Von der Lower East Side Manhattans zurück nach Berlin: Seit September 2023 ist Jenny Schlenzka Direktorin am Gropius Bau in Kreuzberg. Sie will diese Institution weiterentwickeln. Und weiß genau, wie.
NEW YORK CITY ZU VERLASSEN, DAS SEI NICHT DER PLAN GEWESEN, sagt Jenny Schlenzka. „Eigentlich dachte ich immer, ich bleibe. Es heißt ja, nach sieben Jahren New York kann man sich nicht mehr vorstellen, woanders zu leben. Und das war auch bei mir so.“ Doch dann kam die Coronapandemie, und aus „eigentlich“ wurde nach und nach ein Plan. „Die Jobs waren anstrengender als je zuvor, man durfte nicht aus dem Haus, ich hatte keine Hilfe für meine beiden kleinen Kinder.“ Als das Militärschiff „Comfort“ im Frühjahr 2020 am Manhattan Cruise Terminal anlegt, um die überfüllten Krankenhäuser zu entlasten, bucht Schlenzka vier Flüge nach Berlin. Hier ist sie geboren, hier leben ihre Eltern. Eine Phase der Erholung beginnt; zwei Monate bleibt sie mit ihrer Familie in Berlin, spielt zum ersten Mal mit dem Gedanken, wie es wäre, nach Deutschland zurückzukehren. „Ich dachte, vielleicht ist das Leben hier einfacher. Aber was wäre mit meiner Arbeit? In New York habe ich total spannende Sachen gemacht. Was gibt es in Berlin Spannendes für mich?“ Die Antwort hat sie schon parat: „Einer dieser Orte ist der Gropius Bau.“
Die Geschichte des Gropius Baus ist eng mit der Geschichte der Stadt verwoben. Nach den Plänen der Architekten Martin Gropius – eines Großonkels des Bauhaus-Gründers Walter Gropius – und Heino Schmieden im Stil der italienischen Renaissance erbaut, wurde der Gebäudekomplex aus Kunstgewerbemuseum und Kunstgewerbeschule 1881 eröffnet. Auf schwere Bombenangriffe gegen Ende des Zweiten Weltkriegs folgten jahrzehntelanger Verfall und Leerstand, bis das Haus – saniert und modernisiert – 1999 mit einer Ausstellung zur 50-jährigen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wiedereröffnet wurde. Seit 2001 ist der Gropius Bau ein Ausstellungsort der Berliner Festspiele und positioniert sich als „lebendiger Ort des Austauschs für die unterschiedlichsten Menschen, wo Begegnungen und die Auseinandersetzung mit Kunst und miteinander möglich sind“.
In dieser Positionierung und dem interdisziplinären Konzept dahinter, einen „Ort für Spiel und Teilnahme“ zu schaffen, „an dem alle Sinne, nicht nur das Sehen, sondern auch das Fühlen, Hören, Schmecken und Ertasten gleich wichtig sind“, findet Jenny Schlenzka sich und ihre Anforderung an das, was Kunst leisten soll, wieder. „Als die Medien darüber berichteten, dass die damalige Direktorin Stephanie Rosenthal den Gropius Bau verlässt, habe ich nicht lange überlegt und mich beworben.“ Wenige Monate später, am 1. September 2023, übernimmt die neue Direktorin das Ausstellungshaus in Kreuzberg.
ES IST EINE WEITERE BENCHMARK AUF IHREM BERUFLICHEN WEG, der mit einem Stipendium der New York University 2002 beginnt. Nach ihrem Abschluss arbeitet sie mit dem deutsch-amerikanischen Kurator Klaus Biesenbach – inzwischen Direktor der Neuen Nationalgalerie – am Museum of Modern Art (MoMA) zusammen. Dort wird Jenny Schlenzka die erste Kuratorin für Performancekunst und setzt sich gemeinsam mit Biesenbach dafür ein, dass das MoMA Performances für seine Sammlung erwirbt. Am PS1, dem MoMA-Standort in Queens, entwickelt sie das Format „Sunday Sessions“, das Performancekunst zum Gemeinschaftserlebnis macht. Von 2017 an leitet Jenny Schlenzka den Performance Space New York an der Lower East Side, einen von Künstlern in den Achtzigerjahren geschaffenen Ort für Lesungen und Performances.
Und nun also Berlin. Die kuratorische Arbeit sei eine völlig andere als die in New York, sagt die Direktorin des Gropius Bau: „Amerikanerinnen – insbesondere New Yorkerinnen – haben keine Angst davor, ‚einfach‘ zu sein. Wenn du eine komplexe Idee nicht in fünf einfachen Sätzen vermitteln kannst, dann hast du dich selbst nicht verstanden. Hier dagegen schätzt man oft das Komplexe, das Schwierige.“ Sie habe diese positive Sichtweise auf das Einfache verinnerlicht, sagt Jenny Schlenzka: „Mach es kurz, mach es simpel – ohne es zu verdummen. Ich glaube, ich bringe das mit. Genau wie die Mischung von Low und High Culture, was auch typisch New York ist. Und ich habe Freude am Experimentieren. Nicht in Kategorien denken, sondern immer dazwischen.“ So wie bei ihrem bislang wohl „wildesten Projekt“ anlässlich des 40. Jubiläums des Performance Space im Jahr 2020: „Zero Twenty Twenty war sehr experimentell. Wir haben für ein Jahr das Programm, die Programmgelder und die Schlüssel zu unseren Räumen an zehn Kunstschaffende gegeben, die frei damit arbeiten konnten. Eine Carte blanche, sozusagen.“ Es sei sehr anstrengend gewesen, sagt Schlenzka, „und dann kam die Pandemie, und das Projekt konnte sich leider nie richtig entfalten. Ich habe viel gelernt, auch, wie man Dinge nicht macht. Vor allem habe ich gelernt, wo die Grenzen einer Institution liegen – und wo es Spielräume gibt.“
Spielräume: Davon sollen künftig noch mehr Kunstschaffende als Artists in Residence im Gropius Bau profitieren. Und wieder geht es um den Dialog. „Das ist ein großer Fokus für den zukünftigen Gropius Bau“, sagt Jenny Schlenzka, „ich möchte das Artist-in-Residence-Programm ausbauen.“ Dafür sollen viele der leer stehenden Räume im zweiten Stockwerk als Ateliers genutzt werden. „Hier befinden sich ja auch unsere Büros. Die Künstler sollen sich untereinander und auch mit unserem Team treffen, sich ständig austauschen.“ Eine Künstlerin ist bereits da: „Als Kerstin Brätsch, kurz nachdem ich hier angefangen hatte, mit ihren Leinwänden ihr Atelier bezogen hat, das war ein ganz besonderer Moment für mich.“ Überhaupt, die Berliner Kunstszene: „Die Anzahl an großartigen Künstlerinnen ist unfassbar. Da kommt Berlin für mich direkt hinter New York. Aber ich habe das Gefühl, bislang nur die Spitze des Eisbergs kennengelernt zu haben. Ich freue mich darauf, mich da ganz tief reinzuarbeiten.“ Und Schlenzka sieht auch die Notwendigkeit: „Zeitgenössische Künstler spielen eine besondere Rolle im Jetzt. Wir leben in einer Phase des Umbruchs, unsere alten Weltbilder stimmen nicht mehr, aber wir haben auch keine neuen“, sagt die Direktorin. „Kunstschaffende sind die einzigen Menschen, die ich kenne, die diese Verwandlung als Quelle ihrer Kreativität sehen und nicht als Quelle der Angst und des Verkrampfens und des Festhaltens an irgendwelchen Ideologien.“
ZUDEM FUNKTIONIERT „GUTE KUNST“ STETS AUF VIELEN EBENEN, und das mache sie sich im Gropius Bau zunutze: „Es heißt oft, wenn etwas populär ist, dann kann es weder intellektuell sein noch komplex. Ich finde, das stimmt nicht.“ Derzeit bereiten sie und ihr Team Ausstellungen vor, die diese Ansicht unter Beweis stellen sollen. „Im kommenden Jahr werden wir eine Yoko-Ono-Ausstellung machen. Yoko Ono ist sowohl interessant für Akademikerinnen, die sich mit Konzeptkunst auseinandersetzen, als auch für Menschen, die noch nie eine Ausstellung für zeitgenössische Kunst besucht haben.“ Eine weitere Ausstellung ist dem Werk Keith Harings gewidmet: „Er war nicht nur wahnsinnig experimentell, er hat im öffentlichen Raum viel mit Jugendlichen gearbeitet und zeigte großes Interesse daran, dass seine Kunst auch jenseits von Museen und Galerien funktioniert.“ Yoko Ono und Keith Haring werden Menschen in einen Dialog miteinander bringen, da ist sie sich sicher. Doch es brauche noch mehr als Kunstschaffende von Weltruhm: „Wir wollen hier die Voraussetzungen schaffen, dass Menschen sich zeitgenössischer Kunst spielerisch nähern. Wir wollen digitaler werden, das Format Ausstellung neu denken. Wir arbeiten an einem großen Projekt zur künstlichen Intelligenz. Und wir wollen im Gropius Bau alle Sinne ansprechen. Im Herbst starten wir mit Rirkrit Tiravanija.“ In der Ausstellung des thailändischen Aktionskünstlers wird gekocht, die Besucher können Pingpong spielen. Der Künstler baut ein Musikstudio, in dem die Gäste musizieren können. Das alles klingt nach einem richtig guten Plan.
Text: Christian Bracht
Foto: © Espen Eichhöfer
Datum: Mai 2024
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