Almut Grüntuch-Ernst und Armand Grüntuch
Armand Grüntuch und Almut Grüntuch-Ernst zählen zu den renommiertesten Architekten des Landes. Doch ihre Entwürfe prägen nicht nur das Stadtbild von Metropolen wie Berlin oder Madrid. Vielmehr zeigen sie Optionen auf für einen neuen Umgang mit geschichtsträchtigen Orten und ihren Bestandsbauwerken.
In der Kantstraße 79, unweit des Lietzensees, hat ein Areal mit ehemaligem Frauengefängnis und Strafgerichtsgebäude eine neue Bestimmung gefunden: Vor einem Jahr eröffnete hier das Ensemble aus Hotel Wilmina mit Restaurant Lovis und Kulturort Amtsalon, entworfen von Almut Grüntuch-Ernst und ihrem Mann Armand Grüntuch. Die beiden Stararchitekten und Ausstellungskuratoren der Architektur-Biennale 2006 in Venedig machen immer wieder mit spektakulären Projekten auf sich aufmerksam. Aktuell beschreiten sie mit dem Neubau eines Bürogebäudes in der Darwinstraße erste Schritte zur Umnutzung und „Neuprogrammierung“ des ehemaligen Kraftwerksgeländes Berlin-Charlottenburg.
Wie eine solche Transformation gelingen kann, zeigt der Umbau der ehemaligen Jüdischen Mädchenschule in Mitte, der ebenfalls vom Büro Grüntuch Ernst Architekten konzipiert wurde. „Bei Schule und Gefängnis hatten wir es nicht nur mit Bestandsbauwerk zu tun, sondern mussten uns gleichzeitig der stark belasteten Geschichte dieser Orte stellen“, beschreibt Armand Grüntuch die Herausforderung. „In beiden Fällen geht es zudem um das bauliche Erbe vergangener Generationen“, sagt Almut Grüntuch-Ernst, „ein jedes für sich ‚schwer verdaulich‘, und so stellte sich die berechtigte Frage: Was machen wir damit?“
Almut Ernst lernt ihren späteren Mann in London kennen, wo beide Architektur studieren. Ernst ist in Stuttgart zur Welt gekommen und im schleswig-holsteinischen Dithmarschen aufgewachsen, Grüntuch, in Riga geboren, lebt seit seinem achten Lebensjahr in Berlin. Dem Thema Architektur begegnen beide zum ersten Mal in der Schule – und sind fasziniert: „Eigentlich ging es im Kunstunterricht nur um eine Übung zur Perspektive“, sagt Almut Grüntuch-Ernst, „da habe ich gespürt, dass ich Räume intensiv wahrnehme, eine gewisse Sensorik dafür habe.“ Bei ihrem Mann sind es Sakralbauten wie der Aachener Dom, die in ihm die Begeisterung für Architektur wecken: „Mich hat fasziniert, dass man Räume ‚lesen‘ kann, dass sie einen ergreifen, berühren, und ich wollte auch solche Räume schaffen.“
Nach dem Abschluss trennen sich zunächst die Wege des Paares: Während Almut Ernst ihre ersten beruflichen Erfahrungen in einem Architekturbüro auf Sylt sammelt, geht ihr Freund nach Köln. Doch schnell nimmt er ein Angebot der Universität der Künste Berlin an. Und auch Almut Ernst will nach Berlin. Der Mauerfall habe sie „energetisiert“, sagt die Architektin. 1991 gründen die beiden ihr Büro, allerdings weit fern jeder Euphorie: „Irgendwie hatten wir immer das Gefühl, diesen einen Moment zu spät zu sein“, sagt Armand Grüntuch, „den Boom in Berlin nach der Wende haben wir verpasst.“ Was aus heutiger Sicht aber alles andere als schlecht gewesen sei: „Wir sind langsam und antizyklisch gewachsen“, sagt Almut Grüntuch-Ernst, „und das hat uns eigentlich ganz gutgetan.“ Der erste Erfolg des jungen Architektenpaares, der Gewinn einer Ausschreibung für eine Schule in Berlin-Hellersdorf, legt den Grundstein für ein Unternehmen mit heute mehr als 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Mehr als 500 Projekte hat das Büro mit Sitz in der Auguststraße in Mitte bislang realisiert, die wichtigsten internationalen Architekturpreise gewonnen und mit seinen Entwürfen das Gesicht vieler Städte verändert – von Berlin über Venedig und Madrid bis immer wieder nach Berlin. In der Spreemetropole ist die Arbeit von Grüntuch Ernst Architekten an wichtigen Orten sichtbar: Die Gestaltung des Hackeschen Markts und des Hackeschen Quartiers zählt ebenso zur Referenzliste wie das Museum des 20. Jahrhunderts oder der Marthashof. Daraus eine kreative „Handschrift“ ableiten lässt sich allerdings nicht, und das sei so gewollt, sagt Almut Grüntuch-Ernst: „Unser Ansatz bei jedem Projekt ist, dass wir mit Offenheit und Neugier herangehen, selbst noch etwas entdecken wollen beim Entwerfen.“ – „Andererseits müssen wir als Architekten Probleme lösen“, sagt Armand Grüntuch, „das ist auch etwas, was unsere Arbeit ausmacht. Wir müssen sehr konstruktiv und analytisch vorgehen, zum Kern vordringen. Um dann einen künstlerischen Ausdruck für die Lösung zu finden.“
Stichwort Wilmina. Bis 1985 war das damalige Frauengefängnis in Betrieb, danach stand es leer. Das ebenfalls zum Areal gehörende Strafgerichtsgebäude wurde als Gerichtsarchiv genutzt. „Als wir vor zwölf Jahren zum ersten Mal hier waren, fanden wir einen beklemmenden Ort vor“, sagt Almut Grüntuch-Ernst, „von der Kantstraße kommend wurden die Räume immer dunkler und enger, eine Abfolge von ‚Einschüchterungsarchitektur‘ war das.“
Zunächst hätten sie das Objekt nicht haben wollen, erinnert sich Armand Grüntuch, „geschweige denn ein Hotel daraus machen“. Dass die Gebäude unter Denkmalschutz stehen, machte die Entscheidung nicht leichter, doch letztendlich gingen sie das Wagnis ein.
„Beim Umbau der ehemaligen Jüdischen Mädchenschule hatten wir gesehen, dass man auch mit kleinerem Budget zu Lösungen kommt, wenn man selektiv arbeitet, also bestimmte Sachen einfach in Ruhe lässt und andere dafür besonders gestaltet“, sagt der Architekt. „Normalerweise addiert man ja bauliche Elemente zu Räumen, hier haben wir erst mal subtrahiert“, beschreibt Almut Grüntuch-Ernst die Vorgehensweise, „die ersten zwei Jahre haben wir im Grunde nur Löcher in die Wände geschlagen, um die Räume zu vergrößern und Licht in die Gebäude zu bringen.“ Dieses Licht ist mehr als ein gestalterisches, dramatisches Element: Es leitet die Transformation zu einem neuen Ort ein.
Und dieser Ort nimmt Gestalt an. Mit üppigen Gärten, begrünten Dächern und mit viel Raum für Begegnung und Austausch. 2020 hat das Wilmina seine Transformation abgeschlossen, doch die Coronapandemie verzögert die Eröffnung, sie erfolgt erst 2022. Zu dem Zeitpunkt hat der Sohn der Familie das Ruder übernommen und leitet das Hotel. Eine Fügung, wie sie sich die Eltern gewünscht haben und für die sie dankbar sind. „Wenn Dinge einfach gelingen, wenn etwas aufgeht, das macht mich glücklich“, sagt Armand Grüntuch, „und was diesen Ort wohl am meisten ausmacht, ist eine totale Ruhe, das Kontemplative, was man nicht erwartet, mitten in der Stadt.“
Trotzdem sei es ihnen wichtig, dass sie mit dem Prozess des Transformierens die Geschichte des Areals „nicht überstrahlen möchten. Sie soll irgendwie noch lesbar sein.“ Aus diesem Grund wurde eine Zelle im ehemaligen Gefängnis im Urzustand belassen: eine Einladung an den Gast, sich mit „diesem Ort und mit seinen dunklen Zeiten auseinanderzusetzen“. Zum Glück sind sie vorbei.
Text: Christian Bracht
Foto: © Verena Brüning
Datum: Juni 2023
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