© Victor Heekeren / https://www.victorheekeren.de/
Philipp von der Wippel
Philipp von der Wippel will die Demokratie von Grund auf erneuern – und glaubt an die Kraft des gemeinsamen Handelns.
Karl-Liebknecht-Straße 34, mitten in Mitte: Besuch bei Philipp von der Wippel. Der 29-jährige Unternehmer ist Gründer und Geschäftsführer von ProjectTogether, einer Organisation, die man auch als „Innovationslabor der Demokratie“ bezeichnen könnte. Auf den ersten Blick könnte man ihn für einen weiteren Vertreter der gut vernetzten Berliner Sozialunternehmerszene halten. Doch wer genauer hinhört, erkennt einen Mann, der nichts Geringeres als die Grundlagen unseres Zusammenlebens überdenken will. Dabei begann sein Weg mit einer Enttäuschung: Als Teenager in München wollte von der Wippel sich politisch engagieren. „Mir wurde gesagt: Wenn du etwas verändern willst, dann musst du in die Parteien gehen“, erinnert er sich. Doch was er dort fand, war ernüchternd. „Es ging oft um alles andere als Veränderung – um Titel, Posten, Gremiensitzungen.“ Die Frustration über diese verkrusteten Strukturen hätte ihn politikverdrossen machen können. Stattdessen wurde sie zum Antrieb für etwas völlig Neues.
Der entscheidende Moment soll während eines Schüleraustauschs in Nordwestengland kommen. Zusammen mit einem syrischen Mitschüler entwickelt er eine Initiative, die englische Schüler für die Menschenrechtsverletzungen in Syrien sensibilisieren will. Das Mittel dazu ist so einfach wie revolutionär: Live-Skype-Konferenzen in die Kriegsgebiete während der morgendlichen Schulversammlungen. „Es war eine soziale Innovation“, reflektiert von der Wippel über das Format, das sich damals noch neuartig anfühlte. Doch innerhalb weniger Monate entwickelt sich eine Bewegung, die weit über die Schulmauern hinaus wirkt. Andere Schulen übernehmen das Konzept, Spenden fließen, Parlamentsabgeordnete werden aufmerksam. Der Höhepunkt: eine Einladung in die Downing Street zu Premierminister David Cameron. Für den damals 16-Jährigen ist es eine Offenbarung: „Es hat mir gezeigt, dass man mitgestalten kann. Demokratie ist kein Zuschauersport.“ Diese Erkenntnis wird zum Leitsatz seines Lebens. Philipp von der Wippel sagt: „Man muss nicht fragen, um mitgestalten zu können. Man muss machen.“
Von der Wippel ist sensibel für Krisen, die gesellschaftlichen Verwerfungen der jüngsten Zeit erlebt er als Formationserfahrung. Die Pandemie, der Krieg in der Ukraine, der Aufstieg des Populismus sind für ihn nicht nur Bedrohungen, sondern auch „Windows of Opportunity“. „Krisen haben mich definitiv geprägt“, sagt er. „Sie haben mir gezeigt, wie sehr unsere Institutionen, die wir uns seit dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut haben, in Krisen mittlerweile an ihre Grenzen stoßen.“ Doch statt in Pessimismus zu verfallen, erkennt er die Chancen: „Plötzlich entsteht eine Offenheit für neue Wege.“ Diese Haltung bewies er eindrucksvoll zu Beginn der Coronapandemie. Während die Regierung noch nach Lösungen suchte, organisierte er zusammen mit Partnern binnen einer Woche den deutschlandweit größten Hackathon – mit Beteiligung des Bundeskanzleramts sowie 27 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. „Nicht die Politik kann alle Antworten liefern“, war die Botschaft, „jetzt muss die Gesellschaft gemeinsam ran.“
Was Phillip von der Wippel von anderen Akteurinnen und Akteuren unterscheidet, ist sein radikaler Pragmatismus. Er kritisiert nicht nur, er macht Vorschläge. Er mobilisiert nicht gegen etwas, sondern für etwas. „Wir sind pragmatische Idealisten“, beschreibt er die Philosophie seiner Organisation. ProjectTogether versteht sich als Orchestrator kollektiven Handelns. Die Organisation bringt Akteure aus Politik und Wirtschaft an einen Tisch, um gemeinsam an konkreten Missionen zu arbeiten – sei es die Zukunft des Bauens und Wohnens oder die Reform staatlicher Strukturen. „Empathie ist eine Grundfähigkeit“, sagt von der Wippel über seine Arbeit. „Man braucht sie, um wirklich zu verstehen: Wie schaust du auf die Welt? Was leitest du für dich als Prioritäten ab?“
Der Erfolg gibt ihm Recht. Die von ProjectTogether mitinitiierte Reformbewegung trug neben anderen Initiativen dazu bei, dass es heute ein Ministerium für Digitales und Staatsmodernisierung gibt. Eine Angelegenheit, die vor zwei Jahren noch als „zu technokratisch“ galt, wurde zum Wahlkampfthema. Es war keine Frage, dass von der Wippel nach Berlin gegangen ist. Die Stadt bietet ihm die einzigartige Mischung aus Politik, Innovation und Kreativität, die er für seine Arbeit braucht. „Du hast hier so viele unterschiedliche kleine Städtchen“, schwärmt er über die Vielfalt der Hauptstadt, „wenn du in Berlin lebst, lebst du in 20 Städten gleichzeitig.“ Trotzdem warnt er vor der Berliner Blase. Seine Organisation arbeitet bewusst deutschlandweit, hat ein Netzwerk von „Gestaltern“ in Kommunen von Bayern bis zur Lausitz aufgebaut. „Es ist sehr wichtig, dass man viel im Land unterwegs ist“, betont er. Die Realität außerhalb der Hauptstadt zu verstehen ist für ihn unverzichtbar.
ProjectTogether beschäftigt 50 Menschen, viele von ihnen haben gut bezahlte Jobs in der Wirtschaft aufgegeben. „Teilweise haben sie das Doppelte, Dreifache, schon Vierfache verdient“, erzählt von der Wippel. Was sie antreibe, sei die Vision, die Demokratie nicht nur zu verteidigen, sondern zu erneuern. „Wenn wir Parteien komplett neu denken, wie würden wir politische Mitgestaltung heute definieren?“, fragt er. Die Antwort darauf will seine Organisation liefern – als eine Art Unternehmensberatung für die Demokratie, auch wenn er den Vergleich mit einem Lachen korrigiert: „Wir sind ein Innovationslabor. Unser Kunde ist die Demokratie.“
Wenn Phillip von der Wippel in die Zukunft blickt, sieht er die größte Gefahr nicht in einzelnen Krisen, sondern in einer grundlegenden Haltung: der Konsumentenhaltung gegenüber der Demokratie. „Jahrzehntelang war es so: Wenn du dich um dein privates Leben kümmerst, dann läuft alles andere von allein“, diagnostiziert er. „Wir hatten eine Zeit der Entpolitisierung.“ Doch das sei vorbei. „Der Rahmen ist überhaupt nicht mehr da“, warnt er mit Blick auf die sicherheitspolitischen Herausforderungen und den Aufstieg extremistischer Parteien. Seine Antwort ist radikal und hoffnungsvoll zugleich: „Raus aus einer Konsumentendemokratie, hin zu einer Mitgestaltungsdemokratie.“
Am Ende des Gesprächs wird von der Wippel noch einmal sehr persönlich. Seine Gedanken kreisen um seine beiden kleinen Töchter. In einer Zeit rasenden Wandels – „vor drei Jahren war Coding das ganz große Ding, heute kann man sagen, es ist vollkommen unwichtig, denn das machen ja die KIs“ – wünscht er ihnen vor allem Souveränität. Das ist bezeichnend für einen Mann, der die Welt verändern will und dabei nie vergisst, dass es am Ende allein auf den Menschen ankommt. „Diese Welt braucht sehr viel Souveränität aus uns selbst heraus“, sagt er. Souverän zu sein bedeutet für ihn: kritisch denkend, nicht anfällig für Manipulation, harmonisch in sich ruhend.
Philipp von der Wippel ist ein Optimist in schwierigen Zeiten. Einer, der nicht nur sagt, was falsch läuft, sondern handelt. Ein pragmatischer Idealist, der glaubt, dass sich die Demokratie erneuern lässt – wenn wir aufhören, nur Zuschauerinnen und Zuschauer zu sein, und wieder zu Akteurinnen und Akteuren werden. „Es geht besser, es geht doch“, lautet sein Credo. „So kann es funktionieren.“ Er ist die Stimme einer Generation, die mit Krisen erwachsen geworden ist, und trotzdem – oder gerade des-wegen – glaubt er an die Gestaltungskraft des Menschen.
Text: Christian Bracht
Fotos: Victor Heekeren
Datum: Oktober 2025
Das könnte Sie interessieren:
Digitale Kunst zum Anfassen
Die Berliner Galerie OFFICE IMPART schafft hybride Ausstellungsräume, um virtuelle Arbeiten erlebbar zu machen. Ein Gespräch mit Gründerin Johanna Neuschäffer über die Chancen, den Kunstmarkt mitzugestalten
Exzellente Führung: ein Versprechen der Weberbank
Was macht eine Privatbank zukunftsfähig? Für uns ist die Antwort klar: exzellente Führung. Denn sie verbindet wirtschaftlichen Erfolg mit menschlicher Qualität. Wie wir Führung mit Haltung leben, Potenziale entfalten und gemeinsam weiterentwickeln.
Im Rausch der Daten – Rechenzentrumsboom in Berlin-Brandenburg
Wirtschaftsfreundliche Politik, eine stabile Energieversorgung und die lebendige Digitalwirtschaft machen die Region um die Hauptstadt zu einem Hotspot für internationale Investoren im Bereich Datacenter. Mit dem dynamischen Wachstum steigen jedoch auch die Anforderungen.
Wir verwenden Cookies, die unbedingt erforderlich sind, um Ihnen unsere Website zur Verfügung zu stellen. Wenn Sie Ihre Zustimmung erteilen, verwenden wir zusätzliche Cookies, um zum Zwecke der Statistik (z.B. Reichweitenmessung) und des Marketings (wie z.B. Anzeige personalisierter Inhalte) Informationen zu Ihrer Nutzung unserer Website zu verarbeiten. Hierzu erhalten wir teilweise von Google weitere Daten. Weiterhin ordnen wir Besucher über Cookies bestimmten Zielgruppen zu und übermitteln diese für Werbekampagnen an Google. Detaillierte Informationen zu diesen Cookies finden Sie in unserer Erklärung zum Datenschutz. Ihre Zustimmung ist freiwillig und für die Nutzung der Website nicht notwendig. Durch Klick auf „Einstellungen anpassen“, können Sie im Einzelnen bestimmen, welche zusätzlichen Cookies wir auf der Grundlage Ihrer Zustimmung verwenden dürfen. Sie können auch allen zusätzlichen Cookies gleichzeitig zustimmen, indem Sie auf “Zustimmen“ klicken. Sie können Ihre Zustimmung jederzeit über den Link „Cookie-Einstellungen anpassen“ unten auf jeder Seite widerrufen oder Ihre Cookie-Einstellungen dort ändern. Klicken Sie auf „Ablehnen“, werden keine zusätzlichen Cookies gesetzt.