Nach einem massiven Ausverkauf stabilisierte sich die Situation an den Kapitalmärkten in den vergangenen Wochen wieder.

Pandemiebekämpfung ist Marathonlauf, nicht Kurzstreckensprint

Deutlicher Anstieg der Staatsschulden in Sicht

Attraktivität von Sachanlagen steigt

 

Autor: Daniel Schär
Finanzmarkt aktuell per 17. April 2020
Daniel Schär, Direktor Leiter Portfoliomanagement

Daniel Schär

Nach einem massiven Ausverkauf stabilisierte sich die Situation an den Kapitalmärkten in den vergangenen Wochen wieder. Langsam lässt sich jedoch auch das Ausmaß dessen erahnen, was die internationale Staatengemeinschaft durch die drastischen Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung an wirtschaftlichen Folgen in Kauf nehmen muss. Die Konturen der nahenden Rezession schärfen sich, aber das Bild ist noch unklar. Noch nie lagen die Prognosen der Analysten bezüglich des antizipierten Wirtschaftswachstums weiter auseinander als heute. Der IWF rechnet gar mit dem heftigsten Wirtschaftseinbruch seit der Großen Depression in den Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts. Wie wir die Situation einschätzen, lesen Sie in dieser Ausgabe von „Finanzmarkt aktuell“.

Pandemiebekämpfung ist Marathonlauf, nicht Kurzstreckensprint

Die Neuinfektionszahlen stabilisieren sich in fast allen Regionen, und von einigen Ländern werden erste Lockerungen der Lockdowns angekündigt. Damit wächst die Hoffnung auf eine schnelle Normalisierung des Zustandes. Ungeduld ist jedoch dieser Tage kein guter Wegbegleiter, und so mahnen viele Stimmen nach wie vor zur Vorsicht. Der Weg zurück in die Normalität wird je nach Staat und Intensität der Betroffenheit durch die Pandemie sehr unterschiedlich sein. Die Länge des Weges, so wird zunehmend klar, wird größer sein als ursprünglich erhofft. Selbst nach einer Öffnung werden einige Bereiche des täglichen Lebens, wie beispielsweise eine freie Reisetätigkeit, noch lange eingeschränkt bleiben müssen. Der Kampf gegen die COVID-19-Pandemie wird eher einem Marathonlauf als einem Kurzstreckensprint ähneln. Infolge der massiven Einschränkungen sind die Wirtschaftsaktivitäten in den vergangenen Wochen in allen Regionen der Welt abrupt und scharf eingebrochen. Die jüngste Studie des Internationalen Währungsfonds (IWF) geht von einer Schrumpfung der Weltwirtschaft im Jahr 2020 von 3 Prozent aus. Selbst der asiatische Wirtschaftsraum, der in den letzten Jahren die Triebfeder der Weltkonjunktur war und die Pandemie am schnellsten in den Griff bekommen hat, wird wahrscheinlich in diesem Jahr nur auf dem Vorjahresniveau stagnieren. Schon in der zweiten Jahreshälfte ist von einer deutlichen Erholung der Wirtschaft auszugehen, die sich im Jahr 2021 fortsetzen sollte. Trotzdem wird nach Schätzungen des IWF in diesem Zweijahreszeitraum die Wirtschaftsleistung um 9 Billionen USD geringer ausfallen als ursprünglich erwartet. Dies entspricht in etwa der Wirtschaftskraft von Deutschland und Japan zusammen. In der aktuellen Umfrage des deutschen Maschinenbauverbands VDMA wird deutlich, wo der Schuh derzeit am meisten drückt: Die Planungsunsicherheit ist hoch, Aufträge brechen weg, Lieferketten sind gestört, Service und Vertrieb leiden unter der eingeschränkten Reisetätigkeit und dem Ausfall von Industriemessen. Die Staatshilfen stabilisieren die Situation, setzen aber keine neuen Impulse.

Deutlicher Anstieg der Staatsschulden in Sicht

Wie in den vergangenen Ausgaben von „Finanzmarkt aktuell“ bereits intensiv dargestellt, versuchen Staaten und Notenbanken derzeit alles, um die Ökonomien zu stützen. Die US-Notenbank (FED) hat nun mit einem weiteren Tabu gebrochen: Nachdem sie bereits in den Vorwochen die direkte Finanzierung von Unternehmen ohne die Einbindung von klassischen Banken ermöglicht hat, wurde in der letzten Woche auch der Ankauf von Anleihen mit geringer Bonität beschlossen. Bisher hatte sich die Notenbank ausschließlich auf Papiere mit hoher Bonität beschränkt. Die Bilanzen der internationalen Notenbanken werden durch die Fülle an Maßnahmen in nie gesehener Weise aufgebläht. Ein ähnliches Bild zeichnet sich auch beim Blick auf die Staatshaushalte: Der IWF geht davon aus, dass die Verschuldung der Welt in diesem Jahr von 83 Prozent im Jahr 2019 auf 96 Prozent des BIP steigen wird. Wegbrechende Steuereinnahmen und höhere Kosten für staatliche Hilfsmaßnahmen zollen hier ihren Tribut. Einkommensstarke Länder wie die USA und Deutschland können mit dieser Situation noch umgehen und verfügen über entsprechende Gestaltungsspielräume. Länder wie Italien und Spanien kommen hier schneller an ihre Grenzen, können aber auf Lösungen im europäischen Kontext hoffen. Die ersten Schritte wurden in der vergangenen Woche mit einem europäischen Kurzarbeitergeld sowie Krediten über die europäische Investitionsbank und über den Rettungsschirm ESM beschlossen. Weitere werden mit Sicherheit folgen. Schwerer getroffen sind hingegen Schwellenländer, die häufig weder über eine stabile Währung noch über fiskalpolitische Spielräume verfügen. Hier könnte die aktuelle Krise tiefere und länger andauernde Spuren hinterlassen. Besonders anfällig sind Länder wie Brasilien, Mexico, Türkei und Indien. Bei Investitionen in Anleihen und Aktien in Schwellenländern ist derzeit entsprechend Obacht geboten.

Attraktivität von Sachanlagen steigt

Die vielen neuen Schulden, die aktuell gemacht werden, zementieren das Niedrigzinsumfeld für die nächste Dekade. Deutlich steigende Zinsen werden immer unwahrscheinlicher, da sie für viele Staaten schlichtweg nicht mehr finanzierbar wären. Das macht Sachanlagen wie Aktien und Immobilien, aber auch Gold, als Versicherung gegen Risiken des Finanzsystems aus strategischer Sicht interessanter. Die Nachfrage sowohl nach dem physischen Metall als auch nach Finanzprodukten mit Gold als Basis war in den letzten Wochen hoch. Wir trauen dem Edelmetall vor dem geschilderten Hintergrund weiteres Potential zu. Ein anderer Rohstoff, der aktuell im Fokus steht, ist Öl. Die Notierungen gaben infolge der einbrechenden Nachfrage und des Preiskrieges innerhalb der OPEC+-Gruppe seit Jahresbeginn um über 60 Prozent nach. Die in der letzten Woche erzielte Einigung zur Drosselung der Produktion erweist sich bei genauem Hinschauen als fauler Kompromiss: Die angebliche Kürzung um 9,7 Millionen Barrel pro Tag für die Monate Mai und Juni, die immerhin ca. 10 Prozent der globalen Nachfrage entsprochen hätte, liegt in Wirklichkeit nur bei 2,6 Millionen Barrel. Ein statistischer Effekt macht es möglich. Ein großes Problem ist derzeit auch, dass alle Lager prall gefüllt sind, händeringend nach weiteren Kapazitäten gesucht wird und die Nachfrage schwach bleibt. Wir erwarten in den kommenden Monaten ein weiterhin herausforderndes Umfeld für Öl. An den Aktienmärkten sehen die Marktteilnehmer das Glas zunehmend als halb voll an und haben damit einiges bereits vorweggenommen. Nach der schnellen Erholungsphase erwarten wir in den kommenden Wochen immer wieder Rückschläge, da die Nachrichtenlage gemischt sein wird. Die Unternehmensberichtssaison haben in dieser Woche die amerikanischen Banken mit Daten zum Geschäftsverlauf des ersten Quartals eingeläutet. Der Wertpapierhandel hat vielen US-Instituten das Quartal gerettet, wobei zeitgleich die Risikovorsorge für erwartete Kreditausfälle deutlich ausgeweitet wurde. Die Bilanz wird für europäische und speziell deutsche Kreditinstitute nicht ganz so glücklich ausfallen, da sie schon vor der Krise geschwächt unterwegs waren. Die Ausblicke der amerikanischen Finanzinstitute sind insgesamt sehr vage, was bei der aktuell erhöhten Unsicherheit der wirtschaftlichen Entwicklung nicht verwundert. Wir gewichten den Bankensektor in unseren Portfolien derzeit deutlich unter und präferieren stattdessen defensive Sektoren wie beispielsweise Gesundheit und nichtzyklischen Konsum.

Haftungsausschluss:

Diese Darstellung der aktuellen Marktsituation haben wir entweder selbst angestellt oder aus von uns als zuverlässig angesehenen Quellen bezogen. Trotz Anwendung größter Sorgfalt können wir für die Richtigkeit unserer Einschätzungen keine Haftung übernehmen. Diese Darstellung ist nicht als Aufforderung zum Erwerb, Verkauf oder Halten bestimmter Wertpapiere intendiert.

Ansprechpartner für Journalisten:

Pressesprecher Robert Heiduck, (030) 8 97 98 - 388

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