Schlösser, Burgen und Herrenhäuser öffnen sich dem sanften Tourismus. Das bringt Geld in die Kasse, um das Monument instand zu halten oder sogar auszubauen. Und wer in historischem Ambiente ein Wochenende verbringen möchte, muss auf Annehmlichkeiten nicht verzichten.
PHILIPP VIRAG HAT IN DEN WARMEN MONATEN EIN LUXUSPROBLEM. Gern würde er im Garten Platz nehmen und seine Arbeit dort erledigen, denn der neu gestaltete Cottage Garden ist wunderschön und überdies klimafreundlich. „Hier blüht es von Februar bis Oktober“, sagt er, „und im Winter funkeln die Eisblumen.“ Nur lenke ihn das Vogelgezwitscher zu oft ab, um konzentriert bei der Sache zu sein. Daher begebe er sich meist nach kurzer Zeit wieder ins Schloss. Drinnen ist es aber auch sehr apart.
Philipp Virag und sein Partner Jens Jacobi sind die Eigentümer des Großen und Kleinen Schlosses Lanke in Wandlitz nordöstlich von Berlin. Sie selbst leben zeitweise im Großen Schloss. Im Kleinen Schloss vermieten sie seit 2017 drei Ferienwohnungen an Touristinnen aus der ganzen Welt. Im kürzlich sanierten oktagonalen Pferdestall veranstalten die Eigentümer Konzerte und private Feiern. Außerdem pflegen sie eine große Kunstsammlung zum Thema „Kunst am Bau der DDR“, die besichtigt werden kann. „Mit den Einnahmen können wir das Schloss instand halten und erweitern“, sagt Virag.
SCHLÖSSER, BURGEN UND HERRENHÄUSER ÖFFNEN SICH DEM TOURISMUS.
Ihre Besitzer wollen die historischen Bauten der breiten Öffentlichkeit zugänglich machen und ihnen neues Leben einhauchen. Die Einnahmen daraus spielen allerdings eine zentrale Rolle, denn alte Gemäuer in Schuss zu halten kostet Geld. Sehr viel Geld sogar, wenn man die Sanierung denkmalgerecht ausführt, was Pflicht ist, wenn das Monument unter Denkmalschutz steht. Für die meisten privaten Schlossbesitzer sind die Aufwendungen kaum zu stemmen. Immerhin können sie diverse Fördermittel in Anspruch nehmen. Es gibt Programme von den Ländern, der Stiftung Denkmalschutz oder dem Verein Schlösser und Gärten in Deutschland.
Doch die Finanzspritzen reichen häufig nicht, schon gar nicht, wenn man ein verfallenes Gebäude erwirbt oder erbt, welches aufwendig saniert werden muss. Da kommt der Tourismus ins Spiel. Er ist eine Möglichkeit, Geld einzunehmen, zumal der Urlaub in Gutshäusern begehrt ist und die Nachfrage größer wird. Vor allem während der Pandemie legten Buchungen in deutschen Schlössern, Burgen, ehemaligen Klöstern, Bauernhäusern und Mühlen stark zu. Aber auch jetzt sei die „Dynamik ungehalten“, sagt Virag. Während der wärmeren Monate seien seine Unterkünfte nahezu nahtlos ausgebucht. Die Gäste kämen wegen der Geschichte des Gutsdorfs, seien aber auch an der DDR-Zeit interessiert. Und natürlich schätzten sie die schmucken Apartments mit modernen Elementen wie Bulthaup-Küchen und schicken Bädern auf der einen Seite sowie alten, aufgearbeiteten Böden, Fliesen oder Möbeln auf der anderen.
Es bedarf gewaltiger Investitionen, wenn man ein Kleinod erhalten und Gästen etwas Besonderes bieten will. Das weiß auch das Ehepaar Sylke und Wolfram Klemm. Die Berliner suchten eigentlich eine Ferienwohnung im Umland von Berlin. Als sie dann das Gutshaus Below in Mecklenburg-Vorpommern, kurz hinter der brandenburgischen Grenze, entdeckten, „verliebten wir uns in das Anwesen“, so Wolfram Klemm. Und sie beschlossen, es zu kaufen. Der Preis sei allerdings zu hoch gewesen, um es als Zweitresidenz zu nutzen. „Uns war klar, dass wir den Lebensmittelpunkt hierherverlegen müssen“, sagt der promovierte Mediziner Klemm. Um die Kaufsumme und die erste Renovierung bezahlen zu können, habe das Paar seine große Eigentumswohnung in Berlin veräußert.
NACH ZWEI AUFREGENDEN JAHREN Pendelei und Baustellenalltag waren die Klemms 2013 so weit, dass sie nicht nur selbst im Gutshaus leben, sondern auch die ersten Ferienwohnungen vermieten konnten. Mehr als zehn Jahre und viele weitere denkmalgerechte Instandhaltungen später bietet das Paar zwölf Betten in drei Apartments an. Außerdem betreibt es eine Espressobar für Gesellschaften ab sechs Personen. Und alle paar Monate kocht Sylke Klemm für rund dreißig Gäste. Das nächste „Tafeldinner für Genießer“ steht am 19. Oktober an. Eine Woche später spielt im restaurierten Festsaal der Pianist Hans Howitz.
Ebenfalls in privater Hand ist das Gutshaus Pitschen-Pickel. Alexandra Bonin-Bach und ihr Partner Ansgar Bach haben es 2018 auf der Suche nach „dem Besonderen“ erworben, nachdem es jahrelang leer stand. Jedes Wochenende ist das Paar aus Leipzig nach Heideblick in der Niederlausitz gefahren, hat Wasserschäden und eingeschlagene Fensterscheiben repariert, Böden erneuert, Strom- und Wasserleitungen legen lassen. Vieles haben die Künstlerin und der Literat selbst gemacht. „Das Budget war limitiert“, erklärt Bonin-Bach. Doch nach rund zwei Jahren konnten sie einziehen und das alte Rittergut aus dem Jahr 1760 für weitere Nutzungen ausbauen. Mittlerweile vermieten sie zwei Zimmer, die von Berlinerinnen ebenso gern genutzt werden wie von Polen, Briten oder Australierinnen. Weitere Übernachtungsgelegenheiten sollen ab Sommer 2025 im Inspektorenhaus direkt nebenan entstehen, das das Paar vor Kurzem erworben hat. Hier sind auf 200 Quadratmetern sechs bis sieben Zimmer mit einer großen Gemeinschaftsküche geplant. Des Weiteren wollen die Gutshausbesitzer Hochzeiten ausrichten. Schon jetzt organisieren sie Kulturveranstaltungen mit bis zu fünfzig Personen, darunter „literarische Wochenenden“ für zwei bis vier Teilnehmer zu besonderen historischen Themen. „Außerdem besuchen wir gemeinsam mit Interessierten das Schloss Wiepersdorf“, sagt Bonin-Bach.
SCHLOSS WIEPERSDORF, ETWA 35 KILOMETER von Heideblick entfernt, ist nicht privat betrieben, sondern eine 2019 vom Land Brandenburg gegründete und geförderte öffentlich-rechtliche Kulturstiftung. Aber auch das 1735 erbaute barocke Ensemble wurde geöffnet, um es mit Leben zu füllen. Der Park sei für alle zugänglich, sagt Direktorin Annette Rupp, das Café in der Orangerie sowie das Museum jeden Sonntag. Vor allem aber sorgen 25 bis 30 Stipendiaten aus Kunst und Wissenschaft jährlich für einen internationalen und interdisziplinären Austausch in einer Gegend, in der sich ansonsten Fuchs und Hase Gute Nacht sagen.
Von Wandlitz bis Wiepersdorf – beste Aussichten für Gäste, die sich auf ein neues Lebensgefühl einlassen möchten: Schlossherr auf Zeit.
Foto: © Dirk Bleicker © NewPic Photography
Text: Sabine Hölper
Datum: September 2024
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