Dekoration war gestern: Neue Gastronomieprojekte in Berlin und Brandenburg setzen auf Raumkonzepte, die Kunst und Kulinarik inhaltlich zusammenbringen und sie zu einem ganzheitlichen Erlebnis verschmelzen. Da bahnt sich ein neuer Trend an.
Die Beziehung zwischen Kunst und Kulinarik kann schwierig sein. Mal wird das künstlerische Werk zu reiner Raumdekoration degradiert, an anderem Ort wächst es sich zum Kabinett der Eitelkeiten aus und stiehlt der Küchenkunst die Schau. Doch es geht auch anders. Das zeigen neue Gastronomieprojekte in der Metropolregion, beispielsweise das Naturgut Köllnitz am Groß Schauener See vor den Toren der Hauptstadt.
Der See bildet mit vier weiteren die Groß Schauener Seenkette, ein mehr als 1000 Hektar umfassendes Flachgewässer, das sich im Eigentum der Heinz Sielmann Stiftung befindet und unter Naturschutz steht. Die fischreiche Seenlandschaft und ihre Uferzonen bieten einen Lebensraum für seltene und bedrohte Tierarten. Und mit dem Fisch nahm im Naturgut Köllnitz am nordwestlichen Ende der Seenkette auch alles seinen Anfang, sagt Dr. Alexandra Gräfin von Stosch. Die Geschäftsführerin des Berliner Immobilienunternehmens Artprojekt hat die Entwicklung des Gutes vom ersten Tag an begleitet: „Die Fischerei in Groß Schauen ist die älteste in Brandenburg. Wir haben sie vor fünf Jahren mitsamt dem Team übernommen und im ersten Schritt zwei Fischereimeister ausgebildet. Einige unserer Fischer sind schon seit 20 Jahren dabei und kennen wirklich jeden Winkel rund um die Fischerei und auf dem See.“
Womit Alexandra von Stosch bereits den Bogen zur Kunst schlägt, denn der Alltag der Fischer wurde von der Künstlerin Iwona Knorr mit der Kamera festgehalten. Über mehrere Aufenthalte zu verschiedenen Jahreszeiten hat sie die Fischer begleitet; entstanden sind Momentaufnahmen eines Mikrokosmos, angesiedelt in den Weiten des Groß Schauener Sees. Die Fotografien hängen nun im Gastraum der Köllnitzer Hofküche, des Restaurants im Naturgut, ein Fotoband ist geplant.
Die „neue Identität“ für die Traditionsfischerei Köllnitz umfasst Agrarflächen für regenerative Landwirtschaft, die Wiederbelebung alter und in Vergessenheit geratener Obst- und Gemüsesorten sowie artgerechte Tierhaltung. Dass sich daraus ein neues Restaurantkonzept entwickelt, das diese Identität ganzheitlich ins Kulinarische transformiert, ist für Alexandra von Stosch nur logisch und konsequent. „Mit der Köllnitzer Hofküche bieten wir unseren Gästen das erste Farm-to-table-Restaurant der Region. So bilden wir das Grundkonzept der Ganzheitlichkeit auch kulinarisch ab.“
Die Karte des Restaurants trägt die Handschrift von Stefan Ziegenhagen, den viele aus seiner Zeit als Küchenchef des israelischen Restaurants Neni im Bikini Berlin kennen dürften. Bei der Konzeption der Gerichte folgt er dem, was auf dem Naturgut Köllnitz gedeiht. Die Produkte vom Feld, von der Weide oder aus dem eigenen See werden für die Gäste in zauberhafte Gerichte umgewandelt oder in der Räucherei und der Manufaktur zu Spezialitäten verarbeitet. All das erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Bauern, Fischern und der Hofküche, sagt Projektentwicklerin von Stosch. Auch aus diesem Grund habe man das Veranstaltungsformat „Bauer × Fischer × Koch“ kreiert: „Das Event ist Ganzheitlichkeit zum Anfassen; die Landwirte, Fischer und Köche machen erlebbar, wie und was warum auf den Teller kommt.“
Erlebnisräume aus Kulinarik und Kunst zu schaffen, das sei der Anspruch, sagt Alexandra von Stosch. „Real Estate muss sich nachhaltig neu erfinden und Hospitality ebenfalls.“ So wie es ein weiteres Gastronomieprojekt von Artprojekt vorlebt, die amiceria in Bad Saarow. „Essen bei Freunden“, lautet dort das Motto. „Die amiceria ist ein fröhlicher, geselliger Ort. Dort genießen die Gäste gemeinsam.“ Die Kunst stammt von Georg Barber, der seine Werke unter dem Pseudonym ATAK veröffentlicht. Für das Restaurant in Bad Saarow entwarf ATAK ein Bild, das „eine Geschichte an der Wand“ erzählt: „Vor dem Hintergrund einer italienischen Landschaft tummeln sich kleine Szenerien, die sich mehr oder weniger mit dem Begriff von Freundschaft auseinandersetzen“, sagt Georg Barber. „Im Arbeitsprozess hatte ich das Gefühl, an einem fortlaufenden Buch zu arbeiten, für das ich diverse Charaktere und Geschichten entwickelte.“
In Strausberg östlich von Berlin vereint ein weiteres Restaurant Koch- und Bildkunst – das Freilich am See. Dort hat die Konzeptkünstlerin Amélie Esterházy die Silberfolie von Champagnerflaschen und während eines Urlaubs gesammelte Speisekarten zu reliefartigen Wandobjekten mit bunten, sich je nach Lichteinfall ändernden Oberflächen verarbeitet. „Das ist wie bei einem Essen mit Freunden“, sagt die Künstlerin, „man kann die gleiche Speisefolge haben, aber als Gesamterlebnis entwickelt es sich immer anders.“
Kunst und Kulinarik in Symbiose – ein neuer Trend? Auch mitten in der Hauptstadt deutet vieles darauf hin, zum Beispiel das Restaurant Pars in der Charlottenburger Grolmannstraße. Die Bildhauerin und Patissière Kristiane Kegelmann hat das einstige Café Savigny in einen Ort verwandelt, der in seiner Reduktion die Besucherinnen in den Bann zieht. Kegelmanns Anspruch: Geschmack, Herstellung und Gestaltung zu einem Gesamtkunstwerk zu verweben und zwischen Handwerk und Kunst eine erfahrbare Brücke zu schlagen. Befreundete Künstler wie Sarah Loibl, Hannah Sophie Dunkelberg, Pujan Shakupa, Malte Bartsch und Felix von der Weppen nehmen mit ihren Werken Bezug auf die Vergangenheit des Orts und auf seine Gegenwart. In Ergänzung dazu werde es immer wieder Events „mit Kunstkontext“ geben, sagt Kristiane Kegelmann. Die Kunst wiederum habe Einfluss auf das Menü – beide Faktoren befruchten sich gegenseitig.
Räume schaffen für alle Sinne. Resonanz erzeugen und sensibilisieren. Wenn es nach Alexandra von Stosch und Kristiane Kegelmann geht, sind ihre Projekte in Berlin und Brandenburg erst der Anfang. Was nicht weniger bedeutet als: Die Gastronomie ist auf dem besten Weg, sich von der Kunst in eine neue Dimension heben zu lassen. Und Unternehmerinnen aus der Metropolregion geben dabei den Takt an.
Text: Sintje Wilms
Fotos: © Artprojekt,© Maximilian Meisse
Datum: Juni 2023
Das könnte Sie interessieren:
Wie lässt sich Bescheidenheit leben?
Herausforderungen und Chancen für unsere Gesellschaft
Smartphone-Platinen statt Goldmine: Wie Guya Merkle Vorreiterin für ihre Branche werden
Wir verwenden Cookies, die unbedingt erforderlich sind, um Ihnen unsere Website zur Verfügung zu stellen. Wenn Sie Ihre Zustimmung erteilen, verwenden wir zusätzliche Cookies, um zum Zwecke der Statistik (z.B. Reichweitenmessung) und des Marketings (wie z.B. Anzeige personalisierter Inhalte) Informationen zu Ihrer Nutzung unserer Website zu verarbeiten. Hierzu erhalten wir teilweise von Google weitere Daten. Weiterhin ordnen wir Besucher über Cookies bestimmten Zielgruppen zu und übermitteln diese für Werbekampagnen an Google. Detaillierte Informationen zu diesen Cookies finden Sie in unserer Erklärung zum Datenschutz. Ihre Zustimmung ist freiwillig und für die Nutzung der Website nicht notwendig. Durch Klick auf „Einstellungen anpassen“, können Sie im Einzelnen bestimmen, welche zusätzlichen Cookies wir auf der Grundlage Ihrer Zustimmung verwenden dürfen. Sie können auch allen zusätzlichen Cookies gleichzeitig zustimmen, indem Sie auf “Zustimmen“ klicken. Sie können Ihre Zustimmung jederzeit über den Link „Cookie-Einstellungen anpassen“ unten auf jeder Seite widerrufen oder Ihre Cookie-Einstellungen dort ändern. Klicken Sie auf „Ablehnen“, werden keine zusätzlichen Cookies gesetzt.