Werte vermitteln, zu einer eigenen Haltung befähigen, Perspektivwechsel anregen: Die Freya von Moltke-Stiftung für das Neue Kreisau will junge Menschen für Verständigung und Demokratie begeistern.
Kreisau, südlich von Breslau gelegen, mag nur ein kleiner Ort sein. An moralischer Größe fehlt es ihm jedoch nicht: In den Jahren 1942 und 1943 traf sich im heutigen Krzyżowa der Kreisauer Kreis – eine Gruppe von Gegnern des nationalsozialistischen Regimes. Ziel der Widerstandskämpfer rund um Helmuth James und Freya von Moltke war eine gesellschaftliche Neuordnung nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft. „‚Wir brauchen eine Revolution, nicht einen Staatsstreich‘“, zitiert Dr. Axel Smend den Juristen Helmuth James von Moltke. „Es war eine heterogene Gruppe – Zentrumspolitiker und Sozialdemokraten, Protestanten und Katholiken, Landwirte und Akademiker“, sagt Rechtsanwalt Smend, der sich als Mitglied des Stiftungsrates engagiert, „aber sie waren alle durch ihre Haltung miteinander verbunden: So geht es nicht weiter.“
Eine eigene Haltung zu entwickeln und für sie einzustehen zählt zu den wichtigsten Prinzipien, zu denen die Freya von Moltke-Stiftung vor allem junge Menschen befähigen möchte. Vor 20 Jahren gegründet, finanziert die Stiftung vornehmlich Projekte aus dem Bereich der politischen Bildung. „In diesem Zusammenhang ist der Model International Criminal Court der Kreisau-Initiative e. V. mit Sicherheit ein Leuchtturmprojekt. Beim MICC lernen junge Menschen, sich für die Menschenrechte einzusetzen“, sagt Dr. Anna Quirin, Geschäftsführerin der Stiftung. Während des mehrtägigen Projekts simulieren junge Menschen aus verschiedenen Ländern die Endphase verschiedener Prozesse vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. „Sowohl historische als auch aktuelle Fälle werden modellhaft verhandelt“, sagt Quirin. „Das Besondere ist, dass die Teilnehmer in die Rolle einer Strafverfolgerin, eines Verteidigers, einer Richterin oder eines Journalisten schlüpfen und dadurch eine einzigartige Lernerfahrung machen.“
Bis heute haben mehr als 7000 Jugendliche aus 56 Ländern am MICC teilgenommen, der 2005 erstmals durchgeführt wurde. Seit Anbeginn fördert die Stiftung das Projekt. „Neben der Sensibilisierung für Gerechtigkeit steht die Begegnung junger Menschen aus verschiedenen Ländern im Mittelpunkt“, sagt die Geschäftsführerin. Das ermögliche den Jugendlichen einen nachhaltigen Perspektivwechsel: „Begegnung ist die wichtigste ‚Immunisierung‘ gegen rechtsradikales Gedankengut.“
Der Ort, an dem Projekte, Workshops und andere Bildungsveranstaltungen stattfinden, ist das Neue Kreisau. Auf dem Gelände des ehemaligen Gutshofs von Helmuth James und Freya von Moltke im Ortszentrum von Krzyżowa ist eine internationale Begegnungsstätte entstanden, die bis zu 15 000 Gäste im Jahr empfängt. Nicht nur Schüler, Studenten und Lehrende sind hier willkommen: Das Neue Kreisau definiert sich als Ort, der jedem Menschen einen offeneren Blick auf die Welt schenken möchte. Um das weitläufige Areal mit 14 Gebäuden, Schloss und Parkanlage instand zu halten und ein Programm mit jährlich rund 180 Veranstaltungen realisieren zu können, hat sich die Freya von Moltke-Stiftung für das Neue Kreisau mit der Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung und der Kreisau-Initiative zusammengeschlossen. Gemeinsam tragen sie nicht nur das Erbe der Widerstandskämpfer des Kreisauer Kreises weiter, sondern entwickeln eine gemeinsame Vision davon, wie Haltung, Verständigung und Solidarität aussehen können – auch in geopolitisch schwierigen Zeiten.
Für ein solch wichtiges Anliegen kann Musik die passende Sprache sein: Seit Ausbruch des groß angelegten Kriegs Russlands gegen die Ukraine haben mehr als 200 Geflüchtete in Kreisau eine Heimat auf Zeit gefunden, darunter talentierte Musikschüler. Vor diesem Hintergrund entstand 2022 das Projekt Music for Future, um durch gemeinsames Musizieren das Gemeinschaftsgefühl zu stärken. Zum Projektabschluss gab das Orchester aus ukrainischen und polnischen Jugendlichen zwei viel beachtete Konzerte. Es sei ihr Lieblingsprojekt, sagt Anna Quirin: „Musik ist eine universelle Sprache. Die Resonanz auf das Projekt war bei allen Beteiligten so positiv, dass wir es als festen Bestandteil unseres Förderprogramms aufgenommen haben.“ Music for Future entwickelt sich stetig weiter: 2023 und 2024 spielte ein trilaterales deutsch-polnisch-ukrainisches Jugendorchester.
Und welche Pläne gibt es für das Jubiläumsjahr zum 20-jährigen Bestehen der Stiftung? Im Januar habe es eine öffentliche Veranstaltung anlässlich des 80. Todestags von Helmuth James von Moltke gegeben, sagt Anna Quirin, „sich selbst zu feiern“ sei aber nicht geplant. „Wir haben einen gesellschaftlichen Auftrag, und dem möchten wir gerecht werden“, sagt Axel Smend, „auch das ist unsere Haltung.“
Foto: © Fundacja „Krzyżowa“ dla Porozumienia Europejskiego
Text: Anke Bracht
Datum: März 2025
Das könnte Sie interessieren:
Was ist wichtig für eine gesunde Leistungskultur in der Gesellschaft?
Leistungsfähigkeit und -bereitschaft sind essenziell für die Zukunft einer Gesellschaft. Zur Situation hierzulande nehmen Expertinnen und Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft, Sport und Politik Stellung.
Eine Stadt macht sich fit für die Zukunft
Ob Mobilität, Energieerzeugung oder Geldanlage – der Megatrend Nachhaltigkeit gibt in allen Bereichen die Richtung vor. Auch bei der Entwicklung der deutschen Kapitale
Grenzgänger zwischen den Künsten
Till Brönner ist nicht nur Deutschlands bekanntester Jazztrompeter, sondern auch Komponist, Produzent und Fotograf – stets auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen. Besuch bei einem Perfektionisten
Wir verwenden Cookies, die unbedingt erforderlich sind, um Ihnen unsere Website zur Verfügung zu stellen. Wenn Sie Ihre Zustimmung erteilen, verwenden wir zusätzliche Cookies, um zum Zwecke der Statistik (z.B. Reichweitenmessung) und des Marketings (wie z.B. Anzeige personalisierter Inhalte) Informationen zu Ihrer Nutzung unserer Website zu verarbeiten. Hierzu erhalten wir teilweise von Google weitere Daten. Weiterhin ordnen wir Besucher über Cookies bestimmten Zielgruppen zu und übermitteln diese für Werbekampagnen an Google. Detaillierte Informationen zu diesen Cookies finden Sie in unserer Erklärung zum Datenschutz. Ihre Zustimmung ist freiwillig und für die Nutzung der Website nicht notwendig. Durch Klick auf „Einstellungen anpassen“, können Sie im Einzelnen bestimmen, welche zusätzlichen Cookies wir auf der Grundlage Ihrer Zustimmung verwenden dürfen. Sie können auch allen zusätzlichen Cookies gleichzeitig zustimmen, indem Sie auf “Zustimmen“ klicken. Sie können Ihre Zustimmung jederzeit über den Link „Cookie-Einstellungen anpassen“ unten auf jeder Seite widerrufen oder Ihre Cookie-Einstellungen dort ändern. Klicken Sie auf „Ablehnen“, werden keine zusätzlichen Cookies gesetzt.