisse für ihr Vermögen bedeutet, und wir als Weberbänker stehen an ihrer Seite – auch in schwierigen Zeiten. Das erwarten sie zu Recht! Auf die häufigsten Fragen möchte ich kurz eingehen.
Könnte man aus Anlegersicht mit dem Ausbruch des Krieges rechnen? Unsere Expertinnen und Experten haben in ihren Risikoszenarien eine Eskalation der Situation durchaus mitkalkuliert. Aber wie seriös will man so etwas prognostizieren? Es ist folglich generell nicht anzuraten – egal, als wie bewegend sich das jeweilige Ereignis herausstellt –, das Portfolio auf Extremereignisse auszurichten. Vielmehr sind im Gesamtportfoliokontext Risiken zu überprüfen und gegebenenfalls einzelne Anpassungen vorzunehmen. Wie so oft empfiehlt es sich Anlegerinnen und Anlegern, erst einmal in Ruhe zu analysieren.
Investorinnen und Investoren sollten durch die aktuellen kurzfristigen Unsicherheiten ihre langfristig angestrebte und tragfähige Portfolioausrichtung nicht infrage stellen. Mutige werden sich fragen, ob Kurskorrekturen nicht zu Nachkäufen genutzt werden können. Wer seine angestrebte Aktiengewichtung noch nicht vollständig aufgebaut hat, für den mag das eine Alternative sein. Ansonsten gilt jetzt der Vermögenssicherung erste Priorität und das Leitmotiv heißt Risikobegrenzung vor Chancensuche. Sofern der Blick auf die Vergangenheit statthaft ist, so lehrt diese, dass die Kapitalmärkte nach einem Schockmoment häufig zum Normalbetrieb zurückkehren. Als „Mean Reversal“ bezeichnet die Kapitalmarkttheorie dieses Phänomen.
Wie es nun weitergeht? Die kommenden Wochen und Monate werden von erhöhten Schwankungen aufgrund der gestiegenen Unsicherheit geprägt sein. Die Notenbanken werden sich dadurch verleitet sehen, ihren angestrebten Straffungskurs etwas zurückhaltender auszurichten. Die Inflation wird sich wahrscheinlich hartnäckiger auf den hohen Niveaus halten als ursprünglich von Notenbanken und Volkswirten erwartet. Historisch haben sich in Krisenphasen amerikanische Aktien robuster verhalten als europäische Titel. Der US-Dollar profitierte dann ebenfalls. Auch vor dem Hintergrund, dass die zu erwartenden Belastungen primär Europa treffen werden, gewichten wir aktuell amerikanische Aktienwerte über.
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