Sergei Tchoban

Kunst als Inspirationsquelle: die Sammlung Tchoban

Sergei Tchoban ist ein weltweit tätiger Architekt, renommierter Künstler, überzeugter Stifter und nicht zuletzt passionierter Sammler. Ob seine Sammlung historischer Architekturzeichnungen eher die künstlerische oder berufliche Seite in ihm inspiriert, lässt sich schwer sagen. Fest steht, jeder Baustein ist wohlkuratiert.

IN NUR 22 JAHREN hat Sergei Tchoban Hunderte Architekturzeichnungen aus verschiedenen Ländern und Epochen zusammengetragen und damit eine der wichtigsten Sammlungen in diesem Segment geschaffen. Alles begann 2001 mit dem Erwerb eines Werks des Klassizisten Pietro di Gottardo Gonzaga (1751–1831): „Streng genommen war Gonzaga gelernter Bühnenbildner, empfand sich jedoch zeitlebens als Architekt. Seine Entwürfe waren überaus lebendig frei Hand gezeichnet. Kolonnaden, Raumabfolgen, Ornamente – alles in wunderbarer Sepiatusche oder als Aquarell. Meine persönliche Handschrift habe ich unter anderem aus seiner Kunst entwickelt“, erzählt Tchoban. Auf Gonzaga folgten viele weitere Meister der Architekturzeichnung, zum Beispiel Auguste de Montferrand, Jacques Androuet du Cerceau oder Hubert Robert. Manche der historischen Werke hat der Sammler ersteigert, viele wurden aus Privatbesitz an ihn herangetragen – die Szene ist klein, man kennt sich.

SAMMELN IST FÜR SERGEI TCHOBAN nicht nur eine Frage der Passion, sondern auch der richtigen Organisation. Der Aufbau einer Kollektion ist in seinen Augen einem Baum vergleichbar: Die Gattung bildet den Stamm; von ihm gehen mächtigere und schmächtigere Äste ab. Diese Themen, Künstler und (Architektur) schulen werden sorgsam ausgesucht und kultiviert. Neue Sprossen können hinzukommen, doch ist der Vorgang durchaus nicht endlos. Wäre bei so viel Inbrunst in Sergei Tchobans Garten nicht noch Platz für einen weiteren Baum, ein weiteres Sammlungsfeld? „So große Möglichkeiten habe ich nicht. Architekturzeichnungen liegen in meinem Bereich. Letztlich dreht sich alles um meinen Beruf, ich bin Architekt und Zeichner“, führt der Sammler aus. „Für alles Weitere haben wir staatliche Museen. Ich bin der Ansicht, sie sollten stärker bei der Anschaffung und Ausstellung von Kunst unterstützt werden.“ Um seine Lieblingskunst mit der Öffentlichkeit zu teilen, gründete der Wahlberliner 2009 die Tchoban Foundation. Ihr Sitz befindet sich auf dem ehemaligen Gelände der Brauerei Pfefferberg in Prenzlauer Berg. In Ergänzung seiner Privatsammlung spezialisiert sich die Stiftung auf Zeichnungen international führender Architekten des 20. und des 21. Jahrhunderts, etwa Aldo Rossi, Gottfried Böhm oder Zaha Hadid.

SELBST VERSTÄNDLICH KANN EINE derartige Bandbreite an architektonischen Visionen nicht in einem x-beliebigen Gebäude ausgestellt werden. Naheliegenderweise nahm der Stifter den Entwurf selbst in die Hand: „Ich wollte ein sprechendes Gebäude. Wenn Menschen es anschauen, sollen sie wissen, was dort ausgestellt wird. Außerdem handelt es sich um ein ehrliches Gebäude. Es hat eine tragende Haut. Was ich an neuen Häusern nicht mag, sind die vorgehängten Fassaden. Der äußere Schein ist anders als der Inhalt. Energieeffizienz war mir ebenfalls wichtig. Das ist gut für das Umweltbudget und für die Betriebskosten des Museums.“

DAS AUFFÄLLIGE GEBÄUDE – gestapelte Betonboxen mit Fassadenreliefs – ist das einzige Werk Sergei Tchobans, das Besucher vor Ort bestaunen können. Das Rampenlicht im Innern gehört anderen. Auf die Frage, wo er die Grenze zwischen Architektur und Kunst sehe, antwortet Tchoban analytisch: „Bei Kunst schaffst du zunächst das Werk und machst dir erst später Gedanken, ob es ausgestellt wird oder ob du es für dich behältst. Bei Architektur musst du dich präqualifizieren, beispielsweise einen Wettbewerb gewinnen. Oder deine Vita muss stimmen, damit du vom Bauherrn ausgewählt wirst. Entwurf und Umsetzung schließen sich an. Nicht alles ist nachhaltig schön und altert gut. Da haben beide Welten wieder etwas gemeinsam.“

Tchoban Foundation
Christinenstraße 18a, 10119 Berlin
www.tchoban-foundation.de

Text: Gregor Haase
Fotos: © Mario Heller
Datum: März 2023

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