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Wie kann Berlin den Bau-Turbo starten?

Berlin braucht dringend neue Wohnungen, doch es geht nur langsam voran. Welche einfachen und einheitlichen Genehmigungsverfahren sind notwendig? Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik geben ihre Einschätzung, was den Wohnungsbau der Hauptstadt in Schwung bringen kann.

Tobias Nöfer,
Gründer von NÖFER ARCHITEKTEN, Vorstandsvorsitzender des Architekten- und Ingenieurvereins zu Berlin-Brandenburg
© Marzena Skubatz

“Nach vielen Jahren Planungserfahrung in Berlin muss ich feststellen: Ohne eine grundlegende Verwaltungsreform wird es in dieser Stadt nicht weitergehen. Das gut gemeinte Herumoperieren an Genehmigungsvereinfachungen wie dem digitalen Bauantrag (den es längst gibt) bringt nichts, solange nicht klar ist, wer was zu entscheiden hat. Eine Verwaltungsreform muss erreichen, dass für jede Frage am Ende jeweils nur eine gewählte Person zuständig und verantwortlich ist. Und für das Wichtigste oder fast Unlösbare der Regierende Bürgermeister und das Abgeordnetenhaus. Zielkonflikte etwa zwischen Umwelt- oder Denkmalschutz und Wohnungsbau müssen subito und endgültig entschieden werden können. Jeder Berliner Planer kann von absurden Vorgängen und divenhaft entwickelten Ressortegoismen bei Behörden erzählen, und die Stimme überschlägt sich bei der Schilderung. Das Berliner Verwaltungschaos halte ich für demokratiegefährdend. Ich bete, dass diese große Reform, die eine Zweidrittelmehrheit im Abgeordnetenhaus braucht, noch in diesem Jahr kommt!”

„Nicht nur bundesweit, auch in Berlin werden die von der Politik gesetzten Wohnungsbauziele verfehlt. Es ist deshalb richtig, dass der Senat schneller und entschlossener vorgehen möchte, um die Stagnation im Berliner Wohnungsbau zu überwinden. Eine zentrale Maßnahme ist die längst überfällige Digitalisierung der Verwaltungsämter, die bürokratische Hürden abbaut und ineffiziente Papierprozesse beseitigt. So können bereits genehmigte Bauprojekte endlich umgesetzt werden. Transparente und effiziente Genehmigungsverfahren würden den Weg für zukünftige Bauprojekte ebnen. Doch das ist nur ein Baustein. Wir brauchen innovative Ideen, um den Prozess zu beschleunigen. So wäre beispielsweise die Einführung einer zeitlichen Begrenzung für Bauanträge möglich. Die Festlegung einer maximalen Frist von drei Monaten, nach deren Ablauf ein Antrag automatisch als genehmigt gilt, könnte einen neuen Standard für Effizienz setzen. Diese Maßnahme würde zudem ein positives Signal an Investoren senden, die für den Wohnungsbau unerlässlich sind. Es muss überwunden werden, dass viele Landespolitiker regelmäßig mehr Neubau fordern, zahllose Vorhaben aber weiterhin auf Bezirksebene systematisch verhindert werden. Beendet die Neubaublockade!“

Jürgen Michael Schick,
Inhaber und Geschäftsführer MICHAEL SCHICK IMMOBILIEN GmbH & Co. KG
© Matti Hillig

Christian Gäbler,
Senator für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen
© Andreas Labes

„Oft vergeht zu viel Zeit zwischen dem Beginn der Planungen und der Übergabe des fertigen Gebäudes. Deshalb wollen wir hier in Berlin mit einem Schneller-Bauen-Gesetz Abläufe ermöglichen, mit denen Planen und Bauen schneller wird. Vor allem wollen wir damit den Wohnungsbau beschleunigen. Das Ziel ist, Brachflächen zügiger zu bebauen und Aktenberge in Bauämtern abzubauen. Dafür haben wir in den letzten Monaten Hunderte Hinweise, Vorschläge und Anregungen von den betroffenen Verbänden und Bezirken ausgewertet. Mitte 2024 wollen wir unser Gesetz vorlegen. Wir schauen uns Verwaltungsabläufe sowie Verwaltungs- und Ausführungsvorschriften an, um komplizierte Planungs- und Genehmigungsverfahren einfacher und schneller zu machen. Im Fokus stehen zum Beispiel die Einführung verbindlicher Fristen, die Vereinfachung und Straffung von Verfahren und der Einsatz digitaler Tools. Eine klare Aufgabendefinition und -trennung in der Zusammenarbeit von Hauptverwaltung und Bezirken sowie eine verbesserte Abstimmung zwischen den Beteiligten im Rahmen der Bauleitplanung und der Genehmigung von Vorhaben werden weitere wichtige Bausteine unseres Schneller-Bauen-Gesetzes sein.“

„Um die Schaffung und Bezahlbarkeit von Wohnraum dauerhaft zu sichern, muss Berlin eine führende Rolle als Eigentümer von Bauflächen sowie Bauherr und Halter von Wohnungen übernehmen. Dazu ist eine bedeutende Flächenbevorratung notwendig, unterstützt durch die Aufwertung kommunaler Vorkaufsrechte, rechtliche Stärkung städtebaulicher Gebote sowie vergaberechtliche Erleichterungen für Planungs- und Bauleistungen. Wenig geeignet ist das derzeit diskutierte Umgehen planerischer Verfahren durch Notstandsregelungen im Planungsrecht, weil es die ohnehin komplexe Bildung von politischem und gesellschaftlichem Konsens torpediert, Rechtsunsicherheit schafft und der Umsetzung von langfristigen Planungs- und Entwicklungszielen nicht dienlich ist. Gerade für Berlin, geprägt durch zahlreiche gesellschaftliche Brüche, wäre eine langfristig angelegte Wohnraumaufbaustrategie mit einem kontinuierlich langen Atem essenziell.“

Prof. Dr.-Ing. Jan Polívka,
Technische Universität Berlin, Institut für Stadt- und
Regionalplanung, Fachgebiet Stadtplanung und Bestandsentwicklung
© Roland Fechter

Dr. Robert Momberg,
Hauptgeschäftsführer Bauindustrieverband Ost
© Bauindustrieverband Ost

„Seit Jahren liegt die Zahl der fertiggestellten Wohnungen unter der vom Senat ausgegebenen Zielmarke von 20 000 Einheiten pro Jahr. Die Gründe hierfür liegen in den hohen Materialpreisen, den gestiegenen Kreditzinsen sowie einer desolaten Förderlandschaft – insbesondere für energieeffizientes Bauen. Hinzu kommen anhaltende personelle Probleme in Berlins Bauverwaltungen. Eine Beschleunigung des Bauens kann daher nur auf der Grundlage eines umfassenden Ansatzes erfolgen, der gleichzeitig neuralgische Punkte in allen Bauphasen in den Fokus nimmt. Dazu gehört zunächst die klare Zuordnung von Zuständigkeiten zwischen der Hauptverwaltung und den Bezirken – das Land Berlin muss bei Belangen von gesamtstädtischer Bedeutung auch die nötige Zugkraft entwickeln können. Des Weiteren müssen die aktuellen Planungs- und Genehmigungsverfahren endlich entschlackt und vereinfacht sowie mit kurzen, einheitlichen Fristen versehen werden. So könnten beispielsweise Anpassungen an den bisherigen Prozessketten im Rahmen der Anzeige- und Widerspruchsverfahren schnellere Verfahren ermöglichen.“

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