Ute Weiland

Zwischen Garten und Großstadt

Ute Weiland ist seit diesem Jahr die Geschäftsführerin des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller. Ihre Erfahrung in der Stadt- entwicklung will sie für die Wirtschaft der Hauptstadt einbringen – auch in Hinblick auf das bevorstehende Jubiläum des VBKI.

IN SECHS JAHREN STEHT DIE 150-JAHR-FEIER des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller (VBKI) an. Angesichts einer so langen Geschichte stellt sich die Frage: Was zeichnet den VBKI aus? Das Vorurteil vom „West-Berliner Altherrenverein“ hält sich bis heute. Es treffe nur längst nicht mehr zu, betont Ute Weiland. „Der VBKI ist eng mit dem wirtschaftlichen Aufschwung Berlins verbunden. Es ist sein Leitmotiv, sich für die Zukunft der Stadt zu engagieren. Die Vergangenheit mit all ihren Facetten ist für ihn Verpflichtung und Auftrag.“ Die große Vielfalt der Berliner Wirtschaftsszene müsse sich darum in Zukunft noch stärker im Verein widerspiegeln. „Der VBKI soll die Anlaufstelle für Unternehmen und Start-ups sein.“


Mit Blick auf das Erbe, das sie angetreten hat, sagt Ute Weiland: „Die vergangenen zwei Jahre waren pandemiebedingt sehr herausfordernd. Schließlich lebt der Verein vom Netzwerken.“ Gleichzeitig sei in dieser Phase viel passiert. Bereits ihre Vorgängerin, Claudia Große-Leege, trieb die Digitalisierung des Vereins voran – ein Projekt, das Ute Weiland nun weiterführen will. Zudem wurden neue Formate eingeführt wie die Initiative „Einstieg zum Aufstieg“, die sich um Geflüchtete kümmert und ihnen den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert. Ein Thema, das aktueller ist denn je. Bei Geflüchteten dauere es bis zu einem Jahr, alle Papiere zusammenzubekommen. Entsprechend sei die Verwaltungsreform eines der wichtigsten Themen, um die sich der VBKI kümmert.


UM BESSER ZU VERSTEHEN , WELCHE VISION UTE WEILAND für den VBKI und für Berlin hat, hilft es, den Ort näher zu betrachten, den sie für unser Treffen gewählt hat: „Der Holzmarkt verkörpert für mich partizipative Stadtgestaltung in Reinkultur.“ Ute Weiland hat sich viele Jahre lang mit dem Thema Stadtentwicklung weltweit beschäftigt. Und sie war, bevor sie in diesem Jahr zum VBKI kam, sechs Jahre lang Geschäftsführerin der Initiative „Deutschland – Land der Ideen“. Seither umgibt sie sich gern mit kreativen, innovativen Menschen. Darum: Holzmarkt. Das Stadtquartier ist jung, es wurde 2012 auf dem Gelände des ehemaligen Mörchenparks in Friedrichshain errichtet. Über den begrünten Uferbereich haben Bewohner und Besucherinnen einen direkten Zugang zur Spree. Dieser idyllische Ort stelle ein Kontrastprogramm dar. Er werde nicht sofort mit dem VBKI in Verbindung gebracht.


Der Holzmarkt zeigt, was passiert, wenn Menschen sich zu einer Genossenschaft zusammenschließen und sich die Frage stellen: Wie gestalten wir unsere Umgebung? Was wünschen wir uns als Einwohnerinnen einer Stadt? „Das ist der Spielplatz an der Spree, das sind Räume für Kultur, aber auch Cafés, Restaurants, ein Gemischtwarenladen und ein Buchverlag.“ Für Ute Weiland ist klar, dass eine lebenswerte Stadt aus mehr besteht als moderner Architektur aus Glas, Stahl und Beton. „Für Berlin würde ich mir wünschen, dass es sowohl Leuchtturmprojekte zulässt wie das Guggenheim-Museum in Bilbao als auch Orte wie den Holzmarkt, weil sie eine Stadt menschlich machen.“ Von solchen Bottom-up-Projekten und Communitys, die lokal wirksam werden können, handelt auch der von Ute Weiland mitherausgegebene Band „Handmade Urbanism“. „Gerade die kleinteiligen Entwicklungen zeigen uns, was Menschen an einer urbanen Umgebung schätzen: einen Raum, der überschaubar ist, der das menschliche Maß mitbetrachtet; einen Raum, in dem der Mensch Subjekt und nicht Objekt der Stadtplanung ist.“


DIE SYSTEMATISCHE AUSEINANDERSETZUNG mit der Großstadt geht auf Ute Weilands Tätigkeit bei der Alfred Herrhausen Gesellschaft zurück. Im Jahr 2004 etablierte sie in Zusammenarbeit mit dem Cities Programme der London School of Economics and Political Science die Konferenzreihe „Urban Age – Das Zeitalter der Städte“ mit 14 Veranstaltungen. Bei den Konferenzen trafen sich Vertreter verschiedener Städte, um voneinander zu lernen.


All das, was sie über Stadtentwicklung gelernt habe, möchte Ute Weiland nun für die Berliner Wirtschaft nutzbar machen. Sie wolle sich für eine nachhaltige, zukunftsfähige Stadtentwicklung starkmachen. „Mein Ziel ist es, mein Wissen und das internationale Netzwerk, das ich damals aufgebaut habe, jetzt in Berlin einzubringen. Darauf habe ich große Lust.“

DANK IHRER ERFAHRUNG MIT DEN MEGACITYS weiß sie beispielsweise, dass es bestimmte Bereiche gibt, in denen kein Weg an einer zentralen Planung vorbeiführt. So pocht sie auf einen Masterplan für den Verkehr, und auch ein zukunftsweisendes Nachhaltigkeitskonzept könne nicht bezirksweise erstellt werden. Forderungen, die alles andere als einfach umzusetzen sind, da sie ein Umdenken, ein neues Mindset erfordern und, nicht zu vergessen, Machtverzicht: „Die Verwaltungsreform kann nur gelingen, wenn es die Bereitschaft gibt, auch Macht abzugeben.“ Natürlich gehe es nicht darum, die Bezirke aufzulösen. „Aber manche Dinge können nur zentral geplant werden. Eine Stadt ist voller widerstreitender Interessen, die zu einer gemeinsamen Lösung zusammengeführt werden müssen. Dabei will der VBKI helfen.“


EIN WEITERER FOKUS VON UTE WEILAND liegt auf der Kunst- und Kulturszene, die Berlin auszeichnet und vom VBKI, beispielsweise durch den Preis Berliner Galerien, gefördert wird. Sie selbst hat in Weimar an der Hochschule für Musik Franz Liszt studiert. „Mein Leben wäre ohne Musik nicht denkbar“, sagt sie. Ihr Berufsleben lasse allerdings nicht mehr viel Zeit und Raum, um selbst aktiv zu musizieren. Sie gehe gern in die Philharmonie, schätze aber auch kleine, intime Hauskonzerte, die Raum für Begegnung und Austausch bieten. Der jährlich vom VBKI ausgerichtete Ball der Wirtschaft und das Sommerfest stellen ebenfalls wichtige Hauptstadtkulturevents dar. Ute Weiland betont: „Viele Städte haben nur einmal im Jahr ein Festival. Berlin ist ein permanentes Kulturfestival.“ Das unterscheide die Hauptstadt von anderen Metropolen, mache sie einzigartig und attraktiv für die Kunst wie für die Wirtschaft.


Als die Frage, ob sie den VBKI übernehmen will, an Ute Weiland herangetragen wurde, wusste sie gleich, dass sie hier all das einbringen kann, was sie in den vergangenen 20 Jahren gelernt hat. Gleichzeitig stellt die neue Rolle eine Einengung ihres Radius dar – von der internationalen Ausrichtung ihrer Tätigkeit bei der Alfred Herrhausen Gesellschaft über die landesweite Perspektive beim Land der Ideen nun zur konkreten Stadt. Doch zu dieser Reihung gehört mehr. Denn Ute Weiland lebt in Potsdam. Und auch, wenn sich ihr berufliches Wirken auf Berlin konzentriere und sie die Vorzüge der Großstadt schätze, brauche sie als „Landei“ ihren Garten: „Um mich zu regenerieren, müssen meine Finger im wahrsten Sinne des Wortes in die Erde.“ Runterkommen, Abstand gewinnen, reflektieren. Das sei wichtig, um nicht nur die Innenperspektive einzunehmen, sondern um von außen auf die Dinge schauen zu können und den eigenen Standort zu bestimmen. Denn Ute Weiland weiß, was sie will: gestalten, Dinge verwirklichen. „Ich bin manchmal etwas ungeduldig, möchte, dass die Dinge vorankommen, und gebe mich ungern mit Halbgarem zufrieden. Vielleicht bin ich etwas perfektionistisch veranlagt.“


ANGESICHTS DES ANSTEHENDEN 150-JÄHRIGEN JUBILÄUMS des Vereins findet Weiland es wichtig, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander zu verbinden. „Ich werde mich auf Spurensuche begeben, was die Gründungsväter angeht.“ Zudem soll der VBKI bis dahin inhaltlich und strukturell so aufgestellt sein, dass man sich für die kommenden Jahre keine Sorgen machen muss. „Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann, dass der VBKI bis dahin ein eigenes Gebäude hat – ein Gebäude, das Zukunftsfähigkeit ausstrahlt und ein Ort der Begegnung ist.“ Das sei auch der Wunsch der Mitglieder. Ein Bottom-up-Projekt also, bei dem es spannend wird zu beobachten, ob es Glas, Stahl und Beton oder eher Holzmarkt sein wird. Oder etwas dazwischen.

Text: Christian Schön
Foto: © Marlen Mueller
Datum: November 2023

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