Autor: Klaus Siegers
Klaus Siegers ist Vorsitzender des Vorstandes der Weberbank und verantwortlich für die Bereiche Strategie, Personal und Beratung institutioneller Kunden.
Berlin hat Konjunktur – buchstäblich. Waren wir jahre- und jahrzehntelang gewohnt, uns als verlängerte Werkbank, Subventionsmoloch oder Baufilzmetropole verspotten zu lassen, sind die Defätisten und Berlin-Neider inzwischen weitaus kleinlauter geworden. Ihnen bleibt zwar der BER, aber das täuscht nicht darüber hinweg, dass wir anders als früher kaum noch Meldungen über „Abbau“, „Rückgang“ oder „Transfer“ lesen. Die Stadt holt im Bundesländervergleich auf vielen Gebieten auf. Zugegeben, als vermeintliche oder tatsächliche Hartz-IV Hauptstadt startet Berlin womöglich von bescheidenem Niveau, aber der Trend ist eindeutig: Berlin hat Konjunktur. Beispiele gefällig? 2015 verzeichnete Berlin das höchste Jobwachstum aller Bundesländer, zum vierten Mal in Folge. Inzwischen gibt es hier 1,85 Millionen Erwerbstätige. Die Berliner Industrie – es gibt sie! – hat 2015 ihre Exportquote um über sechs Prozent gesteigert; mit 57 Prozent liegt sie deutlich über dem Bundesdurchschnitt. 2015 stieg das reale Berliner Bruttoinlandsprodukt um drei Prozent, fast doppelt so stark wie der Bundesdurchschnitt. Treiber sind der Dienstleistungssektor, Handel und Tourismus sowie das stabile produzierende Gewerbe. Natürlich profitiert Berlin vom Zuzug vieler kreativer Menschen, die neben Ideen tendenziell auch höhere Einkommen in die Stadt bringen. Aber das sind zwei Seiten der gleichen Medaille: Berlin zieht an! Warum wir uns alle darüber freuen sollten? Es kann uns nicht egal sein, wenn es unserem Nachbarn schlecht geht. Und es fühlt sich einfach besser an, mit seiner Hände Arbeit zu einer Erfolgsgeschichte beizutragen.
Auch wenn wir als Privatbank mehr Wohlstand in der Stadt direkt spüren, kann es doch niemandem verborgen bleiben, dass sich Berlin verändert. Manche Aspekte sind umstritten, denken wir an die Gentrifizierungsdebatte, aber die Mehrheit darf sich ruhig freuen, wenn es bergauf geht. Oder etwas deutlicher: Ist es nicht großartig, in einer Stadt zu leben, die so prosperiert? Ist es nicht großartig, wenn die Herausforderung darin besteht, auch das Wachstum zu bewältigen und nicht nur den Mangel? Der Erfolg hat bekanntlich viele Väter. Es sei den Wirtschaftspolitikern gegönnt, positive Meldungen zu präsentieren. Die zahlen ein auf eine Erfolgsstory, die deutlich mehr zu bieten hat als das defensiv-trotzige „arm, aber sexy“. Man möchte ihnen zurufen: Rangelt ruhig darum, wer sich den Lorbeer anheften darf. Hauptsache, ihr macht nichts kaputt. Wer mit Werbekampagnen herausposaunen muss, wie cool und weltoffen er ist, ist mit Sicherheit nicht cool und weltoffen. Die Dynamik dieser Stadt, die sie seit Jahren schon zum Magneten für junge Menschen aus aller Welt macht, ist allenfalls marginal von der Politik beeinflussbar; sie ist sicher wünschenswert, aber nicht auf Knopfdruck bestellbar. Sie beruht auf einer Atmosphäre, die jede und jeden machen lässt und deren Charme darin besteht, einer bunten Ansammlung völlig unterschiedlicher Menschen mit ganz verschiedenen Mentalitäten eine Heimat zu bieten, in der sich alle wohlfühlen. Eigentlich ein Glücksfall für die Politik: Eine solche Atmosphäre bedarf keiner mühseligen Pflege. Cool sind die Berliner von alleine. Lasst sie einfach machen.
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