© Kristian Schuller
Till Brönner
Till Brönner ist nicht nur Deutschlands bekanntester Jazztrompeter, sondern auch Komponist, Produzent und Fotograf – stets auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen. Besuch bei einem Perfektionisten
Es gibt Stimmen, die mehr sagen als Worte. Till Brönners Trompete ist eine solche Stimme. Sie spricht in warmen, melancholischen Tönen, erzählt von Sehnsucht, von Weite, von der stillen Kraft, die im einzelnen Moment liegt. Der Mann an dieser Trompete ist nicht nur Deutschlands wohl bekanntester Jazzmusiker, sondern auch Produzent, Komponist und Fotograf – ein Grenzgänger zwischen den Künsten. Ein Mann, der sich treu bleibt und doch immer wieder neue Wege geht. Das Gespräch mit Till Brönner ist wie seine Musik: voller Eleganz, durchzogen von Nachdenklichkeit und getragen von einer Leidenschaft, die über das rein Musikalische weit hinausreicht.
Die Kunst des Loslassens. Till Brönner hat sich mit dem Unvorhersehbaren arrangiert. Die Improvisation ist das zentrale Element seiner Musik, eine Philosophie, eine Art zu leben. „Die Kunst ist es nicht, den Weg zu verlassen, sondern zurückzufinden“, sagt er. Eine Einsicht, die er auf vielen Bühnen dieser Welt gewonnen hat. Ob in Berlin, New York oder Tokio – sein Spiel bleibt unverkennbar, leicht und doch tiefsinnig.
Schon als Kind habe er gespürt, dass die Musik ihn nie mehr loslassen würde. Es waren die melancholischen Klänge eines Walt-Disney-Films, die ihn so tief berührten, dass er es kaum in Worte fassen konnte. Später tauchte die Trompete von Louis Armstrong seine Welt plötzlich in Farbe. Von da an war klar: Der Jazz sollte sein Leben bestimmen. Dennoch blieb ein ständiges Suchen, eine Art Ruhelosigkeit, die ihn bis heute antreibt.
Zwischen Perfektion und Zweifel. Der Weg war nicht geradlinig. Mit Mitte zwanzig geriet Till Brönner in eine Krise, die seine Karriere beinahe beendet hätte. Er verlor die Kontrolle über seine Trompete, konnte nicht so spielen, wie er wollte, traf die Töne nicht. Die Diagnose: eine minimale, aber folgenreiche Fehlhaltung des Mundstücks. Es dauerte Jahre, bis er sich die falsche Technik abgewöhnt und das richtige Spielen erlernt hatte. „Ich war kurz davor aufzugeben“, gibt er zu. Doch der Jazz lehrte ihn Durchhaltevermögen. Heute spielt er unfallfrei – mit einer Gelassenheit, die aus der Erfahrung kommt, dass Perfektion oft in der Lockerheit liegt.
Der Weg dorthin ist oft ein einsamer. Brönner spricht von langen Stunden des Übens, von Momenten der Frustration, wenn ein Ton nicht so klingt, wie er es sich vorstellt. Doch genau diese Momente sind die wahre Essenz des Jazz: das Streben nach dem Ideal, ohne zu wissen, ob man es jemals erreicht. „Man muss akzeptieren, dass manche Dinge sich erst nach Jahren fügen“, sagt der Musiker, „manchmal findet man das, wonach man sucht, in einem einzigen improvisierten Moment.“
Stimme der Vergangenheit. Eine der prägenden Begegnungen seiner Karriere war jene mit Hildegard Knef. Brönner produzierte 1999 ihr letztes Album „17 Millimeter“ und lernte in ihr eine ebenso musikalische wie historische Größe kennen. Hildegard Knef erzählte ihm von den Schwierigkeiten, die sie nach dem Krieg in Deutschland gehabt hatte, von ihrem Kampf, als Künstlerin anerkannt zu werden, und von ihrer engen Freundschaft mit Marlene Dietrich. Diese Gespräche hinterließen einen nachhaltigen Eindruck und inspirierten Till Brönner weit über die Musik hinaus. „Sie war Geschichte, eine lebendige Chronik des deutschen Entertainments“, erinnert er sich. In ihren Worten und ihrer Musik habe er die Last der Vergangenheit gespürt, die Widersprüche eines Landes, das sich zwischen Vergessen und Erinnern bewegte. „Solche Stimmen fehlen heute“, sagt er, „Kommentatoren, die mit Tiefe und Erfahrung auf unsere Zeit blicken.“
Doch Brönner ist selbst solch eine Stimme – nicht laut, aber eindringlich. In seinen Alben spiegelt sich diese Haltung wider: das Erbe des Jazz, vermischt mit modernen Klängen, immer getragen von der Sehnsucht nach etwas, das bleibt. Er sieht sich als Vermittler zwischen den Generationen, als jemand, der eine Kunstform weiterträgt, die oft unterschätzt wird.
Kulturelle Brücke. In den USA liegen die Wurzeln des Jazz – Brönner ist auch dort kein Unbekannter. Das Weiße Haus erkannte seine Kunst an, als Präsident Barack Obama ihn zu einem Jazzkonzert einlud. Eine Ehre, die deutlich macht, dass diese Musik Grenzen sprengen kann. Denn in Amerika ist der Jazz etwas anderes als in Deutschland. „Hier wurde die Musik unterbrochen, für lange Zeit verboten.“ Das hat Spuren hinterlassen. Dennoch ist Brönner der Überzeugung, dass auch Deutschland eine Jazz-DNA hat. Der Trompeter sieht sich als Brückenbauer zwischen den Kulturen. Seine Musik verbindet Menschen, eröffnet neue Perspektiven. Er selbst empfindet Jazz nicht nur als Musikrichtung, sondern als Lebensgefühl, das sich in allen Bereichen seines Schaffens widerspiegelt. „Jazz ist Freiheit“, sagt er. „Jazz bedeutet, Strukturen zu kennen, aber bereit zu sein, sie jederzeit aufzubrechen.“
Ein Künstler der Sinne. Dieses Verständnis spiegelt sich auch in Till Brönners fotografischem Werk wider, das oft den gleichen Prinzipien folgt: Kontraste, Stimmungen, ein Bewusstsein für Stille und Ausdruck. „Es geht darum, etwas sichtbar zu machen, das schon da ist“, erklärt Brönner. Der Künstler vergleicht die Fotografie mit dem Jazz: Es ist nicht das Offensichtliche, das zählt, sondern das, was im Verborgenen liegt.
Seine Begeisterung für die fotografische Ausdrucksform entstand eher zufällig, als er für eine Dokumentation über den Fotografen William Claxton die Filmmusik schrieb. Durch Claxton erkannte er, dass es in beiden Kunstformen gilt, den perfekten Moment einzufangen. Schon bald hielt er selbst die Kamera in der Hand und entwickelte sich zu einem gefragten Fotografen.
Till Brönners Fotografien werden heute in renommierten Museen gezeigt, und obwohl er diese Werke nie in den Vordergrund stellt, haben sie für ihn eine ebenso große Bedeutung wie die Musik. Erfolg? Das sei für ihn heute etwas anderes als früher. „Man merkt irgendwann, dass die zweite Flasche Champagner und das zweite Steak keinen Unterschied mehr ausmachen“, sagt er mit einem Lächeln und gesteht: „Ich muss mich manchmal zum Mut zwingen. Früher hat man nicht nachgedacht, jetzt muss ich mich bewusst dazu entscheiden, ein Risiko einzugehen.“
Doch darin liegt für Till Brönner der Kern aller Kunst. Die Lust am Neuen, die Offenheit für das Ungewisse, der Glaube daran, dass Improvisation nicht Chaos bedeutet, sondern eine raffinierte Form der Ordnung. „Man muss loslassen können“, sagt er. „In der Musik und im Leben.“
Was bleibt also, wenn der letzte Ton verklungen ist? Vielleicht genau das: die leise Kraft einer Melodie, die sich für immer ins Gedächtnis schreibt. Ein Echo, das nie ganz verstummt. Ein Vermächtnis, das sich durch Generationen zieht, getragen von dem Wissen, dass Musik die einzige Sprache ist, die keine Übersetzung braucht.
Text: Christian Bracht
Foto: © Kristian Schuller
Datum: März 2025
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