Kommerz und Wissenschaft, verträgt sich das? Die aktuelle Sonderausstellung „Dinosaurier! Zeitalter der Riesenechsen“ im Museum für Naturkunde Berlin ist beliebt. Doch angesichts privater Leihgaben gibt es auch kritische Stimmen.
Sie heißen Sue, Stan oder Tristan Otto, stammen aus Nordamerika und sind um die 66 Millionen Jahre alt. Doch sie sind viel mehr als fossile Raubsaurier der Art Tyrannosaurus rex, sie sind Popstars der Naturkundeszene. Sue, benannt nach ihrer Entdeckerin, der Archäologin Sue Hendrickson, galt lange als der bekannteste T. rex der Welt. Ihr Artgenosse Stan erzielte den bis heute höchsten Zuschlag bei einer Dinosaurier-Auktion: Sotheby’s versteigerte ihn 2020 für die Rekordsumme von 31,8 Millionen Dollar. Und Tristan Otto? Dieser Saurier darf sich – vor allem wegen seines fast vollständig erhaltenen Schädels – eines der am besten erhaltenen Tyrannosaurus-rex-Fossilien weltweit nennen.
Von seinem hervorragenden Zustand kann sich jeder überzeugen, der die aktuelle Sonderausstellung „Dinosaurier! Zeitalter der Riesenechsen“ im Museum für Naturkunde Berlin besucht. Hier gibt Tristan Otto seit seiner Rückkehr aus Kopenhagen, wo er 2020/21 für Besucherstürme sorgte, wieder den Main Act. Dass sich das Fossil nicht im Besitz des Museums befindet, sondern eine Leihgabe seines dänischen Eigentümers Niels Nielsen ist, stellt für den Generaldirektor des Hauses, Professor Johannes Vogel, nur ein recht unbedeutendes Risiko dar, eines Tages auf die Besucherattraktion verzichten zu müssen.
Der Botaniker Johannes Vogel, 2011 vom Natural History Museum London zum Generaldirektor des Museums für Naturkunde Berlin berufen, hat seine eigene Vorstellung von der Bedeutung eines Museums, von der Wissenschaft und der Zukunft der Gesellschaft. „Größer denken“ ist sein Motto, auch wenn er dies niemals so ausdrücken würde. „Das Museum für Naturkunde Berlin war das erste Haus in Europa, das auf Public-private-Partnership setzte“, sagt Vogel. „Wir gehen diesen Weg bereits seit mehr als acht Jahren, sehr erfolgreich.“ Neben den guten Beziehungen zur „Szene“ – der Fossilienmarkt hat sich in den vergangenen Jahren zur kompletten Wertschöpfungskette entwickelt – geht es dem Wissenschaftler aber um Authentizität in der Kommunikation. Die Leihgaben sind immer als solche gekennzeichnet.
Kritische Stimmen, auch aus dem eigenen Haus, befürchten hingegen, die Untersuchungen von Exponaten wie Tristan Otto seien nicht zielführend, denn das untersuchte Objekt könne jederzeit der Forschung entzogen werden. Die Kritik nehme er sehr ernst, sagt Johannes Vogel, schließlich sei das Museum für Naturkunde Berlin kein Showroom, sondern ein von der Wissenschaft getriebener Ort. Dennoch hält er an seinem Konzept fest – und nutzt es, um die Diskussion über die Unabhängigkeit und Authentizität wissenschaftlicher Forschung angesichts des weitverbreiteten Geflechts aus Drittmitteln unterschiedlichster Herkunft und knapper werdenden Budgets zu beflügeln.
Für Vogel ist „Dinosaurier! Zeitalter der Riesenechsen“ ein Meilensprung. „Es ist typisch für Ausstellungen, immer nur das zu zeigen, worauf die Wissenschaft bereits Antworten hat. Wir dagegen haben uns gefragt: Welchen Blickwinkel haben wir noch nicht eingenommen, welche wissenschaftliche Frage werfen die Objekte heute auf?“ Diese Sichtweise mündet erneut in eine Frage: „Dinosaurier waren für mehr als 150 Millionen Jahre die erfolgreichste Tiergruppe auf der Erde. Das Ende ihrer Herrschaft kam plötzlich. Was hat das mit uns zu tun?“ Dies zu erkunden, sich mit Biodiversität und Klimawandel auseinanderzusetzen, sei ein Auftrag der Ausstellung, sagt Generaldirektor Vogel. „Die Besucherinnen wandern entlang der Zeitachse der Erdgeschichte und treffen – erstmalig in einer Ausstellung – auf Arten aller drei Zeitalter, aus Trias, Jura und Kreide.“ Wie attraktiv die Thematik sei, spiegle zum einen die Besucherzahl wider – sie liegt schon jetzt um mehr als 30 Prozent höher als bei der ersten Sonderausstellung zwischen 2015 und 2019 – und das Alter der Interessierten: Rund zwei Drittel der Besucher sind zwischen 16 und 40 Jahre alt. „Ihre Sorge um unsere Erde ist ein starker Antrieb, hierherzukommen“, sagt Johannes Vogel.
Bis Ende 2024 wird Tristan Otto aus der letzten Generation der Dinosaurier in Berlin sein, das ist mit seinem Besitzer so vereinbart. Und dann? Der Direktor blickt dem Zeitpunkt gelassen entgegen. Die Ausstellung ist ein wichtiger Teil, aber eben nur ein Teil. Mit Hochdruck arbeitet er an der Digitalisierung der Museumssammlung. Die Daten können Forscherinnen weltweit nutzen, um globale Zusammenhänge zu erkennen. Als Erstes hat sich sein Team die 15 Millionen Exponate der Insektensammlung vorgenommen, seit November vergangenen Jahres laufen die Scanner. Danach sollen die Vögel folgen – die direkten Nachfolger von Dinosauriern wie Sue, Stan und Tristan Otto.
Text: Katharina Hummert
Fotos: © Peter Adamik
Datum: Juni 2023
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