Autor: Marthel Edouard
Finanzmarkt aktuell per 7. Mai 2020
Marthel Edouard, Portfoliomanager
Nach Wochen des Stillstands in Gesellschaft und Wirtschaft keimt Hoffnung auf. Die harten Lockdown-Maßnahmen in vielen Ländern werden langsam heruntergefahren und die Wirtschaft wieder hochgefahren. Damit rücken die wirtschaftlichen Aspekte der Krise verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit und der Politik. Die Lage ist ernst und der Ausblick düster. Die Diskussion über staatliche Konjunkturpakete wird zunehmen. Wie wir die Situation einschätzen, lesen Sie in dieser Ausgabe von „Finanzmarkt aktuell“.
Die Rufe nach staatlichen Konjunkturhilfen werden lauter – und sollten erhört werden
Bei der Bekämpfung der Covid19-Pandemie gibt es Hoffnungsschimmer. Um die Ausbreitung des Virus zu bremsen, hat die Politik weltweit großen Teilen der Wirtschaft seit Wochen Stillstand auferlegt. Die drastischen Lockdown-Maßnahmen zeigen mittlerweile Wirkung. In vielen Ländern und Regionen verlangsamt sich die Ausbreitung der Krankheit. Doch die wirtschaftlichen Nebenwirkungen dieser Schock-Therapie sind dramatisch. Europa, den USA, China – der Weltwirtschaft droht ein Abschwung ungekannten Ausmaßes. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass immer mehr Regierungen in den vergangenen Tagen angekündigt haben, Lockerungen des verordneten Stillstands zu prüfen. Die Versuchung, Beschränkungen des öffentlichen Lebens zurückzufahren und die Wirtschaft rasch wieder zum Laufen zu bringen, ist groß angesichts der wirtschaftlichen Verluste. Klar ist, die medizinische Krise zieht eine schwere Rezession nach sich. Offen scheint lediglich, wie tief es geht und wie lange es dauert. Eine Vorahnung darauf lieferte in der vergangenen Woche die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, als sie die neuen Prognosen der EZB Volkswirte veröffentlichte und damit den Ausblick bestätigte, mit dem Mitte April schon der Internationale Währungsfonds (IWF) aufhorchen ließ. Die Lage sei besorgniserregend und der Ausblick düster: man erwarte einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts für die Eurozone von bis zu 12 Prozent für 2020. Einen solchen Einbruch der Wirtschaftsleistung, so er denn eintreten sollte, hat es seit der Großen Depression der 1930er Jahre nicht mehr gegeben. Selbst in der Finanzkrise vor gut zehn Jahren kam die europäische Konjunktur mit einem Minus von 4 Prozent vergleichsweise glimpflich davon.
So alarmierend wie der Wirtschaftsausblick, so eindringlich sind mittlerweile auch die Appelle deutscher Wirtschaftsverbände an die Politik, einen schnellen, aber planvollen Ausstieg aus den Anti-Covid19-Maßnahmen der Bundesregierung noch im Mai zu beschließen und vor allem auch möglichst schnell Konjunkturpakete zur Ankurbelung der Wirtschaft auf den Weg zu bringen. Die Forderung ist unmissverständlich: mehr Fiskalpolitik wagen! Zugegeben, der deutsche Staat hat auf den Ausbruch der Krise umgehend und umfassend reagiert: ein milliardenschwerer Nachtragshaushalt, üppige Kreditgarantien und die Einrichtung eines Wirtschaftsstabilisierungsfonds, der sich an Unternehmen beteiligen kann, die wegen der Pandemie in existenzielle Schwierigkeiten geraten. Diese Maßnahmen waren notwendig und wichtig, doch sie zielen vor allem auf die reibungslose Liquiditätsversorgung der Wirtschaft ab. Aber: Liquidität allein schafft noch keine Konsumnachfrage, doch Unsicherheit schafft mit ziemlicher Sicherheit Konsumverzicht – mit allen Konsequenzen für Produzenten und Unternehmer. Dies ist auf Sicht der kommenden Monate vermutlich das viel größere Problem. An dieser Stelle ist die Politik jetzt wieder gefordert. Die Rufe nach einem groß angelegten Konjunkturpaket, das nicht in Form einer Abwrackprämie 2.0 nur einzelne Branchen bevorzugt, sondern möglichst gleichmäßig auf die Gesamtwirtschaft wirkt und zudem in seiner Stoßrichtung für Deutschland zukunftsweisend ist, werden lauter – und sollten erhört werden.
Das höchste deutsche Gericht irritiert kurzzeitig den Rentenmarkt
Was das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am Dienstag dieser Woche zu verkünden hatte, war ein echter Paukenschlag oder, wie es der Präsident des BVerfG selbst formulierte, „keine leichte Kost“. Was war geschehen? Das BVerfG hatte mehreren Klagen gegen die milliardenschweren Staatsanleihekäufe der EZB zur Stimulierung von Konjunktur und Inflation seit 2015 überwiegend stattgegeben. Die Beschlüsse der Notenbank seien kompetenzwidrig ergangen, weil die EZB die Verhältnismäßigkeit ihres sogenannten PSPP-Programms nicht ausreichend dargelegt und Bundesregierung sowie Bundestag die Beschlüsse nicht geprüft hätten. Aber, und das ist aus unserer Sicht das Entscheidende am Urteil, das BVerfG hat die Anleihekäufe nicht grundsätzlich als verbotene Staatsfinanzierung gewertet. Im Kern hat das Gericht der EZB damit grünes Licht gegeben und den Währungshütern lediglich einen Formfehler ins Stammbuch geschrieben, den es innerhalb von drei Monaten zu korrigieren gilt. Es gibt keine Zweifel daran, dass der Zentralbank dies gelingen wird. Die Anleihekäufe der EZB werden also weitergehen. Daran wird das Urteil nichts ändern. Die ersten Marktreaktionen bestätigen unsere Einschätzung, die europäischen Staatsanleihekurse gaben nach der Urteilsverkündung nur kurzzeitig nach. Auf den zweiten Blick könnte der Gerichtsentscheid unserer Einschätzung nach aber doch noch Auswirkungen auf den Rentenmarkt haben, denn die EZB hat im Angesicht der Covid19-Krise ein neues 750 Mrd. Euro umfassendes Anleihekaufprogramm mit dem Namen PEPP aus der Taufe gehoben. Auch wenn das PEPP-Programm bei der Karlsruher Entscheidung am Dienstag gar nicht zur Debatte stand, so lässt sich dennoch Grundsätzliches aus dem Urteil ableiten: Es gibt eine Grenze für Anleihekäufe, die Verhältnismäßigkeit. Das kann es der EZB in Zukunft schwerer machen, ihre Kaufprogramme beliebig auszudehnen.
Für den Moment führt das aber noch nicht dazu, dass wir eine Anpassung der Positionierung im Rentenbereich empfehlen. Unsere Erwartung ist unverändert, dass die Folgekosten von Covid19 zu einer Zunahme der Verschuldung bei Staaten und Unternehmen führen werde. Insofern kommt es mehr denn je darauf an, die Bonitätssituation von Schuldnern im Blick zu behalten. Die internationalen Ratingagenturen haben in zahlreichen Einzelfällen bereits reagiert und Herabstufungen ihrer Bewertungen wie etwa beim italienischen Staat vorgenommen. Das bestätigt uns in der Einschätzung, Staatsanleihen hochverschuldeter europäischer Länder und krisengeschwächter Schwellenländer zu meiden und die Chancen im Segment bonitätsschwächerer, aber günstig bewerteter Unternehmensanleihen aktuell noch nicht zu suchen.
Die Unsicherheit am Aktienmarkt bleibt vorerst hoch und damit auch die Schwankungsanfälligkeit
Auf den dramatischen Kurseinbruch an den Aktienmärkten im März folgte in den letzten Wochen eine fulminante Kursrallye, und jetzt, seit ein paar Tagen, die Flaute. Die Aktiennotierungen bewegen sich seit Mitte April nicht so recht von der Stelle. Das gilt gleichermaßen für die europäischen Aktienmärkte und die US-amerikanischen Börsenbarometer. Was die Marktentwicklung der letzten Tage nahelegt ist, dass die jüngste Rallye noch keine nachhaltige Entspannung signalisiert. Erstaunlich ist das nicht, denn die laufende Bilanzsaison zeigt, dass sich die Auswirkungen des wirtschaftlichen Stillstands im Zahlenwerk der Unternehmen deutlich niederschlagen. Zudem bleibt der Ausblick der meisten Unternehmenslenker auf das, was in den nächsten Monaten an Belastung noch kommen könnte, bestenfalls vage. Dementsprechend haben auch die Analysten ihre Gewinnerwartungen in den letzten Tagen weiter reduziert. Hiervon betroffen sind insbesondere Firmen aus zyklischen Sektoren wie Industrie, Banken, Freizeit und Energie. Wir empfehlen daher, Aktien aus diesen Bereichen weiter zu meiden. Auf der anderen Seite sehen wir Chancen bei Pharmatiteln, Technologiewerten und bei Unternehmen aus dem Einzelhandel, deren Geschäftsmodelle sowohl in der aktuellen Phase des Lockdowns, aber auch danach funktionieren. Allerdings kommt es hier darauf an, sehr selektiv vorzugehen. Nicht alle Aktien aus diesen Sektoren sind noch günstig bewertet und einige zudem höher verschuldet.
Mit Blick auf die Gesamtmarktentwicklung in den kommenden Wochen halten wir eine gewisse Grundskepsis für angebracht. Die aktuellen Wirtschaftsdaten senden weiter klare Rezessionssignale. Es ist davon auszugehen, dass Analysten ihre Gewinnerwartungen für die Unternehmen erneut nach unten anpassen werden. Der Druck weiterer Gewinnrevisionen auf die Märkte dürfte demnach weiter anhalten. Eine Lehre aus der Finanzkrise vor 12 Jahren ist, dass heftige Börsenturbulenzen längerfristig nachwirken, eben weil der Ausblick für die Gewinne für längere Zeit unsicher bleibt. Den Investoren steht vermutlich auch in der aktuellen Krise noch eine holprige Reise bevor.
Haftungsausschluss:
Diese Darstellung der aktuellen Marktsituation haben wir entweder selbst angestellt oder aus von uns als zuverlässig angesehenen Quellen bezogen. Trotz Anwendung größter Sorgfalt können wir für die Richtigkeit unserer Einschätzungen keine Haftung übernehmen. Diese Darstellung ist nicht als Aufforderung zum Erwerb, Verkauf oder Halten bestimmter Wertpapiere intendiert.
Ansprechpartner für Journalisten:
Pressesprecher Robert Heiduck, (030) 8 97 98 - 388
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