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Im Zentrum des Berliner Kunstbetriebs: die schweizerische Malerin Valérie Favre
Von der Aare an die Spree: Seit fast 30 Jahren lebt die im Schweizer Kanton Bern geborene Künstlerin Valérie Favre in Berlin. Was treibt sie an, was sind ihre Themen? Und warum zieht es sie nach Paris? Ein Porträt
Seit 2006 lehrt Valérie Favre an der Universität der Künste Berlin, in diesem Sommer endet ihre Professur. Die Berliner Jahre der Malerin waren eine Zeitreise durch die Kunst, denn nicht nur ihre künstlerischen Themen haben während der zwei Dekaden an der Hochschule gewechselt, auch die Anforderungen an den Lehrbetrieb veränderten sich. Im gleichen Maße, wie die deutsche Hauptstadt bedeutende Entwicklungen durchgemacht hat, hat die schweizerische Künstlerin neue Kapitel in ihrer Kunst aufgeschlagen.
Ihrer Liaison mit Berlin hat sie so manches zu verdanken. Sicherlich nicht den im vorigen Jahr an sie verliehenen Prix Meret Oppenheim, die renommierteste Auszeichnung für Schweizer Kunstschaffende. Wohl aber die Grundlagen für diesen Erfolg. Denn Berlin ist ein Hotspot zeitgenössischer Kunst. Der erste Höhepunkt lag in den goldenen anderthalb Jahrzehnten nach dem Ersten Weltkrieg: Internationale und deutsche Kunstschaffende strömten vor 100 Jahren in die Stadt an der Spree, bereicherten die Kultur der Metropole und verpassten ihr den Nimbus des Höher-weiter-schriller in der Kunstwelt.
Valérie Favre in ihrem Atelier im Wedding
Den neuen Höhenflug erlebte Favre als Protagonistin mit. Er begann in den 1990ern, bis in die 2010er-Jahre erlebte die Kunstszene der wiedervereinigten Hauptstadt mit rund 10 000 bildenden Künstlerinnen und Künstlern und über 600 Kunstgalerien ein atem- und pausenloses rauschendes Fest. Inzwischen ist Ernüchterung eingekehrt, Paris gewinnt seine Position in der Kunst Europas zurück. Ist dies für Favre ein Grund, nach ihrer Emeritierung an die Seine zu ziehen?
Die Künstlerin ist in ihrem Atelier im Wedding dabei, an vielfältigen Zyklen zu arbeiten, die sich den großen Themen auf der Bühne der Kunstgeschichte widmen. Das lenkt die Gedanken auf Paris – die Stadt, in der Valérie Favres erste Karriere als Schauspielerin ihren Anfang nahm. Aus der Darstellerin auf Theaterbühnen und an Filmsets entwickelte sich in den späten 1980er-Jahren die Malerin, deren Werk bald Beachtung fand. Seitdem werden Favres Bilder in Museen und Galerien gezeigt und ausgezeichnet – in den vergangenen Jahren in Straßburg, Tel Aviv, Düsseldorf, Luzern und im Pariser Centre Georges Pompidou.
Derzeit sind Valérie Favres Bilder in gleich mehreren großen Ausstellungen zu sehen: bis August im Marta Herford mit „Other People Think“ und in der Galerie Bastian Paris bei der Gruppenschau „The Magnificent Seven“. Zuletzt bespielte sie zum Gallery Weekend in Berlin den SLEEK Art Space mit Gemälden und Zeichnungen aus nahezu vier Dekaden in „Die Tödin“.
Vor allem hätten sie James Ensor und Francisco de Goya beeinflusst, sagt die Künstlerin, der phantastische belgische Postimpressionist der Jahrzehnte um 1900 und der spanische Großmeister des späten 18. Jahrhunderts. So sehr, dass sie sich entschloss, zu Goyas „Hexenflug“ einen Zyklus zu malen. Fragt man sie, was ihr beim Malen wichtig sei, lautet die Antwort: „Ich suche nach Bildern, die zur Kontemplation anregen. Einerseits braucht es immer auch eine Portion Mystik, andererseits brauchen meine Bilder lange. Aber wenn sie die Richtung nehmen, die ich mir wünsche, fange ich an, zufrieden zu werden.“
Die Inszenierung von Räumlichkeit treibe sie an. Sie wurde zum Ausgangspunkt ihres zeichnerischen Œuvres, häufig mit Tusche oder Aquarellfarben auf Papier. Dabei sieht Valérie Favre ihre größte Herausforderung darin, Bilder nicht anekdotisch erscheinen zu lassen. Aber auch das „Hübsche“ im Bild missfällt ihr, denn es sei nicht die Ästhetik, die sie suche. Im gleichen Atemzug unterstreicht die Malerin, dass sie sich in einer „geschlechtslosen Welt“ am wohlsten fühlte. Wie sieht sie sich selbst? Als „körperlos“, würde sie erwidern. Und ihre Kunst? „Die Schönheit in meinen Bildern entsteht am Ende immer durch Harmonie. Obwohl meine Themen, wie der ‚Selbstmord-Zyklus‘, eher sperrig sind. Aber auch in meinem Zyklus ‚Le Bateau des Poètes‘ sitzen nicht nur Flüchtlinge an Bord der Schiffe, sondern auch Dichter und Literaten, die mich sehr beeinflusst haben. Und manche von ihnen haben Selbstmord begangen. So verknüpfen sich immer meine Themenwelten, ebenso wie das fortwährende Thema der Darstellung von Bäumen in meinem Werk eine Rolle spielt.“
Auch Themen ihres Geburtslandes und des zweiten Wohn- und Arbeitsortes Neuchâtel in der französischen Schweiz sind bei Favre präsent. Etwa in einer Serie von Selbstporträts, die sich auf ein ikonisches Foto des Lautdichters und Dada-Pioniers Hugo Ball beziehen: Als „magischer Bischof“ verkleidet, rezitiert er im Zürcher Cabaret Voltaire 1916 ein phonetisches Gedicht. Hierfür ließ sich Favre in ihrem Atelier fotografieren, mit Umhang und Papphut, inspiriert von Balls kubistischem Outfit, dessen Farben sich auf dem historischen Foto in Grautöne verwandelt haben. In Favres Werken ähneln die Streifen ihres „Kleides“ denen von Balls Hut. Doch die Pose ist betont feministisch.
Ein von ihr von jeher malerisch formuliertes anliegen – so auch im Werkblock der „Lapine univers“, die in Favres Werk immer wieder auftaucht. Die Universalhäsin, eine hybride Frauenfigur mit langen Hasenohren, ist Fabelwesen, weibliche Galionsfigur, Heldin und Antiheldin zugleich. Und hat auch einen Platz in der arte-Dokumentation „Schöne lange Löffel – Vom Hasen in der Kunst“ gefunden, in der die Malerin sich in die Reihe der Hasenkunstschaffenden Albrecht Dürer, Jeff Koons, Joseph Beuys, Sigmar Polke, Leiko Ikemura und Michael Sowa einreiht und aus dem Atelier ihre Sicht auf den Feminismus erklärt.
Zum Abschied von der Lehrtätigkeit und von Berlin gehört der Rückblick. Kürzlich hat Valérie Favre mit „Malerei. Ein Gespräch“ ihre Memoiren vorgelegt, in der Form eines langen, oft witzigen, sich assoziativ verästelnden und doch nie sich verlierenden Monologs, behutsam gelenkt von den Fragen des Essayisten Axel Ruoff. Fragt man sie heute, wie die Malerei und der Lehrbetrieb sich verändert haben, zuckt sie mit den Achseln. Denn andere Medien ziehen begleitend in das klassische Fach der Malerei ein. „Mein Experimentierfeld der Malerei wird zunehmend durch die Neuen Medien bis hin zu künstlicher Intelligenz bestimmt. Aber die Malerei wird nie sterben.“
Text: Sebastian C. Strenger
Fotos: Chaemus Macmillan
Datum: Juli 2025
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