Money for nothing

Wirtschaft & Trends
Juni 2016

 

Autor: Jan Gengel
ist Direktor der Weberbank und seit 2006 als Portfoliomanager im Bereich Vermögensverwaltung verantwortlich für das Rentenmanagement und die Kapitalmarktanalyse des Hauses. Als gelernter Bankkaufmann werden seine beruflichen Erfahrungen durch die akademischen Abschlüsse als Diplom-Volkswirt der Humboldt Universität zu Berlin, Certified European Financial Analyst (CEFA) und Certified International Investment Analyst (CIIA®) abgerundet.

Jan Gengel

Seit geraumer Zeit gehört es zum guten Ton, die Europäische Zentralbank (EZB) für ihre Maßnahmen zu kritisieren. Zahlreiche führende Vertreter aus Wirtschaft und Finanzen weisen auf die Enteignung der Sparer hin und untermauern ihre Kritik mit erschreckenden Zahlen. Ein sehr emotionales Thema, mit dem schnell die breite Öffentlichkeit erreicht werden kann. Sehen wir doch alle den Effekt der kümmerlichen Zinserträge auf unseren Konten. Bis jetzt hat die Notenbank mit ihrer Politik keine wirtschaftliche Dynamik entfalten können. Auch die Verbraucherpreise sind nicht nachhaltig gestiegen. Das Gespenst der japanischen Deflationsdekade wurde nicht vertrieben, sondern geistert immer virulenter durch die volkswirtschaftlichen Analysen. So verwundern mich weder die Kritik an der EZB noch die Gedanken über größere und neue Maßnahmen. Dennoch war ich im ersten Moment erstaunt über den Ansatz des Helikoptergeldes – einer besonderen Form der Geldschöpfung, bei der Zentralbank-Geld beispielsweise direkt an Konsumenten ausgezahlt werden würde. Sofort kam das Bild auf, wie Mario Draghi vor dem EZB-Gebäude steht und frisch gedruckte Euronoten an die vorbeigehenden Menschen verschenkt.

Dass unser Garant für eine stabile Währung so weit gehen könnte oder überhaupt eine Diskussion darüber entsteht, hat mich überrascht. Aber nur im ersten Augenblick. Warum? Jede bisher ergriffene Maßnahme führte nicht zu einer größeren Investitionstätigkeit und damit verbunden einer gestiegenen Kreditvergabe. Gleich wie sehr die Zinsen gesenkt wurden und die Banken nun für ihre Einlagen sogar Geld bezahlen müssen, sie nutzen die Liquidität nicht. Die EZB steht vor einem riesigen Dilemma. Weitere Negativzinsen sind natürlich möglich, jedoch wird mit jeder weiteren Maßnahme die Ertragslage der Banken geschwächt. Eine höhere Kreditvergabe ist somit gar nicht mehr möglich. Bis jetzt profitierten die Häuser noch von den sinkenden Renditen. Doch dieser Effekt ist endlich.

Wie also soll der Investitionszyklus in Gang gesetzt werden, wenn der klassische Weg über eine höhere Kreditvergabe nicht mehr funktioniert? Möglicherweise über die direkte Geldvergabe an den Investierenden, also beispielsweise Unternehmen. Der Schritt in diese Richtung ist gar nicht mehr weit, denn bereits der Übergang vom Anleihen- zum Aktienkauf wäre eine erste Möglichkeit. Das Geld würde so auch nicht verschenkt werden, aber direkt in den Wirtschaftskreislauf gelangen. In dieser oder vergleichbarer Form ist das Helikoptergeld gar nicht mehr so abwegig und möglicherweise ein Instrument mit größerer Wirkung. Jedoch wird es an der Kritik an der EZB aus Sicht des Sparers wenig ändern. Bedeutet doch jede Maßnahme weiterhin niedrige Zinserträge. Auch argumentiert die Notenbank, gestützt durch die Bundesbank, dass in den vergangenen Jahren das Zinsniveau keinen entscheidenden Einfluss auf das Sparverhalten hatte. Eine Analyse unter privaten Haushalten ergab sogar ein aus meiner Sicht erschreckend hohes Ergebnis von 77 Prozent der Befragten, die ihr Sparverhalten nicht geändert haben. In den vergangenen fünf Jahren ist der Anteil von Bargeld und Sparguthaben nicht zurückgegangen. Trotz der in dieser Zeit deutlich gesunkenen Zinsen halten Privathaushalte in Deutschland rund 40 Prozent ihres Geldvermögens in wenig bis gar nicht rentierlicher Liquidität. Natürlich hat Liquidität den Vorteil, dass sie nicht den Schwankungen des Kapitalmarkts unterliegt. Aber was ist besser: ein schwankender Ertrag oder kein Ertrag?

Natürlich möchte ich Sie mit dieser Frage provozieren, vor allem aber dazu anregen, nicht zu resignieren. Die Kritik an der EZB und die Sorgen vor weiteren Maßnahmen haben sicherlich ihre Berechtigung. Aber sie rechtfertigen nicht, an lieb gewonnenen Anlagemustern festzuhalten, zunehmend Liquidität zu halten oder gar den neuen Gegebenheiten durch Nichtstun zu begegnen.

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