„Kunst macht das Dasein sichtbar“: die Sammlung Achim Freyer

Im Privathaus von Achim Freyer ist Kunst allgegenwärtig – und erzählt dabei die Geschichte eines Menschen, der stets aus seiner Haltung heraus agiert.

„KUNST IST KAMPF FÜR BEWUSSTERES LEBEN“, sagt Achim Freyer. Also lebt er mit ihr und sie mit ihm, in seinem Haus in Berlin-Lichterfelde. Die Bilder sind in „freyerscher Hängung“ angebracht, dicht an dicht buhlt jedes in seiner Einzigartigkeit um das Interesse der Betrachterin. Mehr als 2500 Werke hat Freyer bislang zusammengetragen, von den Stars der internationalen Kunstszene ebenso wie von unbekannten Kunstschaffenden. Er findet sie in Galerien, bei Auktionen und auf Flohmärkten. Hin und wieder tauscht er seine eigenen Werke gegen die anderer Künstler, denn Achim Freyer ist selbst studierter Maler und Grafiker – unter anderem. Er ist auch Theater- und Filmemacher, emeritierter Professor der Universität der Künste Berlin, dazu Stifter und Sammler.

Die Geschichte der Sammlung ist auch die Geschichte seines Lebens. In den 1950er-Jahren beginnt der gebürtige Berliner sein Kunststudium und wird Meisterschüler von Bertolt Brecht an der Ost-Berliner Akademie der Künste. Das erste Werk seiner Sammlung ist eine Radierung von Lovis Corinth, „ein auf brechendes, existenzielles Selbstbildnis“, das ihn emotional tief berührt. Als Teil einer Künstlerszene der DDR, die in ihren Arbeiten unerwünschte Themen aufgreift, beginnt er innerhalb seines Netzwerks Bilder zu tauschen. Kunst schaffen und gute Kunst sammeln wird zu seinem Weg gegen die verordnete Kulturpolitik des Regimes. Als Freyer 1972 eine Gastspielreise der Berliner Volksbühne mit „Der gute Mensch von Sezuan“ (Inszenierung von Benno Besson, Bühne und Kostüm von Achim Freyer) zur Flucht in den Westen nutzt, bleiben die meisten seiner Arbeiten und die Sammlung zurück. Bis zum Mauerfall versteckt ein Freund die Werke in seiner Einraumwohnung. Dann endlich kehren sie zu Freyer zurück und können in die Sammlung, die in der Zwischenzeit in seinem Haus in West-Berlin entstanden ist, eingefügt werden.

ACHIM FREYER IST UNIVERSALKÜNSTLER. Einer, der die künstlerischen Disziplinen immer wieder in neuen Kontext bringt. Sein aktuelles Projekt, das in der Spielzeit 2024/25 in Meiningen Premiere feiern wird, verwebt Theater und Malerei zu einem „kompositorischen Gesamtkunstwerk“. „Kunst macht das Dasein sichtbar“, sagt Achim Freyer. Das zu vermitteln sei ihm ein Anliegen. So hat er eine nach ihm benannte Stiftung gegründet und 2012 das „Achim Freyer Kunsthaus“ in seinem Privathaus eröffnet. Neben der Sammlung befindet sich dort eine Galerie für Konzerte, Lesungen und Ausstellungen, in denen Achim Freyer sein Œuvre in Dialog mit Werken anderer Künstler bringt und dabei besonders die junge Kunst fördert.

„Die Stiftung soll bewahren“, sagt Achim Freyer, und zwar an Ort und Stelle: Die Werke sollen an dem Platz bleiben, den er ihnen zugewiesen hat. Nie hat er eines weggegeben, umgehängt nur im Notfall. Arbeiten von Pablo Picasso, Jeff Koons und Neo Rauch sind darunter, von künstlerischen Weggefährten aus der DDR-Zeit, dazu Unbekannte, Vergessene, Verschmähte. Kein Bild ähnelt einem anderen, auch Ähnlichkeiten mit seinen eigenen Arbeiten gibt es nicht. Und: Ein jedes ist ein Lieblingsstück, „sonst hätte ich es ja nicht“. Bekanntheit sei völlig unwichtig für ihn, sagt der Sammler. „Auch unbekannte Künstler schaffen große Kunst, eine autarke Äußerung.“ Um die Besucherinnen zum unbefangenen Umgang mit den Exponaten zu bewegen, gibt es keinerlei Schilder oder andere Hinweise. Er blickt sich um. „Das Leben selbst hat diese Sammlung geschaffen, das ist einmalig.“

Foto: © Monika Keiler
Text: Anke Bracht
Datum: September 2024

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