Der Hochschulprofessor und promovierte Volkswirtschaftler Günter Faltin ist kreativ, mutig und streitbar. Die von ihm gegründete Stiftung Entrepreneurship befähigt junge Menschen dazu, ein tragfähiges Unternehmenskonzept zu entwickeln und ihren Platz in der Wirtschaft zu finden.
WENN NICHT JETZT, WANN DANN? Noch nie seien die Voraussetzungen so gut gewesen, um als Entrepreneurin die Wirtschaft mitzugestalten, sagt Professor Günter Faltin. „Heute kann man mit dem Laptop gründen. Es gibt viele Bereiche, in denen man kaum Kapital braucht. Genauso wenig wie das ganze Formelhafte, Mathematische der BWL.“ Er schmunzelt. „Alles, was ich brauche, ist ein gutes Konzept.“ Und genau darin sieht Faltin die Herausforderung: „Achtzig Prozent der Gründungen sind nach fünf Jahren bereits vom Markt verschwunden, weil die Geschäftsideen nicht ausgegoren sind.“ Eine gute Idee trage immer den Funken der Innovation in sich, sagt Günter Faltin. „Ich muss mir etwas einfallen lassen. Ich muss mich fragen: Was brauchen die Menschen wirklich?“ Tee zum Beispiel.
MITTE DER 1980ER-JAHRE: Günter Faltin, junger Professor an der Freien Universität Berlin und bekannt durch seine Kritik am klassischen Ökonomiestudium, startet ein unkonventionelles Projekt: Um zu demonstrieren, wie erfolgreiches Gründen funktioniert, und um seine Studenten für Entrepreneurship zu begeistern, initiiert er die „Teekampagne“. Dabei setzt er auf radikale Einfachheit und komprimiert die Gesetze des Markts aufs Wesentliche: „Wir haben den Tee direkt von der Plantage gekauft, besten Darjeeling, First Flush. Nur diese Sorte. Den Tee haben wir ausschließlich in 1000-Gramm-Packungen verkauft, in der Uni – das war damals noch erlaubt.“ Man habe ihn schlichtweg für verrückt gehalten, sagt Faltin, „aber nach zwei Monaten waren wir ausverkauft. Zwei Tonnen Tee!“ Der finanzielle Erfolg kann sich sehen lassen, die Teekampagne expandiert. Dass er als Beamter zu jener Zeit gar nicht gründen durfte, habe ihn nicht interessiert. „Der Präsident der Universität hat mir geraten, mich im Fall des Falles auf Artikel fünf des Grundgesetzes zu beziehen“, sagt Faltin – Absatz drei gewährt die Freiheit der Lehre. „Doch der Fall ist nie eingetreten.“ Es soll nicht Faltins einzige Gründung bleiben: Unter dem Mantel Projektwerkstatt GmbH kommen bis heute „Ideenkinder“ aus unterschiedlichsten Branchen zur Welt.
Im Jahr 2001 gründen Günter Faltin, der inzwischen den Arbeitsbereich Entrepreneurship an der FU Berlin aufbaut, und sein Professorenkollege Dietrich Winterhager die gemeinnützige Stiftung Entrepreneurship. Ihr Ziel: mit unternehmerischen Ideen die Welt zu einem besseren Ort machen. „Damit das gelingt, muss sich der Gründer auch fragen: Wo ist mein Platz? Was mache ich gern, was will ich abgeben?“ Hier kommen die „Komponenten“, wie Günter Faltin sie nennt, ins Spiel: „Wir leben in einer hoch arbeitsteiligen Gesellschaft. Niemand muss zwingend Büroarbeit machen, Buchhaltung, Rechnungswesen. Das sind Bausteine, die man sich bei Experten zubuchen kann. Das ist nicht nur für die Qualität sinnvoll, sondern auch für die Kosten.“ Die Stiftung arbeitet mit einem umfangreichen Komponentennetzwerk, das sie den Start-ups zur Verfügung stellt.
DASS FALTIN BEI JUNGEN ENTREPRENEURINNEN ein Bewusstsein für die Sinnhaftigkeit der Arbeitsteilung schaffen möchte, hat noch einen Grund: Er begreift einen Gründer „mehr als Künstler, dessen Tätigkeit ein konzeptkreativer, schöpferischer Prozess“ sei. Um diesen künstlerischen Geist zu fördern, bietet die Stiftung Entrepreneurship verschiedene Aktivitäten an. In einer einjährigen Masterclass erlernen die Teilnehmerinnen die „faltinsche Methode des Gründens“. Einmal jährlich findet in Berlin der Entrepreneurship Summit statt, eine Gründerkonferenz, die mehr als 1500 Teilnehmer in Workshops und Impulsgruppen mit Expertinnen zusammenbringt. Darüber hinaus bietet die Stiftung Interessierten die Möglichkeit, in Kursen ihre sozialen Kompetenzen zu trainieren und an einem internationalen Gründerwettbewerb, der Citizen Entrepreneurship Competition, teilzunehmen.
Ohne solche Angebote gehe es nicht, sagt Faltin: „Wir stehen vor Herausforderungen nie gekannten Ausmaßes. Wir brauchen Gründerinnen mit neuen Werten und Ideen für eine neue Ökonomie.“ Und solche, die Spaß hätten bei ihrem Tun. „Konfuzius sagt: Wenn du das tust, was du gern tust, musst du dein Leben lang nicht arbeiten.“ Mehr Motivation geht nicht.
Foto: © Victor Heekeren
Text: Christian Bracht
Datum: September 2024
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