Portrait Professor Dr. Dr. Robert Gaudin, Mediziner und Zahnmediziner, Professor an der Charité und Mitgründer innovativer Medtech-Unternehmen

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Professor Dr. Dr. Robert Gaudin

Dreifache Schnittstelle

Er ist eine der prägenden Persönlichkeiten der modernen Zahnmedizin in Berlin. Professor Dr. Dr. Robert Gaudin bewegt sich souverän an den Schnittstellen von Medizin, KI-Technologie und Unternehmertum – als Mediziner und Zahnmediziner, Professor an der Charité und Mitgründer innovativer Medtech-Unternehmen.

Ein sonniger Frühlingstag in Berlin, Leichtigkeit liegt in der Luft. Robert Gaudin lässt den Blick über die vorbeieilenden Touristinnen und Touristen schweifen, nimmt einen Schluck Kaffee. Seine Motivation sei rein intrinsischer Natur, sagt der promovierte Human- und Zahnmediziner. Doch er habe früh erkannt, dass die Schulmedizin nicht ausreiche, um die Herausforderungen des Gesundheitssystems zu lösen: „Der Grundgedanke ist, als Mediziner dem Menschen zu helfen. Aber für mich war schon immer wichtig, über den Tellerrand hinauszuschauen und Innovationen voranzutreiben, die echten Mehrwert liefern.“ Seine Zeit in Harvard und am Massachusetts Institute of Technology sowie die Begegnungen mit internationalen Innovatoren hätten sein Verständnis für die Bedeutung von Vernetzung und technologischer Offenheit geprägt, sagt der 36-Jährige. „Ich interessiere mich leidenschaftlich für die Schnittstelle von Medizin, Technologie und Wirtschaft, um die Zukunft der Gesundheitsversorgung zu gestalten und die medizinische Diagnostik zu digitalisieren.“ Es sei eine der größten und interessantesten Herausforderungen, die Machine-Learning-Technologie aus der Forschung zu zertifizieren, auf den Markt zu bringen und in die klinische Routine zu implementieren. 

Portrait Professor Dr. Dr. Robert Gaudin, Mediziner und Zahnmediziner, Professor an der Charité und Mitgründer innovativer Medtech-Unternehmen
Textbox: seine Tätigkeit als Mediziner inspiriere ihn zu neuen Entwicklungen, sagt der Gründer von dentalXrai.

Dass Robert Gaudin einmal mit KI-basierten Anwendungen die Zahnmedizin verändern würde, hat er als Schüler nicht gedacht. Sein Schulpraktikum absolviert er in einer Bank. „Da war immer die Überlegung, dass es für mich in die Wirtschaft geht“, sagt der Professor für Digitale Medien und Künstliche Intelligenz der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie an der Berliner Charité, „aber da war auch das Menschliche. Die Medizin hat mich immer sehr interessiert.“ Seinen Schlüsselmoment erlebt Gaudin in der Zusammenarbeit mit Kollegen aus dem Harvard Innovation Lab: „In den USA arbeitet die Medizin anders. Man ist dort intensiv vernetzt und arbeitet sehr innovativ, das hat mir in Deutschland ein bisschen gefehlt.“ Robert Gaudin ist zu jener Zeit Mitorganisator des Harvard German Club, schnell wird er zum passionierten Netzwerker. Außerdem erkennt er das enorme Potenzial von KI-Lösungen in der Zahnmedizin. „Es gibt kaum ein anderes Fach, in dem so viele Röntgenbilder gemacht werden. Das war der Ausgangspunkt für die Entwicklung KI-gestützter Bildanalysen.“ 

Bis zur Marktreife wird es dauern, das weiß damals der junge Assistenzarzt. Doch gemeinsam mit einem Kollegen, der mit ihm im Innovation Lab in Harvard arbeitet, gelingt der erste, entscheidende Wurf. Der Algorithmus liefert zwar nur eine 60-prozentige Genauigkeit, aber das reicht, um das Projekt voranzutreiben. „Wir haben gesehen, es funktioniert. Und mir war klar: Wenn wir weitermachen, können wir die Diagnostik revolutionieren.“ Gaudin stellt die Anwendung auf Fachkongressen vor, „wird belächelt“, wie er sagt. Sein damaliger Chef habe ihm sogar den Rat gegeben, sich einem anderen Forschungsthema zuzuwenden: „Was Sie da machen, hat keine Zukunft.“

Gut, dass er den Rat nicht befolgt hat. Auf der Grundlagenforschung von Robert Gaudin basieren heute moderne Diagnostiklösungen, er selbst gründet im Jahr 2018 VideaHealth, ein Harvard- und MIT-Start-up in den USA, und 2020 das Start-up dentalXrai aus der Charité in Europa, dessen Software eine voll automatisierte Erstellung des Röntgenbefunds mittels KI ermöglicht und in Tausenden Praxen klinischer Alltag ist. VideaHealth wurde in ein börsennotiertes Unternehmen integriert und dentalXrai erfolgreich verkauft. Sein jüngstes Projekt stellte der Mediziner im Dezember 2024 in den Fachmedien vor: Wizdom, die erste digitale Lernplattform speziell für Studierende der Zahnmedizin, funktioniert universitätsunabhängig und soll einen einheitlichen Lehrplan fördern. Darüber hinaus bietet Wizdom Weiterbildungsinhalte für Zahnärzte an.

Zitat Professor Dr. Dr. Robert Gaudin:“Den Sprung zum Unternehmer wagen leider immer noch zu wenige Mediziner
Portrait Professor Dr. Dr. Robert Gaudin, Mediziner und Zahnmediziner, Professor an der Charité und Mitgründer innovativer Medtech-Unternehmen

Den Sprung zum Unternehmer wagten leider immer noch zu wenige Mediziner, sagt Robert Gaudin. Er selbst berät, oftmals zusammen mit dem früheren Vizekanzler und Gesundheitsminister Philipp Rösler, Gründer mit medizinischem Background, um so viel innovatives Potenzial wie möglich zu fördern. „Wenn man ein Produkt erfolgreich an den Markt bringen will, sollte man mit der medizinischen Karriere ein, zwei Jahre pausieren und sich zu 100 Prozent auf seine Idee konzentrieren.“ Er wisse aus eigener Erfahrung, dass es der richtige Weg sei: „Ich habe es damals genauso gemacht, habe einfach den Schritt ins Unternehmertum gewagt.“ Momentan sei er allerdings wieder „mehr Mediziner“, sagt Robert Gaudin. Seit acht Jahren ist er an der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Charité angestellt, im Dezember 2024 wurde ihm die Professur für seinen Fachbereich erteilt. Die klinische Tätigkeit und der Kontakt mit dem Patienten seien seine Inspiration, seine Ideengeber für neue Entwicklungen. „Bei dentalXrai und VideaHealth konzentriert sich die KI auf das, was schon sichtbar ist. Mein neues Thema ist die Früherkennung, die Prävention.“ 

Künstliche Intelligenz wird die Zahnmedizin weiterhin revolutionieren, so viel ist sicher. Ärztliche Verantwortung und menschliches Einfühlungsvermögen ersetzt sie nicht, sie verbessert jedoch Diagnostik, Therapieplanung und Patientenbetreuung. Doch es gibt Risiken, die genauer Betrachtung bedürfen, sagt Robert Gaudin. Er kennt die Hürden der KI-Implementierung aus erster Hand: Die Generalisierbarkeit von Algorithmen, rechtliche Unsicherheiten und die Notwendigkeit, Innovationen marktfähig zu machen, sind zentrale Themen seiner Arbeit. So benötigen KI-Systeme große Mengen sensibler Patientendaten zur Analyse und Optimierung. Dies erhöht das Risiko von Datenschutzverletzungen und unbefugtem Zugriff auf medizinische Informationen. Zudem besteht trotz hoher Präzision die Möglichkeit, dass KI-Algorithmen falsche Diagnosen oder Therapieempfehlungen liefern. Solche Fehlinterpretationen können zu unangemessenen Behandlungen führen. Die Verantwortung für die finale Diagnose und Behandlung bleibt immer beim Zahnarzt, der die Ergebnisse der KI kritisch prüfen muss. 

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Textbox: Innovationen marktfähig zu machen ist ein zentrales Thema von Professor Gaudin.

„Das ist momentan ein großes Thema: Wie weit lässt sich KI überhaupt in der Medizin einsetzen? Solange diese beiden Herausforderungen nicht gelöst sind, werden KI-Anwendungen eine rein unterstützende Funktion haben.“ Zudem sei es ein Trugschluss, dass sich aus jeder guten Idee ein funktionierendes, vermarktungsfähiges Produkt entwickeln lasse. „Am wichtigsten ist der ‚medical need‘. Ist der gegeben, stellt sich die Frage, ob es dafür bereits eine Vergütung gibt. Wenn ja, ist das schon einmal eine gute Voraussetzung.“ Wenn nicht, müssten die Vermarktungsmöglichkeiten geprüft werden. „Gibt es Kanäle, die man bedienen kann? Kann man vielleicht Selektivverträge mit Krankenkassen abschließen?“ Der Weg von der Idee zur Markteinführung sei extrem von einem Team mit Weitblick und einem eingespielten Netzwerk abhängig. 

All das kommt auf den Prüfstand, wenn Robert Gaudin selbst in junge Unternehmen investiert. Seine K.-o.-Kriterien lauten: „Erstens, wenn in einem Medtech-Start-up kaum Ärzte arbeiten. Da fehlt dann etwas. Zweitens, wenn die Anwendung nicht integrierbar modular aufgebaut ist. Die einfache Implementierung in den Alltag ist mir wichtig.“ Sein nächstes Treffen wird sich genau mit diesen Themen befassen.

Text: Christian Bracht
Fotos: Meike Kenn

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