Der Anfang vom Ende – drehen die Notenbanken den Geldhahn zu?

Wirtschaft & Trends
Juni 2021

 

Autor: Jan Gengel
Jan Gengel ist Direktor der Weberbank und seit 2006 als Portfoliomanager im Bereich Vermögensverwaltung verantwortlich für das Rentenmanagement und die Kapitalmarktanalyse des Hauses. Als gelernter Bankkaufmann werden seine beruflichen Erfahrungen durch die akademischen Abschlüsse als Diplom-Volkswirt der Humboldt Universität zu Berlin, Certified European Financial Analyst (CEFA) und Certified International Investment Analyst (CIIA®) abgerundet.

Jan Gengel

Hüte dich vorm bösen Wolf, lernt jedes Kind, das das Märchen vom Rotkäppchen hört. Die Analogie der Kapitalmarktteilnehmer könnte lauten: „Hüten Sie sich vor dem bösen ‚Tapering‘ – es könnte die Rendite auffressen!“ Der in der Finanzwelt häufig verwendete Begriff steht für die Verringerung der Anleihenkäufe der Notenbanken, also den Ausstieg aus der sehr expansiven Geldpolitik. Publik wurde er 2013, als der damalige US-Notenbankchef Ben Bernanke ihn verwendete und damit die Reduzierung der Anleihenkäufe andeutete. Diese hatte die Fed zur Überwindung der Folgen der Finanzkrise genutzt und so der Wirtschaft sehr viel Liquidität zur Verfügung gestellt. Allein die Ankündigung reichte damals aus, den Kapitalmärkten einen Riesenschrecken einzujagen. So intensiv die Verwerfungen damals auch waren, sie hielten nicht lange an. Dies lag vor allem an dem positiven Wachstumsumfeld. In einem Aufschwung ist einfach weniger Unterstützung durch die Notenbanken notwendig. Auch wissen wir heute, dass die amerikanische Zentralbank nur vorübergehend ihre expansive Geldpolitik zurückfuhr und bei entsprechender Notwendigkeit wieder die Gelddruckmaschine startete.

Nun haben wir erneut den Punkt erreicht, an dem Sorgen vor einem Ausstieg aus den expansiven Maßnahmen aufkommen und die Marktteilnehmer verunsichern. Dabei hat uns die Fed eine relativ klare Richtschnur gegeben. Sollte der amerikanische Arbeitsmarkt wieder auf die Vorkrisenniveaus aufschließen und damit der Konjunkturaufschwung volle Kraft entfalten, kann die Notenbank ihre Unterstützungen verringern. Vermutlich wird dies in der zweiten Jahreshälfte geschehen. Wie auch im Jahr 2013 ist es aus meiner Sicht von entscheidender Bedeutung, dass die Fed damit vorerst nicht restriktiv wird, sondern lediglich die Liquiditätszufuhr verringert. Selbst durch phasenweise Inflationsschübe wird sie hindurchsehen und den Aufschwung nicht gefährden. Das „böse Tapering“ sollte eigentlich an Schrecken verlieren.

In Europa fehlt diese klare Richtschnur bisher. Dennoch dürfte auch die EZB ihre Anleihenkäufe verringern – aber nicht einstellen! Das ist der entscheidende Unterschied. Die EZB nutzt zahlreiche Instrumente, um die Liquidität zu erhöhen. Dazu zählen neben diversen Kreditprogrammen auch Anleihenkäufe. Das dynamischste Programm dürfte das aufgrund der Coronakrise genutzte Pandemic Emergency Purchase Program, kurz PEPP, sein. Es wurde für die Bewältigung der Pandemie und nicht auf Dauer angelegt. Sollte sich eine Besserung der Entwicklung zeigen, so wie es für die kommenden Monate zu erhoffen ist, dürfte es zurückgeführt werden.

Doch genau daran stören sich die Kapitalmarktteilnehmer. Zu groß scheint der Gewöhnungseffekt an die außergewöhnlichen Maßnahmen geworden zu sein. Übersehen wird dabei, dass die EZB noch weitere Instrumente und auch Kaufprogramme nutzt. Diese dürften mit dem auslaufenden PEPP sogar erhöht werden. Damit möchte die EZB sprunghaften Zinsanstiegen entgegenwirken und die Refinanzierungsbedingungen an den Anleihenmärkten möglichst attraktiv halten. Im Vergleich zu den USA dürfte der Euroraum daher noch länger von Anleihenkäufen der Notenbank profitieren. Die „Tapering“-Diskussion wird meines Erachtens zu sehr pauschalisiert, die weiteren EZB-Programme sind dabei ungenügend berücksichtigt. Liquidität wird auch in den kommenden Monaten keine Mangelware.

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