Immer mehr Menschen vermachen ihr Vermögen wohltätigen Organisationen. Mit wenig Aufwand kann der Nachlass so eine enorme Wirkung entfalten. Diese Aussicht erleichtert manchen sogar den Einstieg in das sensible Thema Erbe.
Eine ganze Generation lang wird immer eine Jazzmusikerin oder ein Jazzmusiker ihren Namen tragen: In diesem Mai vergibt die Karl-Hofer-Gesellschaft zum ersten Mal das Lydia-Steffens-Jazzstipendium. Je ein Jahr lang erhält ein Nachwuchstalent 1000 Euro pro Monat. Für 25 Jahre ist die finanzielle Unterstützung der Lydia-Steffens-Stipendiaten gesichert – durch die großzügige Erbschaft der Berlinerin. „Lydia Steffens hinterlässt für längere Zeit einen Fußabdruck in der Stadt, in der sie gelebt hat“, sagt Stephanie Bucksch von der Geschäftsstelle der Karl-Hofer-Gesellschaft, des Freundeskreises der Universität der Künste Berlin.
Gutes tun – auch nach dem Lebensende. Dieses Ziel verfolgen immer mehr Menschen: Fast jeder dritte Deutsche ab 50 Jahren kann sich vorstellen, eine gemeinnützige Organisation in seinem Testament zu bedenken. Das zeigt eine 2020 veröffentlichte Umfrage der Initiative „Mein Erbe tut Gutes“, in der sich 25 Charity-Organisationen aus Deutschland zusammengeschlossen haben – von Amnesty International bis zur Tierschutzorganisation Vier Pfoten.
200 Prozent mehr Einnahmen aus Erbschaften
Anfang der 2010er-Jahre hatte die Initiative schon einmal eine Befragung durchgeführt. Damals stimmte nur jeder Neunte dieser Aussage zu. Trotz der Coronapandemie, trotz der rapide steigenden Lebenshaltungskosten verbreite sich der Gedanke eines gemeinnützigen Nachlasses, beobachtet Susanne Anger, die Sprecherin der Initiative: „Es gibt eine Generation, die eine lange Wohlstands- und Wachstumsperiode in diesem Land erlebt hat. Jetzt sagen sich viele: ‚Mir ist es gut ergangen im Leben, da will ich etwas zurückgeben.‘“
Der Trend, etwas vom eigenen Vermögen weiterzureichen, ist in harten Zahlen ablesbar. Die Einnahmen aus Geldspenden haben sich für gemeinnützige Vereine und Verbände in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt, zeigen Auswertungen der Jahresberichte. Geht es um Einnahmen aus Nachlassen und Erbschaften, liegen die Summen sogar um fast 200 Prozent höher: „Das Interesse an dieser Art des Nachlasses ist überproportional gestiegen“, bestätigt Anger.
Mit wenig Aufwand zur großen Wirkung
Insgesamt geht es um große Summen: Weit über 100 Milliarden Euro wurden zuletzt pro Jahr in Deutschland durch Erbschaften und Schenkungen übertragen, berichtet das Statistische Bundesamt. Allerdings haben zwei Drittel der Deutschen laut einer YouGov-Umfrage bisher keinen Letzten Willen aufgesetzt. „Zum gemeinnützigen Vererben brauche ich immer ein Testament“, betont Anger – denn sonst müssen sich die Nachlassverwalter streng an die gesetzliche Erbfolge halten. Findet sich hier kein Erbberechtigter, fließt das Geld in die Staatskasse. Gerade das wollen viele Menschen verhindern. Immerhin 22 Prozent der Befragten in der „Mein Erbe tut Gutes“-Umfrage gaben an, dass sie bei fehlenden Erben verhindern wollen, dass ihr Vermögen an den Staat geht. Im Fokus steht jedoch der Wunsch, aus voller Überzeugung gute Zwecke fördern zu wollen: Der Aussage, seine eigenen Werte weitergeben zu wollen, stimmten 41 Prozent der Befragten zu.
Häufig kommt das sensible Thema Vererben beim Eintritt in den Ruhestand auf den Tisch. Viele machen sich in dieser neuen Lebensphase Gedanken über ihre Finanzen – und auch das eigene Lebensende wird in den Blick genommen mitsamt der Frage, wie einmal Kinder, Verwandte oder Vereine bedacht werden sollen. Die Suche nach einer wohltätigen Verwendung von Teilen des eigenen Vermögens erleichtere es manchen Menschen, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen, sagt Anger: „Wenn das Vererben mit einer guten Absicht verbunden ist, können sich viele deutlich freier dem Thema widmen.“
Alle Freiheiten beim Letzten Willen
Und die Freiheiten bei der Gestaltung des Letzten Willens sind nahezu grenzenlos. Das fängt bereits mit der Auswahl der Empfänger an. Laut der ausführlichen Studie aus dem Jahr 2020 kann sich jeder zweite Befragte vorstellen, Umwelt-, Natur- und Tierschutz mit seinem Erbe zu unterstützen. Diese Bereiche hatten einige Jahre zuvor noch deutlich weniger Menschen im Blick: „Da spürt man, wie sich das Bewusstsein in der älteren Generation verändert hat“, sagt Anger. Ein Vermächtnis für soziale Zwecke können sich ähnlich viele der Befragten vorstellen.
In einigen Fällen fangen Menschen an, gezielt nach passenden Empfängern für ihr Erbe zu suchen. Häufiger gibt es engere, manchmal jahrzehntealte Verbindungen zu den generellen Zielen eines Verbands – etwa die Liebe zu Tieren oder dem Theater – oder zu konkreten Einrichtungen. Je kleiner eine Organisation, desto bedeutsamer wirkt dabei jedes einzelne Vermächtnis. Unterschiedlich sind auch die konkreten Wünsche der Vererbenden. Manche überlassen es den Organisationen, die passende Verwendung auszuwählen. Andere schreiben als Bedingung fest, dass keine Verwaltungsausgaben mit ihrem Erbe finanziert werden dürfen. Und einige haben ein ganz spezielles Projekt oder Vorhaben im Kopf. Lydia Steffens gab der Karl-Hofer-Gesellschaft die Richtung vor: „Es sollte in jedem Fall etwas mit Jazz zu tun haben“, sagt Bucksch, „aber sie hat offengelassen, ob das Vermögen einem Preis oder einem Stipendium dienen soll.“
Die Summen der Vermächtnisse gehen stark auseinander: Mal sind es wenige Hundert Euro, immer wieder aber auch hohe fünfstellige oder niedrige sechsstellige Beträge, die an eine Organisation fließen. „Jeder Beitrag ist wertvoll, jeder gibt das, was er geben möchte oder kann“, sagt Ariane Missuweit, die beim Naturschutzbund Deutschland (NABU) zu Testamenten und Vermächtnissen berät. Da die Testamente in vielen Fällen Jahre vor dem Ableben niedergeschrieben werden, können sich die Vermögensverhältnisse ändern. Wer hier sichergehen will, dem empfiehlt Expertin Anger eine Quotenregelung statt fix festgeschriebener Summen – „etwa die Hälfte des Bargeldvermögens oder ein bestimmter Anteil am Aktiendepot“.
Überraschende Unterstützung
Zudem raten Experten, sich ausführlicher mit den Organisationen auseinanderzusetzen, denen man größere Summen zukommen lassen will. Das kann digital ebenso gelingen wie in einem persönlichen Austausch – insbesondere größere Organisationen haben dedizierte Ansprechpartner für Erbschaften und Testamente.
Oft werden die Vereine und Verbände von einem Vermächtnis überrascht. So wusste die Karl-Hofer-Gesellschaft im Vorfeld nichts von der Erbschaft in sechsstelliger Höhe, die nun Jazzstipendiatinnen finanziert. Beim NABU stehe man mit etwa einem Drittel der Erblasser zuvor im Austausch, berichtet Missuweit – zu den anderen gebe es allenfalls eine lose Verbindung, beispielsweise über ehrenamtliche Mithilfe in Ortsgruppen.
Für die gemeinnützigen Organisationen sind Erbschaften willkommene Einnahmen, die für sie zudem erbschaftsteuerfrei sind. Verlässliche Geldquellen sind sie aber nicht: „Wir planen nicht mit diesen Einnahmen, aber sie bilden einen riesigen Puffer für Naturschutzprojekte“, sagt Missuweit. Mehr als acht Millionen Euro erhielt der NABU im Jahr 2021 aus Erbschaften – gut zehn Prozent der gesamten Einnahmen. Auf Wunsch werden Erblasser in den Jahresberichten oder auf der Website der Organisation gewürdigt. In der Berliner Zentrale des NABU rankt sich eine großflächige Efeumalerei an einer zentralen Wand hoch – versehen mit Täfelchen zum Gedenken an die Spenderinnen. „Wir laufen jeden Tag daran vorbei, das ist eine schöne Würdigung der Vererbenden“, sagt Missuweit.
Text: Manuel Heckel
Foto: © Studio Käfig
Datum: Juni 2023
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