Autor: Jan Gengel
Jan Gengel ist Direktor der Weberbank und seit 2006 als Portfoliomanager im Bereich Vermögensverwaltung verantwortlich für das Rentenmanagement und die Kapitalmarktanalyse des Hauses. Als gelernter Bankkaufmann werden seine beruflichen Erfahrungen durch die akademischen Abschlüsse als Diplom-Volkswirt der Humboldt Universität zu Berlin, Certified European Financial Analyst (CEFA) und Certified International Investment Analyst (CIIA®) abgerundet.
LANGE HAT DIE EUROPÄISCHE ZENTRALBANK den Anstieg der Verbraucherpreise als ein vorübergehendes Phänomen angesehen, welches vor allem durch die Entwicklungen der Coronapandemie entstanden ist. Doch mittlerweile klettert die Inflation seit mehr als einem Jahr auf immer neue Höhen und verunsichert Verbraucher und Unternehmen gleichermaßen. Mit dem zusätzlichen Energiepreisschock sind nun fast schon zweistellige Inflationsraten erreicht, und die Kritik an einer zu langsam agierenden Notenbank nimmt kein Ende. Mittlerweile steht die EZB aber vor dem großen Dilemma, dass sich die wirtschaftlichen Perspektiven deutlich eintrüben, die Rezessionswahrscheinlichkeit signifikant steigt und die Preise dennoch nicht sinken. Im Gegenteil droht für das vierte Quartal sogar ein weiterer Anstieg. Also, wie wird sich die Notenbank verhalten?
IHR MANDAT VERPFLICHTET SIE DAZU, so schnell und nachhaltig wie möglich wieder Preisstabilität zu erreichen. Die Geldpolitik kann Preise aber nicht direkt beeinflussen oder gar steuern. Stattdessen ändert sie über ihre Instrumente, beispielsweise den Leitzins, die Bedingungen für das Wirtschaftsumfeld und unterstützt so das Wachstum oder versucht es zu bremsen. So kann die EZB durch eine Straffung ihrer Geldpolitik konjunkturbelastende Effekte erzeugen und dadurch das allgemeine Preisniveau indirekt verringern. Und genau diesem Ziel dienten die beiden Zinserhöhungen im Juli und auch im September auf ein aktuelles Niveau von 1,25 Prozent. Dabei wird es aber nicht bleiben. So betonte die EZB-Präsidentin Christine Lagarde mehrfach, dass die Geldpolitik immer noch expansiv wirke und die Wirtschaft nicht ausreichend abgebremst werde. Eine solch bremsende Wirkung erwarten Volkswirte erst ab einem Niveau oberhalb von rund 2,0 Prozent. Daher ist meines Erachtens auf den kommenden Sitzungen mit weiteren Straffungen zu rechnen. Die EZB möchte so die Erwartungen an die Inflation deutlich verringern. Zu groß sind ihrer Ansicht nach die Gefahren, dass sich die Preissteigerungen beispielsweise über höhere Lohnforderungen fortsetzen und immer mehr Güter und Dienstleistungen erfassen.
JEDOCH DÜRFTE DIE ZENTRALBANK mit Beginn des kommenden Jahres vorsichtiger agieren. Vor allem das Dilemma hoher Inflationsraten bei gleichzeitig steigender Rezessionsgefahr sollte zur Vorsicht mahnen, da jede weitere Zinserhöhung die Bredouille sogar kurzfristig verschärft. Dies liegt auch an dem zeitlichen Verzug, mit dem die Geldpolitik auf die Wirtschaft und das Preisniveau wirkt. Eine grobe Daumenregel geht von einer verzögerten Wirkung von rund sechs Monaten aus. Daher sollte es niemanden verwundern, dass selbst die EZB noch für das kommende Jahr eine Inflationsrate von 5,5 Prozent erwartet, trotz der bereits ergriffenen und nun noch folgenden Maßnahmen. Kritiker und Kritikerinnen einer zu langsamen und zu zögerlichen Geldpolitik fühlen sich mehr als bestätigt. Sie verweisen zu Recht auch auf den Handlungsspielraum, den sich die EZB mit einer schnelleren Normalisierung verschafft hätte. Jedoch jetzt noch, also deutlich zu spät, überhastet die Zinsen zu erhöhen und eine wirtschaftliche Vollbremsung zu riskieren wäre aus meiner Sicht der falsche Weg. Vor allem da über Europa nach wie vor das Damoklesschwert einer eskalierenden Energiekrise schwebt, welche eine tiefe und länger anhaltende Rezession hervorrufen würde. Hinzu kommen zahlreiche Probleme wie die weiterhin gestörten Lieferketten durch die Pandemiepolitik in China oder die durch viele neue Ausgabenprogramme explodierenden Staatsschulden in Europa. Alles Hemmnisse, die nun kumuliert die Inflationsbekämpfung erschweren oder die EZB gar zu einer schnellen geldpolitischen Kehrtwende zwingen können. Ein selbst verursachtes Dilemma, da ihr trotz höherer Inflation die Hände gebunden sein könnten.
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