Die EZB auf gefährlicher Mission

Wirtschaft & Trends
Oktober 2018

 

Autor: Jan Gengel
ist Direktor der Weberbank und seit 2006 als Portfoliomanager im Bereich Vermögensverwaltung verantwortlich für das Rentenmanagement und die Kapitalmarktanalyse des Hauses. Als gelernter Bankkaufmann werden seine beruflichen Erfahrungen durch die akademischen Abschlüsse als Diplom-Volkswirt der Humboldt Universität zu Berlin, Certified European Financial Analyst (CEFA) und Certified International Investment Analyst (CIIA®) abgerundet.

Jan Gengel

EIGENTLICH SOLLTE 2018 DAS JAHR der nachhaltigen Zinswende werden. Hoch waren die Erwartungen an eine Neuausrichtung der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) und das Ende der quantitativen Maßnahmen. Die Ernüchterung erfolgte schnell. Anders als 2017 wurden und werden politische Risiken wieder wahrgenommen. Der (zu) große Wirtschaftsoptimismus wandelte sich in ausgeprägte Sorgen vor einer Wachstumsabkühlung oder gar einer bevorstehenden Rezession. Die erwartete Rückführung der expansiven Geldpolitik schien in Gefahr zu geraten. Und das ist äußerst problematisch, da die Notenbank eigentlich schon viel zu spät ist. Sollte sie nicht jetzt mit einer Normalisierung beginnen, fehlen im nächsten Abschwung die notwendigen Instrumente, um die Wirtschaft zu stützen. Also wie sollte sich eine Zentralbank in so einem Umfeld verhalten?

Um es ganz klar zu sagen: genau so, wie sie es gemacht hat – besonnen und mit dem nötigen Weitblick. Sicherlich sind die politischen Risiken nicht von der Hand zu weisen. Als wäre der Austritt Großbritanniens für Europa nicht schon schlimm genug, gefährden die Versprechungen der italienischen Regierung wieder einmal die Finanzstabilität des Landes und damit den Zusammenhalt der Währungsunion. Zusätzlich schwebt das Damoklesschwert des Handelskonflikts über der Weltwirtschaft.

DIE EZB BERÜCKSICHTIGT DIESE ASPEKTE natürlich in ihren Erwartungen – aber bisher nur als Risiko szenarien. Die im Juni angekündigte Richtungsänderung in der Geldpolitik folgt mehr dem Sprichwort: Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Somit geht die Notenbank von einem ausreichend starken Wachstum für den Start der Ausstiegsmission aus. Aktuell sieht der Fahrplan wie folgt aus: Das Anleihenkaufprogramm läuft seit 1. Oktober 2018 mit einem reduzierten monatlichen Umfang von 15 Mil liarden Euro noch bis zum Jahresende. Mit dem Start 2019 wird die Notenbank aufhören, zusätzliche festverzinsliche Wertpapiere am Kapitalmarkt zu kaufen und diese in ihre Bilanz aufzunehmen. Sie möchte also ihre Bilanz nicht mehr vergrößern, sondern auf dem rekordhohen Niveau von dann rund 4,7 Billionen Euro halten.

Dafür muss sie aber am Markt aktiv bleiben und für Fälligkeiten andere Anleihen kaufen. Ziel der konstanten Bilanzsumme ist es, weiterhin Liquidität in Hülle und Fülle zur Verfügung zu stellen. Für welchen Zeitraum sie in dieser Form aktiv bleibt, ist derzeit noch unklar. Sollte die amerikanische Geldpolitik als Blaupause dienen, so können wir mit weiteren drei Jahren, also bis Ende 2021, rechnen. Innerhalb dieser langen Zeitspanne ist nicht von wesentlich höheren Leitzinsen auszugehen. Die EZB hat für einen ersten vorsichtigen Zinsschritt frühestmöglich den Sommer 2019 genannt. Vorsichtig bedeutet, sie dürfte dann lediglich den sogenannten Einlagensatz von aktuell minus 0,4 Prozent leicht anheben. Dies ist der Zins, für den Banken bei der Notenbank kurzfristig Geld parken können. Entlastungen für den Sparanleger rücken so in weite Ferne. Auch ist es im derzeit schwierigen wirtschaftlichen Umfeld schwer vorstellbar, dass auf den ersten Schritt eine Serie von weiteren Zinserhöhungen folgt.

ICH GEHE VON EINEM ÜBER MEHRERE JAHRE dauernden Normalisierungsprozess aus. Ob dieser wirklich gelingen kann, liegt leider nicht allein in der Macht der EZB. Denn sollte es zu einer Eskalation im Handelsstreit kommen oder sollten gar die verantwortungslosen fiskalischen Maßnahmen der italienischen Regierung zu einem erneuten Aufflammen der europäischen Staatsschuldenkrise führen, werden die Hilferufe an die Zentralbank schnell wieder in aller Munde sein.

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