Weder die Spannungen zwischen Amerika und China noch die gewaltsamen Unruhen in den USA scheinen die Anleger derzeit zu verunsichern.

Schwache Wirtschaftsdaten, aber erste Lichtblicke

Partystimmung an den Aktienmärkten

 

Autor: Sören Wiedau
Finanzmarkt aktuell per 5. Juni 2020
Sören Wiedau, CEFA, Portfoliomanager

Sören Wiedau

Weder die Spannungen zwischen Amerika und China noch die gewaltsamen Unruhen in den USA scheinen die Anleger derzeit zu verunsichern. Selbst die Drohung von Donald Trump, den gewalttätigen Protesten mit dem Militär begegnen zu wollen, noch der gestoppte Kauf von amerikanischen Agrarprodukten durch China lässt die Aktienbörsen kalt. Wie passt das zusammen? Werden alle Risiken durch die Hoffnungen auf eine baldige Besserung der konjunkturellen Lage und den fiskal- und geldpolitischen Stützungsmaßnahmen ausgeblendet? Diesen Fragen wollen wir uns in der heutigen Ausgabe von Finanzmarkt aktuell widmen.

Schwache Wirtschaftsdaten, aber erste Lichtblicke

Die meisten Wirtschaftsindikatoren zeichnen nach wie vor ein düsteres Bild: So wurde das Bruttoinlandsprodukt für die USA im 1. Quartal nochmals nach unten angepasst. Vor allem der Dienstleistungsbereich und damit die wirtschaftliche Wachstumsstütze der letzten Jahre wurde hart getroffen. Auch die US-Konsumausgaben sind aufgrund der Geschäftsschließungen und Ausgangsbeschränkungen gegenüber dem Vormonat stark zurückgegangen. Für das zweite Quartal muss sogar mit einem noch stärkeren Wachstumseinbruch in den USA gerechnet werden. Die dramatische Lage der US-Wirtschaft kam auch im jüngsten Konjunkturbericht der US-Notenbank klar zum Ausdruck, dem sogenannten Beige Book. Die meisten US-Distrikte verzeichneten drastische wirtschaftliche Einbrüche, und die Arbeitslosigkeit nahm stark zu. Eine deutliche Besserung ist laut dem Bericht nicht in Sicht. Die meisten befragten Firmen seien mit Blick auf eine wirtschaftliche Erholung eher pessimistisch, der Ausblick sei zudem unsicher. Neben den schlechteren Daten gab es aber auch erste Lichtblicke, die darauf hinweisen, dass mit den Lockerungsschritten nun eine wirtschaftliche Erholung einsetzt. So kamen vom US-Arbeitsmarkt erstmals wieder etwas erfreulichere Signale: Die Zahl der Personen, die Arbeitslosenunterstützung erhalten, sind zum ersten Mal seit Februar zurückgegangen, und auch die neuen wöchentlichen Anträge auf Arbeitslosenhilfe waren weiter rückläufig. Die Daten deuten darauf hin, dass sich die Entlassungen weiter verlangsamen und die Arbeitnehmer dank der Anfang Mai angelaufenen Öffnung der Wirtschaft wieder vermehrt an ihre Arbeitsplätze zurückkehren. Für Hoffnungsschimmer sorgten auch konjunkturelle Frühindikatoren wie die Einkaufsmanagerindizes für das Verarbeitende Gewerbe oder auch der Ifo Index. Diese konnten sich sowohl in Amerika als auch in Europa von ihren Tiefständen erholen. Es lässt sich dennoch insgesamt festhalten, dass die Wirtschaft nach wie vor schwach ist. Erste Hoffnungsanzeichen sind aber zu erkennen: Die bereits umgesetzten und geplanten weltweiten Lockerungsmaßnahmen dürften in den kommenden Monaten für ein positives Wirtschaftswachstum sorgen. Es bleiben allerdings Risiken bestehen, insbesondere die Gefahr einer zweiten Ansteckungswelle sowie eine Eskalation des Konfliktes zwischen China und USA. Nicht zu unterschätzen sind auch Zweitrundeneffekte wie mögliche Unternehmenskonkurse und langfristig erhöhte Arbeitslosigkeit. Ob die expansive Geld- und Fiskalpolitik dies verhindern können, muss sich erst noch herausstellen. Ökonomisch positiv sehen wir die Aufhebung der Lockdown-Maßnahmen in vielen Ländern. Bisher kam es nicht zu einer zweiten großen Infektionswelle. Sollten die ergriffenen Vorbeugungsmaßnahmen (Maskenpflicht etc.) bereits ausreichen, um die Neuinfektionen dauerhaft niedrig zu halten, könnte die konjunkturelle Erholung durchaus kräftiger ausfallen. Ein wirksames Medikament oder ein Impfstoff gegen Covid-19 würde die Wirtschaft zusätzlich stützen.

Partystimmung an den Aktienmärkten

Die Anleger lassen sich von jeglichen Risiken nicht aus der Ruhe bringen und kaufen fleißig Aktien. Sehr groß ist das Vertrauen in die Notenbanken und die Hoffnung auf einen kräftigen Wirtschaftsaufschwung mit milliardenschweren Konjunkturprogrammen. Während die Mehrzahl der Volkswirte eine U-förmige Erholung der Wirtschaft erwarten, spielen die Aktienmärkte aktuell einen schnellen wirtschaftlichen Aufschwung. Steigende Aktienkurse und fallende Unternehmensgewinne haben dazu geführt, dass die Kurs-Gewinn-Verhältnisse (KGVs) vieler Aktienindizes deutlich höher liegen als im historischen Durchschnitt und auch höher als vor der Corona-Krise. Das KGV des amerikanischen Aktienindex S&P 500 stieg sogar in Regionen, die letztmalig zu Zeiten der Technologieblase registriert wurden. Zwar können höhere Kurs-Gewinn-Verhältnisse zum Teil mit der expansiven Geldpolitik und den damit verbundenen niedrigeren Zinsen gerechtfertigt werden, dennoch zeigt die KGV-Ausweitung, dass die Anleger bezüglich eines Wirtschaftsaufschwunges schon sehr optimistisch sind.

Auch wenn die Bewertungen in vielen Aktienmärkten bereits ambitioniert sind, haben sich aus unserer Sicht die Aussichten für europäische Aktien aufgehellt. Vor allem die jüngsten Vorschläge der Europäischen Kommission für eine Erhöhung des EU-Haushalts und einen Wiederaufbauplan in Höhe von 750 Milliarden Euro sowie das milliardenschwere deutsche Konjunkturpaket sind aus unserer Sicht ein wichtiger Schritt, um die europäische Wirtschaft zu unterstützen. Zwar ist der Wiederaufbauplan noch keine beschlossene Sache, und die Verhandlungen zwischen den einzelnen europäischen Ländern werden schwierig verlaufen, aber letztendlich denken wir, dass sich die Länder zum Wohle von Europa einigen können. Und dann wäre da noch die europäische Notenbank EZB, die ihr Wertpapier-Kaufprogramm um 600 Mrd. Euro auf 1,35 Billionen Euro ausweitet und bis mindestens Juni 2021 verlängert hat. Trotz aller Euphorie über diese Maßnahmen sollten die Risiken nicht außer Acht gelassen werden. Eine starke und schnelle Konjunkturerholung ist keine ausgemachte Sache. Aktuell regiert jedoch das Motto „Die Flut hebt alle Boote“ an den Kapitalmärkten.

Haftungsausschluss:

Diese Darstellung der aktuellen Marktsituation haben wir entweder selbst angestellt oder aus von uns als zuverlässig angesehenen Quellen bezogen. Trotz Anwendung größter Sorgfalt können wir für die Richtigkeit unserer Einschätzungen keine Haftung übernehmen. Diese Darstellung ist nicht als Aufforderung zum Erwerb, Verkauf oder Halten bestimmter Wertpapiere intendiert.

Ansprechpartner für Journalisten:

Pressesprecher Robert Heiduck, (030) 8 97 98 - 388

i