Wer nichts weiß, muss alles glauben
Autor: Klaus Siegers
Klaus Siegers ist Vorsitzender des Vorstandes der Weberbank und verantwortlich für die Bereiche Strategie, Personal und Beratung institutioneller Kunden.
Wie oft haben Sie schon gehört, Deutschland bleibe als rohstoffarmem Land gar nichts anderes übrig, als massiv in seine Bildung zu investieren? Ein Dauerbrenner in Sonntagsreden – seit Jahrzehnten. Und haben Sie sich zum Vergleich einmal Berliner Schulen angesehen? Oder die Diskussion verfolgt um Verbeamtung von Lehrern, Quereinsteiger, Integration, Gewalt, Chancengleichheit, Betreuungsschlüssel, Zuständigkeitsgerangel zwischen Schulämtern und Bildungssenatorin und, und, und? Hier scheint tatsächlich so viel im Argen zu liegen, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll.
Wie wichtig uns das sein muss, liegt auf der Hand: Die Digitalisierung hat unser Leben bereits tief durchdrungen, doch die Wertschöpfung von GAFA – Google, Apple, Facebook, Amazon – findet auf einem anderen Kontinent statt, ebenso die Steuerzahlung – wenn überhaupt. Um bei den Antrieben der Zukunft noch ein Wort mitreden zu können, müssen sich die deutschen Automobilhersteller mächtig anstrengen, damit sie hinterherkommen, und wir reden hier von einer unserer bedeutendsten Branchen. Und bei der künstlichen Intelligenz, dem nächsten Megathema, haben sich ebenfalls schon andere in die Poleposition gebracht. Betrachtet man es langfristig, reden wir von nichts anderem als unserer Position im globalen Wettstreit. Wer hier zur Genügsamkeit neigt, dem sei gesagt, dass wir zugleich von der Basis unseres Wohlstands und damit von unseren Gestaltungsmöglichkeiten reden. Und in der Schule fängt es spätestens an.
Rund ein Jahrzehnt lang haben Experten unseres Hauses Abiturienten des Gymnasiums Steglitz Wissen zum Thema Wirtschaft und Finanzen vermittelt, weil die Rahmenpläne hier völlig unzureichend waren und sind. Die Einladung der Schule erfolgte unter dem Motto: „Wer nichts weiß, muss alles glauben.“
„Es ist Aufgabe der Bildungspolitik, jungen Menschen eine faire Teilhabe zu ermöglichen – und das ohne Ansehen der familiären Herkunft.“
Wie wahr! Unsere 18-Jährigen sind befugt, Verträge abzuschließen, aber haben wir sie überhaupt befähigt zu verstehen, was sie da tun? Dieser Aspekt hat beileibe nicht nur wirtschaftliche Aspekte. Die Fähigkeit, Dinge zu hinterfragen und kompetent mit Medien umzugehen, ist im Zeitalter von alternativen Fakten und glatten Fake News wichtiger denn je. Zu alldem ist Bildung der Schlüssel. Je komplexer die Welt wird, desto verlockender wirken Vereinfachungen durch Emotionalisierung oder Ideologisierung.
Für Schulabsolventen sieht es noch vergleichsweise gut aus. Unsere duale Ausbildung wird geschätzt, und zumindest auf nationaler Ebene sind gerade die Berliner Universitäten spitze: Die FU ist Berlins erste Exzellenz-Uni, die HU konnte ein paar Jahre später nachziehen, und die TU hat im gerade veröffentlichten WirtschaftsWoche-Ranking in vielen Fächern gut abgeschnitten. Der Überbau ist also solide, aber der Unterbau bröckelt.
Es ist Aufgabe der Bildungspolitik, aber auch der Gesamtgesellschaft, jungen Menschen chancengleiche Zukunftsperspektiven zu geben, ihnen eine faire Teilhabe zu ermöglichen – und das ohne Ansehen der familiären Herkunft. Wirtschaftliche Prosperität – des Einzelnen und zugleich der ganzen Volkswirtschaft – bildet dann das Fundament für Freiheit und Selbstbestimmung. Zu dick aufgetragen? Wir müssen gar nicht weit schauen, um zu sehen, wie Bürgerrechte vielerorts Stück für Stück einkassiert werden und Freiheit und Selbstbestimmung auf dem Rückzug sind.
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