Drei Wünsche sollt ihr haben

Wirtschaft & Trends
Mai 2024

 

Autor: Jan Gengel
Jan Gengel ist Direktor der Weberbank und seit 2006 als Portfoliomanager im Bereich Vermögensverwaltung verantwortlich für das Rentenmanagement und die Kapitalmarktanalyse des Hauses. Als gelernter Bankkaufmann werden seine beruflichen Erfahrungen durch die akademischen Abschlüsse als Diplom-Volkswirt der Humboldt Universität zu Berlin, Certified European Financial Analyst (CEFA) und Certified International Investment Analyst (CIIA®) abgerundet.

Jan Gengel

ZINSSENKUNGEN, ZINSSENKUNGEN, ZINSSENKUNGEN. Das wären vermutlich die drei Wünsche der Marktteilnehmer, würde ein Flaschengeist wie aus Tausendundeiner Nacht sie ihnen gewähren. Doch leider erscheint Dschinni nur in dem Märchen „Aladin und die Wunderlampe“, und die beiden wichtigsten Zentralbanken, die amerikanische Federal Reserve (Fed) und die Europäische Zentralbank (EZB), entpuppen sich eher als böse Magier. Meines Erachtens zaudern sie jedoch zu Recht mit dem Verlauf der Inflation und stellen sich den Wünschen nach schnellen und vor allem zahlreichen Zinssenkungen entgegen. Die noch zu Jahresbeginn erhofften sechs Leitzinsverringerungen haben sich mittlerweile erübrigt. So wird in den USA bereits gerätselt, ob die Fed in diesem Jahr von ihrem doch recht restriktiven Zinsniveau überhaupt noch abrücken kann. Die überraschend dynamische Wirtschaftsentwicklung und die damit verbundenen höheren Inflationsraten stehen dem entgegen.

In Europa zeigt sich zwar eine deutlich schwächere Konjunktur, jedoch ist auch hier der Arbeitsmarkt weiterhin sehr robust und die Lohndynamik außergewöhnlich hoch. Eine Kombination, die auch die EZB zu einem deutlich vorsichtigeren Handeln zwingt. So dürfte sie ihren Referenzzins in diesem Jahr insgesamt nur dreimal auf ein Niveau von 3,75 Prozent senken. Aber auch für das kommende Jahr würde ich eher von einer vorsichtig agierenden Zentralbank ausgehen. Der Rückfall in die Zeit des zinslosen Risikos ist derzeit nicht zu befürchten. Für Anlegerinnen sind das gute Nachrichten, da Zinsanlagen weiterhin attraktiv bleiben. Jedoch ist des einen Freud bekanntlich des anderen Leid. Höhere Zinsen bedeuten auch höhere Kosten für Kredite, und so könnte leider eine alte Bekannte wieder in den Fokus rücken – die Schuldenproblematik.

SEITDEM DER EURO 1999 DAS LICHT DER WELT ERBLICKTE, zeigten sich drei Phasen der Verschuldung in Europa. Die erste ist die Zeit vor der großen Finanzkrise im Jahr 2008, in der die durchschnittliche Verschuldung des Euroraums knapp unter 70 Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) lag und nicht wirklich ein Problem darstellte. Mit der Finanzkrise folgte der erste sprunghafte Anstieg auf rund 80 Prozent des BIP, und die zweite Phase begann. Die damaligen Verschuldungsniveaus reichten bereits aus, um eine heftige Staatsschuldenkrise auszulösen und den Wirtschaftsraum an den Rand des Abgrunds zu führen. Mit der Coronapandemie im Jahr 2020 startete die dritte Phase, die Verschuldung sprang auf fast 100 Prozent des BIP. Seitdem ist sie zwar wieder gesunken, lag jedoch Ende 2023 immer noch bei 88,6 Prozent und damit deutlich über den Niveaus der Staatsschuldenkrise.

Es wird kontrovers diskutiert, welche Verschuldung für einen Staat oder Wirtschaftsraum langfristig tragbar ist. Unstrittig jedoch ist der Verlauf des EZB-Leitzinses, der seit der Finanzkrise 2008 nur eine Richtung kannte – nach unten bis auf null Prozent. Damit wurden Haushaltsdefizite immer preiswerter und förderten geradezu die Kreditaufnahme. Dies änderte sich jedoch im Jahr 2022, also in der dritten Phase, schlagartig. Mit den sprunghaften Inflations- und Zinsanstiegen sind die Schuldenkosten nun wieder deutlich höher und werden die Staatshaushalte erheblich belasten. Droht daher eine neue Staatsschuldenkrise? Meines Erachtens nicht. Die Eurostaaten sollten allerdings dringend darauf achten, nicht an den Punkt zu gelangen, allein durch ihre Zinszahlungen Haushaltsdefizite und damit neue Schulden zu erzeugen. Vor allem sollten sie bedenken, dass es nicht die Aufgabe der EZB ist, die Verschuldung so billig wie möglich zu gestalten und die Versäumnisse der Fiskalpolitik auszugleichen.

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