Es ist zu heiß in Europa. Und zu trocken. Viele Regionen warten seit Wochen auf Regen. Flüsse trocknen aus, die Schifffahrt kommt teilweise zum Erliegen. In Dutzenden Orten ist das Trinkwasser abgestellt. Was wie eine Dystopie klingt, ist Realität im Jahr 2022. Denn auch in Europa wird Wasser immer knapper. Was bedeutet das für die Wirtschaft und welche neuen Wege gibt es, um der Wasserknappheit zu begegnen?
71 Prozent der Erdoberfläche sind von Wasser bedeckt – und doch ist es rar. Denn nur 2,5 Prozent des weltweiten Wassers sind Süßwasser, das sich trinken oder für die Landwirtschaft nutzen lässt. Und nur 0,3 Prozent dieses Süßwassers liegt leicht erreichbar in Seen oder Flüssen. Das für unser Überleben so wichtige Nass ist also eigentlich schon immer selten gewesen – Klimawandel, Bevölkerungswachstum und steigender Wasserverbrauch machen das inzwischen deutlich sichtbarer als in der Vergangenheit.
Wie kostbar Wasser ist, wird vielen im reichen Europa erst jetzt klar, wenn einst mächtige Flüsse wie der Rhein und der Po kaum noch Wasser führen. Wenn in Frankreich Atomkraftwerke abgeschaltet werden müssen, weil die Flüsse nicht genug Kühlwasser bieten. Oder wenn 2022 als neues Waldbrand-Rekordjahr in die Geschichtsbücher eingeht, weil Feuer in Europa rund 660 000 Hektar Land zerstörten, vor allem in südlichen Staaten wie Portugal, Spanien oder Frankreich. Aber auch in Brandenburg, Sachsen, Hessen und Berlin wüteten Waldbrände – eine direkte Folge von Dürre und Klimawandel. In den ärmsten Regionen der Welt ist die Lage weitaus ernster. Die Welthungerhilfe schätzt, dass im Osten Afrikas mehr als 20 Millionen Menschen hungern, da sich auf den ausgetrockneten Böden nichts mehr anbauen lässt. Schon heute verlassen weltweit Millionen Menschen wegen Dürren ihre Heimat – ein Trend, der sich mit abnehmender Wassermenge verschärfen könnte.
Auch in Europa sind die Folgen der Dürre in der Landwirtschaft spürbar. In einigen Regionen sind die Ernten um mehr als 50 Prozent gesunken. Das Umweltbundesamt empfiehlt den Landwirtinnen und Landwirten, sich der Wasserknappheit anzupassen. So könne man beispielsweise Böden aufrauen, damit sie Wasser besser aufnehmen und speichern können. Außerdem wird empfohlen, effizient und mit möglichst wenig Verdunstung zu bewässern sowie Sorten anzubauen, die besser mit der Trockenheit zurechtkommen.
Trockenheit hat aber nicht nur Auswirkungen auf den Agrarsektor, sondern auf die gesamte Volkswirtschaft, insbesondere auf die Infrastruktur. So ist die Trinkwasserversorgung im Sommer in mehr als 100 französischen Gemeinden zusammengebrochen. Sind die Pegel der Flüsse zu niedrig, ist außerdem die Schifffahrt nur noch eingeschränkt möglich. Die Folge: An Flüssen ansässige Unternehmen müssen ihre Produktion drosseln, da die Transportkapazitäten nicht mehr ausreichen. Außerdem drohen die ohnehin angespannten Lieferketten zu zerreißen, und Rohstoffe wie Öl, Kohle oder Benzin gelangen nicht mehr in ausreichender Menge ins Binnenland. Niedrige Wasserstände bedrohen aber nicht nur den Schiffsverkehr, sondern auch den Verkehr auf Straße und Schiene. Denn liegen zum Beispiel die Fundamente von Brücken im Trockenen, verlieren sie ihre Stabilität und werden im schlimmsten Fall unpassierbar.
Auf die Probleme der Wasserknappheit reagieren Staaten und Unternehmen in aller Welt. So hat die Europäische Union im vergangenen Jahr ihre Strategie für die Anpassung an den Klimawandel vorgestellt, die den Fokus darauf legt, dass Wasser verfügbar bleibt. Auch die Bundesregierung erarbeitet eine Anpassungsstrategie, die beispielsweise das Forschungsministerium unterstützt, indem es praxisnahe Projekte zum Umgang mit der Dürre fördert.
Wenn zurzeit nur ein kleiner Teil des Süßwassers unserer Erde genutzt wird, liegt es nahe, nach neuen Quellen zu suchen. Ausgerechnet im Meer wollen Forscherinnen und Wissenschaftler des Kieler Geomar-Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Süßwasser ausfindig machen. Die Geophysikerin Marion Jegen fahndet in Küstenregionen unter dem Meeresboden nach dem sogenannten Offshore-Grundwasser. Sein Volumen soll ungefähr dem des gesamten Schwarzen Meers entsprechen – ein Hoffnungsschimmer für wasserarme Küstenstaaten wie Malta oder Südafrika. Die Suche nach dem edlen Nass ist aufwendig: Mit einem Schiff fahren Jegen und ihr Team die Küstenregionen ab und senden elektromagnetische Wellen bis zu 400 Meter tief in den Meeresboden. So finden sie heraus, wo im Kalkstein Süßwasser gespeichert ist. Ob dieses als Trinkwasser genutzt werden könnte und wie es sich gegebenenfalls abpumpen lässt, werden allerdings erst weitere Forschungen ergeben.
Eine andere unkonventionelle Wasserquelle ist die Luft. Neben Firmen in Österreich, Israel und Indien arbeitet auch das bayerische Start-up Aquahara daran, Wasser aus der Luft zu gewinnen. Es hat eine besonders effiziente und nachhaltige Technologie entwickelt, mit der sich trockene Regionen relativ günstig und umweltfreundlich mit Wasser versorgen lassen. Spezielle Salze entziehen der Luft Feuchtigkeit, die dann mit Solarenergie erhitzt wird. Der Wasserdampf wird aufgefangen, abgekühlt und zu Frischwasser. Um 200 Liter Wasser zu erzeugen, werden 100 Quadratmeter mit Solarmodulen benötigt. Im August dieses Jahres hat Aquahara einen Pilotversuch in Marokko erfolgreich beendet. Das System funktioniert nach Angaben des Unternehmens zu jeder Jahreszeit und auch in extrem trockenen Umgebungen wie Wüsten.
Auch Boreal Light – Bundessieger beim KfW Award Gründen 2019 – erzeugt Trinkwasser mittels Solarenergie. Allerdings nicht aus der Luft, sondern aus salzigem oder verschmutztem Wasser. Die solarbetriebene Wasseraufbereitungsanlage kann sogar aus dem Toten Meer mit seinem Salzgehalt von 33 Prozent Trinkwasser gewinnen. Per Fotovoltaik wird eine Pumpe betrieben, die Wasser aus einem Brunnen, einem See oder dem Meer holt. Es durchläuft dann mehrere Filterstufen, die an die jeweilige Verschmutzung angepasst sind und auf chemische Zusätze verzichten. Das System von Boreal Light ist nachhaltig, das Trinkwasser günstig: Am somalischen Wasserkiosk des Unternehmens kosten 1000 Liter 50 Cent – für fünf Liter von Konzernen angebotenes Trinkwasser müssen die Menschen dort laut Boreal-Light-Gründer Ali Al-Hakim einen Dollar zahlen.
Anstatt zusätzliches Wasser zu gewinnen, setzen andere Lösungen darauf, das vorhandene sparsamer und effizienter zu verwenden. Die Fraunhofer-Ausgründung ConstellR beispielsweise will ab 2023 mit einem Schwarm kleiner Infrarotsatelliten die Oberflächentemperatur der Erde messen. So soll es unter anderem für die Landwirtschaft möglich werden, drohende Dürren früher zu erkennen und sie mit gezielter Bewässerung zu verhindern. Das Ziel: größere Ernten bei weniger Wasser- und Düngereinsatz. Das italienische Start-up Finapp setzt ebenfalls auf das All, um nachhaltig Wasser zu sparen. Die Ausgründung der Universität von Padua hat einen Sensor entwickelt, der die kosmische Strahlung nutzt und aus einem fahrenden Auto heraus messen kann, wie feucht ein Boden ist. So lassen sich Felder effizienter bewässern, und es ist leichter festzustellen, ob Leitungen undicht sind und Wasser an den Boden abgeben. Frisch ausgezeichnet mit dem in diesem Jahr erstmals vergebenen Deutschen Innovationspreis für Klima und Umwelt wurde das in Salzgitter ansässige Unternehmen Klink Textile Pflege-Dienste. Es hat ein Verfahren erfunden, das bei der Jeans-Produktion mit mindestens 85 Prozent weniger Frischwasser auskommt. In der weltweiten Jeans-Herstellung ließen sich so 14,1 Millionen Kubikmeter Wasser einsparen – jeden Monat.
Dass der fundamentale Rohstoff knapper wird, versetzt Teile der Branche in eine gewisse Goldgräberstimmung. Wasser-Start-ups aus 90 Ländern haben 2021 geschätzte 470 Millionen US-Dollar von Investoren eingesammelt. Das zeigt, dass zurzeit rund um die Welt Antworten gesucht und oft auch gefunden werden auf eine Frage, die für die gesamte Menschheit und für jeden einzelnen Menschen lebenswichtig ist: Wie schaffen wir es, dass wir alle morgen noch genug Wasser haben?
Text: Christian von Jakusch-Gostomski
Foto: Daniel Heighton / Shutterstock
Datum: Oktober 2022
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