Kapitalmärkte: Graustufen statt schwarz oder weiß

Die Welt kann völlig unterschiedlich erscheinen – je nach Blickwinkel

„Never fight the Fed“ – oder doch?

Der Investor steht vor einem Dilemma

 

Autor: Jens Herdack
Finanzmarkt aktuell per 13. Mai 2022
Jens Herdack,  CEFA, CIIA, Portfoliomanager

Foto Jens Herdack

Da sind sie wieder, die Crash Propheten dieser Welt. Lange Zeit in der Bedeutungslosigkeit verschwunden, kann man nun den Eindruck gewinnen, dass plötzlich jeder Artikel und jeder Post in den sozialen Medien davon handelt, dass der Aktienmarkt nur noch fallen könne. Aber auch wenn uns diese Auguren das derzeit wieder suggerieren wollen, ist an den Kapitalmärkten nicht alles schwarz oder weiß. Es gibt nach wie vor viele Graustufen. Welche Einflüsse derzeit um die Übermacht kämpfen und welchen großen Unterschied es macht, ob man von oben auf die Welt schaut oder von unten, das zeigen wir Ihnen heute im Finanzmarkt aktuell.

Die Welt kann völlig unterschiedlich erscheinen – je nach Blickwinkel

Betrachtet man die aktuelle Gemengelage im Detail, fallen einem erstaunlich viele Ungereimtheiten auf. So ist es nach wie vor so, dass die Aktienmärkte fallen, ohne dass die zugrunde liegenden Gewinne der Unternehmen in der Breite zurückgingen. Im Gegenteil brachte die jüngste Berichtssaison starke Gewinnmeldungen der Unternehmen, und auch die Gewinnaussichten wurden von den Analysten weiter nach oben korrigiert. Eine solche Situation ist insbesondere deswegen spannend, weil sie uns aufzeigt, dass eine der beiden Bewegungsrichtungen womöglich in die falsche Richtung führt. Von oben betrachtet, werden die Aktienkurse wegen der anhaltenden Diskussion um weitere Zinserhöhungen der Notenbanken nach unten getrieben. Das liegt insbesondere daran, dass der aktuelle Wert einer Aktie aus den zukünftigen Einnahmen des Unternehmens abgeleitet wird. Erhöht man den Zins in der Berechnung des vermeintlich fairen Wertes einer Aktie, so sinkt der heutige Wert der zukünftigen Erträge. Mathematisch gibt es dazu noch den Effekt, dass insbesondere die fairen Werte von Aktien mit starkem Gewinnwachstum am meisten leiden und dementsprechend im Moment an den Börsen am stärksten abgestraft werden. Schaut man sich aber mal von unten herauf die jüngst veröffentlichten Quartalsberichte der Unternehmen sowohl in den USA als auch in Europa an, dann sieht man, dass die Unternehmen ihre Gewinne deutlich steigern konnten. Darüber hinaus gibt eine Mehrzahl der Unternehmen an, dass sie damit rechnen, ihre Margen weiter ausbauen bzw. auf den aktuell hohen Niveaus halten zu können. Wenn Kurse fallen und Gewinne steigen, dann bedeutet das aber nichts anderes, als dass die Aktienbewertung deutlich günstiger wird.

„Never fight the Fed“ – oder doch?

Auf der anderen Seite der Überlegungen stehen die Notenbanken. „Never fight the Fed!“ ist eine viel zitierte Börsenweisheit in diesem Zusammenhang (Fed = US-Notenbank). Was nichts anderes heißen soll, als dass die Notenbanken durch ihre Liquiditätsbereitstellung Märkte deutlich antreiben können. Unterstellt man nun, dass die Notenbanken ihre Liquidität einschränken, so müsste das im Umkehrschluss eigentlich auch dazu führen, dass die Aktienmärkte fallen. So ist die allgemeine Lesart, die die aktuelle Marktreaktion dominiert. Für Investoren gilt es herauszufinden, welcher Einfluss sich stärker durchsetzen wird, der Liquiditätsentzug der Notenbanken oder die Margen- und Gewinnstärke der Unternehmen. Viele Produkte sind derzeit nur zu erhöhten Preisen zu bekommen, müssen von vielen Verbrauchern und Unternehmen aber trotzdem gekauft werden. Auch eher freiwillige Anschaffungen werden vor dem Hintergrund einer allgegenwärtigen Berichterstattung über Geldentwertung bereitwillig zu hohen Preisen getätigt. Wo man vor zwei Jahren noch deutliche Rabatte beim Autokauf bekam, findet man heute fast ausschließlich die Originalpreise. In der Chip- Industrie gibt es weiter extreme Knappheit, und auch die globalen Lieferketten sind durch die Corona-Null-Toleranzpolitik Chinas immer noch deutlich gestört, so dass die Preise für Vorprodukte hoch bleiben. Dieser Effekt zieht sich im Moment durch die Unternehmen bis zum Konsumenten. Dementsprechend bleibt die Inflation erhöht. Wir glauben allerdings, dass wir nun einen Hochpunkt der Inflation erreicht haben könnten. Was jedoch unklar bleibt: ob jetzt nachgelagert eine Lohn-/Preisspirale einsetzt und die weiter sehr stark gestörten Lieferketten zu erneut steigenden Preisen führen werden.

Der Investor steht vor einem Dilemma

Der Investor steht vor einem Dilemma. Durch die restriktivere Notenbankpolitik müssen nicht nur Aktien-, sondern auch Renteninvestoren deutliche Kursverluste hinnehmen. Der Diversifikationseffekt eines gemischten Aktien/Renten-Portfolios greift nicht. Sollte man deshalb nun alles in Kasse umschichten? Wir glauben nein. Wichtig ist es, in angespannten Marktphasen nicht in Panik zu verfallen. Objektiv gesehen haben die Börsen schon deutlich korrigiert, und fundamental bietet sich wie beschrieben von Unternehmensseite ein gar nicht so schlechtes Bild. Anleiheinvestoren sollten ihre Portfolios zwar weiter defensiv positionieren. Mit zunehmenden Renditeniveaus ergeben sich aber auch mal wieder Chancen, einzelne Anleihen mit längeren Laufzeiten beizumischen. Aktieninvestoren können sich über die Auswahl von margenstarken Unternehmen sicherer aufstellen. Auch die Beimischung von sogenannten Value-Unternehmen, also solchen mit günstiger Bewertung, hilft, die aktuellen Kursverluste abzupuffern. Ein vollständiger Rückzug aus dem Markt, wenn die Kurse bereits gefallen sind, erscheint langfristig hingegen kein guter Rat zu sein.

Haftungsausschluss:

Diese Darstellung der aktuellen Marktsituation haben wir entweder selbst angestellt oder aus von uns als zuverlässig angesehenen Quellen bezogen. Trotz Anwendung größter Sorgfalt können wir für die Richtigkeit unserer Einschätzungen keine Haftung übernehmen. Diese Darstellung ist nicht als Aufforderung zum Erwerb, Verkauf oder Halten bestimmter Wertpapiere intendiert.

Ansprechpartner für Journalisten:

Pressesprecher Robert Heiduck, (030) 8 97 98 - 388

i