Pastor Dr. Christian Ceconi ist seit vier Jahren Direktor der Berliner Stadtmission. Mit christlicher Nächstenliebe kümmert er sich um die, die am Rande der Gesellschaft leben, und bringt mit Leidenschaft Menschen zusammen. Nebenbei erfreut er sich am Fahrradfahren in Berlin.
DIE ZENTRALE DER BERLINER STADTMISSION AM MORGEN IST EIN ORT DER KONTRASTE. Vor der Kleiderkammer und der ärztlichen Ambulanz stehen Obdachlose, in einer Unterkunft für Geflüchtete brummt ein Fön, und im Glaspavillon des Gästehauses frühstücken Touristinnen. Bevor Christian Ceconi morgens auf seinem Fahrrad den Campus erreicht, kommt er am Übergangshaus für Wohnungslose, der Straffälligenhilfe und einer Reihe Altkleidercontainer vorbei. Das ist schon ein ganz guter Querschnitt durch die vielfältigen Tätigkeiten der evangelischen Berliner Stadtmission, die Ceconi seit April 2020 als theologischer Vorstand leitet. Doch es ist längst nicht alles. Es gibt Senioren- und Behindertenwohnheime, Kindergärten, eine Fahrradwerkstatt. Am bekanntesten sind wohl die Kältebusse, die in den Wintermonaten durch die Nacht fahren, heiße Getränke an Obdachlose ausschenken und Schlafsäcke verteilen, damit niemand erfriert. Nicht zuletzt gehört das Zentrum für Obdachlose am Bahnhof Zoo dazu. Dort gibt es Aufenthaltsräume, und man bekommt etwas zu essen.
Wie ein Wimmelbild sieht die comicartige Zeichnung der Berliner Stadtmission aus, die an der Pinnwand in Ceconis Büro hängt. Darunter steht das bei der Gründung 1877 gewählte Bibel-Leitwort aus dem Buch Jeremia: „Suchet der Stadt Bestes und betet für sie zum Herrn.“ Lächelnd zeigt Ceconi auf die weißen Flächen der Zeichnung: „Die kann man auch gut ausmalen.“ Ein sympathisch-lockerer Spruch des 53-Jährigen, nachdem er den Ursprung der Losung erklärt hat: Die deutsche Übersetzung „der Stadt Bestes“ aus dem Hebräischen gehe auf das Wort „Schalom“ zurück, was nicht nur „Frieden“, sondern auch „Raum zum Leben“ bedeute, und dass es den Menschen gut gehe. „Das ist unser täglicher Job“, sagt Ceconi. Tatsächlich sei die Losung noch immer „eine super Beschreibung“ der Arbeit der Stadtmission. Ein kleiner typischer Exkurs: Ceconi spricht ruhig und überlegt, steigt im Gespräch auch gern tief in ein Thema ein, findet aber mühelos den Weg zurück ins Alltägliche und Praktische.
GLAUBE ALS BERUF – dazu kam Ceconi erst allmählich. Er sei mit kirchlicher Jugendarbeit groß geworden, erzählt der in Hannover Geborene. An den christlichen Pfadfindern mochte er das „Handfeste“. In Richtung Theologie sollte es hauptberuflich aber nicht gehen. „Das kann ich auch ehrenamtlich weitermachen“, habe er sich damals gedacht. Jura oder Volkswirtschaft schwebten ihm vor, „damit geht ja dann immer alles“. Bei der Bundeswehr traf er schließlich einen Militärseelsorger, mit dem er sich über Theologie unterhielt. „Der hat den Gedanken noch mal angetippt, und das ist auf fruchtbaren Boden gefallen“, sagt Reserveoffizier Ceconi. „Dann habe ich mit wachsender Begeisterung Theologie studiert.“ Sein Studium der Diakoniewissenschaft führte ihn nach München, Jerusalem, Heidelberg und Göttingen. Zusätzlich habe es ihm „das Thema soziale Arbeit im kirchlichen Kontext noch mal sehr nahegebracht“. Zum Vikariat ging es in die Hannoversche Landeskirche und dann als Pastor „aufs Dorf“ im Süden von Hildesheim.
„True Story“, so leitet Ceconi die Geschichte ein, wie es ihn 2013 quer über den Atlantik nach Kanada verschlug. Eines Morgens kam seine Frau, sie ist Ärztin, vom Nachtdienst nach Hause. „Die Kinder waren schon auf dem Weg zur Schule. Ich habe am Frühstückstisch in einer Kirchenzeitschrift gelesen, darin standen zwei Stellenanzeigen“, erzählt Ceconi. Eine in Stuttgart, eine in Toronto. Er habe eher spaßeshalber gefragt, ob er sich auf die Pfarrstelle in Kanada bewerben solle. „Einige Tage später rief meine Frau auf dem Handy an und fragte, ob wir uns das mit Toronto nicht doch mal ansehen sollten.“ Beruflich passte es, auch für die drei Kinder, die damals zwischen vier und neun Jahre alt waren, war es ein guter Zeitpunkt. Mitentscheidend sei natürlich sein Glaube gewesen: „Ist das der Ort, an dem Gott mich mit meinen Gaben haben will?“, habe er sich gefragt. Es habe sich alles gut angefühlt, sagt er, und so kann Ceconi begeistert von sieben Jahren in einer deutsch- und englischsprachigen Martin-Luther-Kirche in Toronto erzählen, von der kanadischen Willkommenskultur und Interkulturalität: „Toronto ist noch viel diverser als Berlin.“ Die Kirchenarbeit war unkonventionell, so wie er es mag. Da wurde der Besprechungstisch einfach in den Park gestellt oder es wurde zum Essen eingeladen.
War es da schwierig, Toronto zu verlassen? Ceconi lächelt und denkt einen Moment nach. „Die Frage ist für mich, für was verlasse ich einen Ort oder eine Stelle“, sagt er dann. „Die Stadtmission ist einfach eine ganz wunderbare Aufgabe. Ich empfinde es jeden Morgen als echtes Privileg, hier arbeiten zu dürfen und ein Teil von diesem Werk zu sein.“ Es komme
dabei ganz viel von dem zusammen, was ihn bewege und Kirche aus mache. „Kirche muss wirksam sein in der Gesellschaft, weil ihr sonst das Fleisch an den Knochen fehlt.“ So könnten der Gaube und die Kirche Lebensperspektiven eröffnen, sagt er. Christen seien dazu berufen, dieser Welt zu dienen. „Und das tut die Stadtmission auf eine ganz anrührende und auch kreative Weise. Sie gibt mir ganz viele Möglichkeiten, Kirche zu gestalten.“
WIRKSAM MIT WRESTLING. Um Menschen zu helfen, wählt die Stadtmission auch Wege, die zunächst ungewöhnlich erscheinen mögen. Im März lud sie Obdachlose zu einem Wrestling-Event ein, Ceconi hielt eine Andacht im Ring. Praktischer Hintergrund: Menschen zu ermöglichen, für zwei Stunden ihrem Alltag zu entfliehen und einfach Spaß zu haben. „Vom Wesen her ist es unser Auftrag, uns auf Menschen zu konzentrieren, die sonst vergessen werden oder um die sich keiner kümmert“, sagt Ceconi. Das gilt auch, wenn es schnell gehen muss: Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Jahr 2022 baute die Stadtmission am Hauptbahnhof ein großes Willkommenszelt für Geflüchtete auf. Fast 300.000 Menschen versorgte sie dort. Anders als in anderen Städten hat die Berliner Stadtmission auch sehr viele Kirchengemeinden. 20 sind es, neben 42 diakonischen Einrichtungen an mehr als 70 Standorten. Außerdem betreibt die Stadtmission vier Hotels und vier Gasthäuser sowie ein Restaurant in der Lutherstadt Wittenberg. Deren Einnahmen finanzieren die Arbeit mit. Es fasziniere ihn, all das zu organisieren. Nicht zufällig promovierte Ceconi über kirchliche Personalführung. Etwas sehr Pragmatisches. Darauf kommt er auch im Gespräch immer wieder zurück. In seiner täglichen Arbeit könne er „Leute zusammenbringen, die sich sonst nicht treffen. Da gehen beide nachher anders weg, kommen aus ihrer eigenen Welt raus und entdecken im besten Fall, dass sie etwas verbindet.“ Er freue sich auch immer, wenn er Menschen in die Welt der Kirche einladen könne. Wobei er das Missionsverständnis der Stadtmission betont: „Klar für das zu stehen und davon zu erzählen, wofür ich stehe, ohne dabei übergriffig zu sein oder es anderen aufdrücken zu wollen“, so Ceconi. Und so bekomme jeder Mensch unabhängig vom Glauben Hilfe bei der Stadtmission. Es seien auch nicht alle Mitarbeiter Christen, sagt Ceconi: „Das ist nicht so entscheidend. Wir haben eine Leidenschaft für Menschen, das ist wichtig.“
EINEN ETAT VON RUND 60 MILLIONEN EURO HAT DIE STADTMISSION. Etwa 1000 Festangestellte und 2000 Ehrenamtliche sind für den gemeinnützigen Verein tätig, den Ceconi zusammen mit der kaufmännischen Vorständin Dragana Duric leitet. Knapp neun Prozent des Etats der Stadtmission sind Spenden. Sie kommen von Privatpersonen, Unternehmen oder Berliner Sportvereinen wie Hertha BSC und dem 1. FC Union Berlin. Der Fußballnationalspieler, Real-Madrid-Star und gebürtige Berliner Antonio Rüdiger spendete der Kleiderkammer Ende vergangenen Jahres rund 1700 T-Shirts, Jogginghosen und Turnschuhe. Seit Jahren kooperieren auch die BR Volleys mit der Stadtmission. Erst kürzlich sammelten sie Spenden zur Einrichtung einer Kleiderwäscherei für Obdachlose. Die Spenden seien ein wichtiger Posten. „Dadurch können wir Dinge tun, die nicht refinanziert sind“, erklärt Ceconi. Als weiteres Beispiel nennt er neben der Kältehilfe das Integrationsprogramm „Learning by Doing“ für Menschen mit Migrations- und Zufluchtsgeschichte in Spandau. Inzwischen wird es vom Bezirk finanziert. „Wir haben eine Lücke gesehen und ein sehr erfolgreiches Projekt angestoßen“, sagt Ceconi. „Menschen ganz praktisch eine Perspektive zu eröffnen, das bewegt mich.“ Und am Abend komme noch eine „ganz große Freude“ hinzu: „Mit dem Fahrrad durch die Stadt zu radeln.“
Text: Marcus Müller
Foto: © Saskia Uppenkamp
Datum: Mai 2024
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