Jörg Woltmann

Tradition trifft Zeitgeist

Jörg Woltmann übernahm 2006 die Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin und machte das älteste Unternehmen der Stadt zur internationalen Marke mit historischer Strahlkraft. Doch da ist immer noch Luft nach oben, sagt der Unternehmer.

S-BAHN-STATION TIERGARTEN, AUSGANG WEGELYSTRASSE. Von hier ist es nur ein kurzer Spaziergang bis zum „KPM Quartier“, das sich rückwärtig bis zum Landwehrkanal erstreckt. Eine große Piazza betont die klassizistisch anmutende Backsteinarchitektur mit ihren Produktionsstätten, Ateliers und Lagerräumen. Tausende von Besuchern aus aller Welt eilen jährlich über diesen Platz, um an Führungen teilzunehmen und die Faszination Porzellan hautnah zu erleben. An diesem Tag könnten die Gäste auf Jörg Woltmann treffen. Der Unternehmer übernahm die Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin (KPM) 2006 vom Land Berlin und verhinderte damit den Verkauf nach Asien. Woltmann steht in der großen Produktionshalle zwischen Regalen mit handgefertigten Unikaten der Serie „Kurland“. Das ist kein Zufall – es ist seine persönliche Lieblingsserie. Das Design erinnert ihn zudem an seinen ersten großen unternehmerischen Erfolg: „Mit 28 Jahren habe ich meine erste Firma verkauft“, sagt Jörg Woltmann, „und ich habe mir daraufhin einen Herzenswunsch erfüllt: ein ‚Kurland‘-Service für acht Personen. Ich habe es immer noch.“

DASS ER SICH EINES TAGES AUCH UNTERNEHMERISCH mit KPM befassen würde, konnte Woltmann da noch nicht ahnen. Doch der Weg scheint vorgezeichnet: Nach dem Abitur absolviert Jörg Woltmann eine Ausbildung zum Bankkaufmann und macht sich bereits während seines Betriebswirtschaftsstudiums mit vier Autohäusern selbstständig. Mit 32 Jahren gründet er die Allgemeine Beamtenbank, die sich bis heute in seinem Besitz befindet; nach der deutschen Wiedervereinigung investiert er in Hotels und in eine Brauerei. Dann kommt im Jahr 2004 der Wunsch des Landes Berlin, sich von der höchst defizitären KPM zu trennen. „Ein Hamburger Konsortium kam auf mich zu und fragte, ob ich die Privatisierung begleite“, sagt Jörg Woltmann, „aber eigentlich wollte ich nicht.“ Erst der Hinweis, im Falle seiner Absage könnten asiatische Bieter den Zuschlag erhalten, stimmt ihn um. Doch die Privatisierung scheitert: „Ich hätte zwar kein Geld verloren, weil ich entsprechende Sicherheiten hatte, aber dafür bin ich ja nicht angetreten. Also habe ich mich innerhalb einer Woche entschlossen, KPM selbst zu kaufen. Es war eine Herzensverpflichtung, dieses Kulturgut für Berlin und für Deutschland zu erhalten.“

DIE HERZENSVERPFLICHTUNG WIRD SCHNELL ZUR HERZENSANGELEGENHEIT. Der neue Eigentümer positioniert die Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin als internationale Luxusmarke made in Germany. Er sucht die Zusammenarbeit mit Künstlern, kooperiert mit anderen Marken im Hochpreissegment, erschließt neue Zielgruppen. Mit unkonventionellen Marketingideen bringt Woltmann sein Unternehmen in die Medien, Stichwort Bugatti: Als er 2009 anlässlich des 100-jährigen Bestehens der Automarke VW-Konzernchef Ferdinand Piëch kennenlernt, dreht sich das Gespräch zunächst um den tanzenden Elefanten, die ikonische Kühlerfigur von Bugatti. KPM soll eine limitierte Auflage fertigen, wünscht sich der Automobilmanager, später kreisen die Gedanken um ein von der Kühlerfigur inspiriertes Tafelservice. Doch das Ergebnis der Kooperation ist weder das eine noch das andere, sondern ein Sondermodell auf Basis des Sportwagens Veyron Grand Sport, der Bugatti L’Or Blanc. Die porzellanweiße Lackierung mit den metallisch blauen Effekten macht das wertvolle Einzelstück bereits unverkennbar, doch die Raffinesse, so Woltmann, liege in den Porzellanteilen, die verbaut wurden – zum Beispiel Radnaben, Tankdeckel oder eine Reliefplatte im Cockpit. „Die große Herausforderung bestand darin, auf tausendstel Millimeter genau zu arbeiten“, sagt Jörg Woltmann, „denn Porzellan schrumpft während des Herstellungsprozesses um 16 Prozent.“

DASS JÖRG WOLTMANN HERAUSFORDERUNGEN LIEBT, IST UNVERKENNBAR. Nicht nur in der Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern im Highend-Segment, zu denen seit Jahren die Luxusmarke Bottega Veneta zählt. Was ihn gerade sehr beschäftige, sagt der Unternehmer, sei die Porzellankultur an sich – in Deutschland und vor allem in Berlin. „Eine KPM-Tasse ist nicht irgendeine Tasse, sondern eine Visitenkarte, ein Ausdruck des persönlichen Stils. Sie sollte in jeder Vorstandsetage stehen.“ Dass dem (noch) nicht so ist, hält er für eine Sache des Zeitgeists, aber wirklich zu verstehen, sagt er, sei diese Einstellung nicht. „KPM ist das älteste Unternehmen Berlins, es wurde von Friedrich dem Großen gegründet und war im Besitz von sieben Königen und Kaisern. Es ist mehr als ein Unternehmen, es ist ein Kulturgut.“ Er wolle Menschen für die Schönheit und Nachhaltigkeit von Porzellan sensibilisieren, sagt Woltmann, deshalb inszeniert er ausgesuchte Unikate in der „KPM Erlebniswelt“, die in der ehemaligen Ringkammerofenhalle ihren Platz gefunden hat. In den Öfen wurde bis in das Jahr 1963 hinein Porzellan gebrannt. Die 2004 von der Stiftung Denkmalschutz mit einem Preis ausgezeichnete Halle ist, so Jörg Woltmann, „ein lebendiger Kulturort“, wo Workshops und Events stattfinden. In der lichtdurchfluteten Galerie im oberen Stock befindet sich eine Verkaufsausstellung, sorgsam kuratiert wie alles im Quartier. Der Unternehmer versteht es eben, Kultur und Marketing auf eleganteste Weise zu verschmelzen.

DAS GILT AUCH FÜR DAS KPM HOTEL, in dem Woltmann eindrucksvoll belegt, wie stilvoll es sich mit Servicen, Vasen und Figuren aus seiner Manufaktur wohnen lässt. „Das KPM Quartier hat sich hervorragend entwickelt, und so war die Idee, hier ein Hotel zu eröffnen, recht naheliegend. Außerdem konnte ich auf ein sehr gutes Management aus meinen anderen Hotels zurückgreifen.“ Der Unternehmer sichert sich das letzte freie Grundstück und eröffnet das Viersternehotel 2019, mitten in der Pandemie. „Das KPM Hotel ist das erste Hotel in Deutschland, das den Namen einer Luxusmarke trägt“, sagt Jörg Woltmann, „und der Gast soll sich in jedem Moment in dieser Marke wiederfinden.“ Höchste Qualität sei die Anforderung gewesen, eben typisch KPM. Um den Gästen immer wieder einen neuen Blick auf den Markenkern zu ermöglichen, habe der Architekt 63 Grundrisse für die insgesamt 180 Zimmer geschaffen. Selbstverständlich ist das Porzellan überall im Haus allgegenwärtig, auch mit Maßanfertigungen für das Interieur: funktional, aber einzigartig, genau wie bei Bugatti. Und das Konzept gehe auf, sagt der Unternehmer, „beim Kundenbewertungsportal TripAdvisor liegen wir seit Monaten auf Platz 1 von 650 Hotels in der Stadt“.

UND WAS KOMMT ALS NÄCHSTES? Woltmann muss nicht lange überlegen. „Ich habe 260 Jahre preußische Kulturgeschichte gekauft. Das Kulturgut an sich und die Bewahrung sind sehr teuer und haben nichts mit dem operativen Geschäft zu tun.“ Aus diesem Grund habe er bereits 2016 die gemeinnützige „Stiftung Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin“ gegründet. „Die Stiftung ist ein lang erarbeiteter Plan, der mit dem Ausbau von KPM als Luxusmarke mit Tradition und Zeitgeist einhergeht“, beschreibt Jörg Woltmann den Stiftungsgedanken. Er wolle das Kulturgut KPM sukzessive in die Stiftung überführen, „eventuell eines Tages auch Teile der Manufaktur“. Prominentestes Eigentum der Stiftung ist derzeit das Wandfliesengemälde „Glory of Germania“, eine Schenkung anlässlich des 250-jährigen Bestehens 2013. Das Werk besteht aus 1057 KPM-Porzellanfliesen, die eine Fläche von 30 Quadratmetern ausfüllen. Gefertigt wurde das Fliesengemälde für die World’s Columbian Exposition, die Weltausstellung in Chicago von Mai bis Oktober 1893. Der Zufallsfund auf einem Dachboden der Stadt war mit der Bitte nach Berlin zurückgeführt worden, die „Glory of Germania“ zu restaurieren und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. „Für ein Unternehmen wie KPM wäre das finanziell gar nicht möglich“, sagt Jörg Woltmann, „die Stiftung war also ein wichtiger Schritt Richtung Zukunft.“

IN DIESEM JAHR FEIERT DIE KÖNIGLICHE PORZELLAN-MANUFAKTUR wieder ein Jubiläum, das 260-jährige Bestehen. „Gebührend feiern und würdigen“ werde man diesen 19. September, sagt Jörg Woltmann, ansonsten hält er sich bedeckt. Die Planungen liefen, setzt er noch nach. Aber er freue sich sehr, denn „die Manufaktur ist immer aktiv gewesen, dort entsteht Handwerkskunst auf die gleiche Weise wie vor 260 Jahren“. Und ist dabei doch hochaktuell: 2018 brachte das Unternehmen den To-go-Becher für die Serie „Kurland“ auf den Markt und schuf damit eine gelungene Symbiose aus Tradition und Zeitgeist. Der Kundschaft gefällt’s: Der To-go-Becher ist bis heute das meistverkaufte Einzelstück der gesamten Kollektion. Und eine weitere gelungene Marketingidee von Jörg Woltmann.

Text: Christian Bracht
Foto: Doro Zinn
Datum: März 2023

Das könnte Sie interessieren:

Auf ein offenes Wort:

Wie lässt sich Bescheidenheit leben?

Generation Z verstehen

Herausforderungen und Chancen für unsere Gesellschaft

Das Beste zweier Welten

Neue Konzepte für das Leben auf dem Land

i