Sebastian Gebauer, Steffen Gebauer und Niklas Gebauer
Vor vier Jahren hat Steffen Gebauer sein Büro geräumt und das Familienunternehmen MELAG seinen Söhnen Sebastian und Niklas übergeben. Er hält sich aus dem Tagesgeschäft weitgehend raus und lässt die beiden machen – Paradebeispiel für einen gelungenen Generationswechsel.
Auf dem Sideboard im Büro von Dr. Steffen Gebauer steht eine kleine, alte Dose aus Aluminium. Sie wird bei MELAG sorgsam gehütet. Die Dose ist das Gehäuse des ersten Heißluftsterilisators, der dazu diente, medizinische Instrumente keimfrei zu machen. Auf diesem Fundament ist der Welterfolg des Unternehmens begründet. Vor 72 Jahren fertigte der Firmengründer Alfred Gebauer das Gerät eigenhändig – aus einer Brotdose, denn sechs Jahre nach Kriegsende war die Beschaffung geeigneter Materialien noch schwierig. Sein Ziel: ein Unternehmen aufzubauen, das sich auf die Hygiene in Kliniken und Arztpraxen konzentriert.
Gebauer & Co., gegründet 1951 von den ehemaligen Arbeitskollegen Alfred Gebauer und Kurt Thiede, firmiert inzwischen als MELAG (Medizin- und Labor-Geräte) und verkauft innovative Sterilisatoren, Thermodesinfektoren, Wasseraufbereitungsanlagen sowie Siegelgeräte in weit über 100 Länder. Produziert wird auf mehr als 30.000 Quadratmetern auch heute noch ausschließlich in Berlin. Steffen Gebauer stieg 1973 in das Unternehmen seines Vaters ein, revolutionierte die Technik und führte das zu jener Zeit noch sehr kleine Unternehmen an die Weltspitze der Branche. Inzwischen arbeiten 500 Menschen am Standort Berlin-Schöneberg. Damit ist MELAG eines der größten familiengeführten Medizintechnikunternehmen Deutschlands.
Steffen Gebauer ist froh, den Staffelstab übergeben zu haben. „Meine Frau und ich haben uns gewünscht, die nächste Generation für die Firma zu begeistern. Ich habe sie jedoch nie unter Druck gesetzt, das Unternehmen zu übernehmen.“
Dass die Söhne sich für die Nachfolge entschieden haben, ist keine Selbstverständlichkeit. Laut einer Studie der Industrie- und Handelskammer suchen in den kommenden drei Jahren rund 190 000 Mittelständler händeringend eine Nachfolge. Steffen Gebauer hatte früh vorgesorgt. „Von klein auf hat uns unser Vater immer mit in die Firma und zu wichtigen Ausstellungen genommen“, sagt Sebastian, inzwischen 33 Jahre alt. „Wir haben damit schon im Kindesalter unsere Branche und viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kennengelernt.
Seit unserem 16. Lebensjahr wurden alle E-Mails, die an unseren Vater gingen, automatisch an uns weitergeleitet. So sind wir ganz natürlich in unsere jetzige Rolle reingewachsen.“
„Eine sehr subtile Art des Heranführens an das Unternehmertun“, gesteht Vater Gebauer augenzwinkernd. „Er hat uns gesagt, ihr bekommt alle Mails, und ob ihr sie aufmacht oder nicht, ist eure Sache“, sagt Dr. Niklas Gebauer, der um 15 Monate jüngere Sohn. „Aber natürlich hat man diese Neugierde und öffnet sie dann abends auch.“ Weil ihr Interesse über den Tellerrand hinausging und sie nicht betriebsblind werden wollten, verdienten sich beide Söhne ihre ersten Sporen nach ihrem Studium in der Fremde. Dabei liest sich die Liste ihrer Stationen wie der Welttourneeplan einer Stadionband.
Sebastian arbeitete nach seinem BWL-Studium in Berlin und London zunächst in Madrid, später ging er nach Schanghai und Hongkong, um den damals wachsenden und für MELAG zunehmend wichtigen chinesischen Markt kennenzulernen. Auch Niklas studierte BWL in Berlin und London, machte Station in New York, San Francisco und Boston. Dann Promotion in Hamburg, später München, Düsseldorf, Barcelona und – natürlich – Schanghai und Hongkong.
Im Januar 2019 war es so weit. Die nächste Generation bezog das Büro des Vaters, stellte die Schreibtische einander gegenüber, richtete sich modern ein – und der Vater zog ein Zimmer weiter. „Auch wenn man das ganze Leben darauf vorbereitet wird, war es eine ungewohnte Situation, die volle Verantwortung für das Unternehmen zu tragen und für das gesamte Team, das man größtenteils seit der eigenen Kindheit kennt“, sagt Sebastian Gebauer. Obwohl es personell einige Änderungen gab, ist die überwältigende Mehrheit der Angestellten weiterhin an Bord. Die Geschichte lässt sich an dieser Stelle noch ein Stück weitererzählen, denn was den Gebauers gelang, glückte auch bei der zweiten Gründerfamilie: Christian Thiede übergab den Staffelstab an seinen Sohn Antti Thiede, der 3 Jahre als geschäftsführender Gesellschafter von MELAG tätig war, bevor er 2022 ausschied. Die Firmenanteile der Familie Thiede gingen nicht an einen externen Investor, sondern vollständig an die Familie Gebauer.
Und dann kam Corona. „Einen härteren Start kann man wohl kaum haben“, sagt der Vater nachdenklich und kann seinen Stolz doch kaum verbergen, weil seine beiden Söhne das gemeistert haben: Mitten in der Pandemie eröffneten sie in Malaysias Hauptstadt Kuala Lumpur ein Trainingscenter, „um im wachsenden asiatischen Markt noch näher am Kunden zu sein“, sagt Sebastian. Zu zweit steuerten sie mit Vaters Unterstützung das Medizintechnikunternehmen durch die Krise. Der Umsatz ist seit ihrem Einstieg im Jahr 2019 von unter 75 Millionen auf rund 110 Millionen Euro gestiegen. Und die Geschäfte leiten die Brüder vollständig gemeinsam: Sie haben die Aufgaben nicht verteilt, kümmern sich gemeinsam um alle Bereiche, sind unzertrennlich. „Wir treffen die Entscheidungen gemeinsam und gehen beide in alle wichtigen Meetings. Was Außenstehenden ineffizient erscheint, hat Kalkül: So sind wir immer über alles informiert, ohne Reibungsverluste durch Übergaben, und tragen die Entscheidungen und damit Erfolge und Misserfolge gemeinsam“, sagt Niklas.
Wer so viel Zeit im Büro miteinander verbringt, hat sich sicherlich nach der Arbeit nicht mehr viel zu sagen. Denkste! Sebastian und Niklas wohnen heute noch dicht beieinander und in der Nähe der Eltern. Gemeinsam spielten sie Hockey im Berliner Südwesten, schauen zusammen Fußball und halten – natürlich – zu Hertha. Nur der Vater drückt auch Union die Daumen.
Selbst wenn Sebastian und Niklas Gebauer sich außerhalb der Firma treffen, geht es meist um das eine: die Arbeit. „Wir können da nicht einfach abschalten, und selbst wenn wir es versuchen, kommen die Gespräche früher oder später ohnehin wieder auf die MELAG“, sagt Niklas. „Die Firma ist ein bedeutender Teil unseres Lebens. Wir haben die Möglichkeit, die Dinge nach unseren Vorstellungen zu gestalten. Ein angestellter Geschäftsführer muss sich Freigaben holen – wir können gemeinsam mit unseren Führungskräften schnell entscheiden. Wir sind nur unserem Team gegenüber verantwortlich, keinen externen Investoren. Deswegen denken und planen wir auch eher in Generationen als in Quartalen“, sagt Sebastian.
Es ist das Privileg der Jugend, in der Zukunft zu leben und Pläne zu schmieden. Und die Gebrüder Gebauer haben die Zukunft fest umrissen. „Wir haben einen ziemlich genauen Plan, wo wir in zehn Jahren stehen wollen, und wir haben die Energie, darauf intensiv hinzuarbeiten“, sagt Niklas. Oben auf der Agenda: die weitere Internationalisierung und eine Erweiterung des Portfolios. „Wir wollen nicht nur der Anbieter sein, der im Premiumsegment in den etablierten Ländern wie Frankreich, der Schweiz und Österreich, also in den europäischen Ländern, seine Produkte anbietet“, erläutert Sebastian. Sie wollen weltweit wachsen, vor allem in Asien. Das Trainingscenter in Kuala Lumpur ist da nur ein erster Schritt.
Wachstum, das ist am Standort Deutschland durchaus eine Herausforderung, beispielsweise wegen der vergleichsweise hohen Löhne und Gehälter sowie der stark gestiegenen Energiekosten. Aber Familie Gebauer steht fest zu ihrer Heimat. „Schon immer haben wir überproportional viel in Forschung und Entwicklung investiert, weil wir es ohnehin nie schaffen würden, günstiger als unsere asiatischen Konkurrenten zu sein“, sagt Sebastian, „also müssen wir immer die besseren, stabileren und innovativeren Lösungen für unsere Kunden anbieten.“ Global Sourcing und Final Assembling in Deutschland sind die Schlagwörter. Zu Deutsch: Montage hier mit dem Zukauf von Baugruppen und eine globale Ausrichtung des Unternehmens.
Angesichts all der Herausforderungen und Chancen besteht Einigkeit, dass das Familiäre weiterhin im Mittelpunkt stehen soll. „Unser Ziel ist es, dass wir auch in der nächsten Generation zu 100 Prozent ein eigentümergeführtes, erfolgreiches Familienunternehmen sind“, fasst Niklas zusammen. „Wenn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen es erlauben, am liebsten weiterhin in Berlin.“
Text: Sebastian Holder
Foto: © Jan Philip Welchering
Datum: Juni 2023
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