Portrait von Ghazaleh Madani, Gründerin und CEO von CanChip, auf einer Bank vor dem Gebäude in Potsdam Golm, in dem sich ihr Unternehmen befindet.

© Hanna Wiedemann / https://hannawiedemann.com/
Ghazaleh Madani

Furchtlos Grenzen überschreiten

Die Wissenschaftlerin Ghazaleh Madani entwickelt in Brandenburg individuelle Krebstherapien, die punktgenau auf die Erkrankung zugeschnitten sind. Ein Gespräch über Neugier, die Macht der Community und warum sich die Iranerin ihrer neuen Heimat Deutschland eng verbunden fühlt – trotz aller Bürokratie

Ghazaleh Madani sitzt in ihrem Büro in Potsdam und erzählt von dem Moment, als sie den Gesellschaftervertrag für ihr Biotech-Unternehmen unterschrieb. „Das war eine Mischung aus so vielen Gefühlen“, sagt die iranische Wissenschaftlerin. „Aber nach ein, zwei Tagen hatte ich alles geregelt. Kein Weg zurück, nur nach vorn.“ Es ist eine Geschichte, die exemplarisch für das steht, was Deutschland in den kommenden Jahren braucht: hoch qualifizierte Zuwanderung, innovative Gründerinnen und den Mut, etablierte Systeme zu hinterfragen. Madanis Weg von Teheran nach Brandenburg ist geprägt von wissenschaftlicher Neugier, unternehmerischem Mut und der Erfahrung, dass Integration mehr bedeutet, als nur eine Sprache zu lernen. Schon als Kind wollte Madani Wissenschaftlerin werden. „Das war immer mein Thema“, erinnert sie sich an ihre Schulzeit. Ihre Faszination galt schon damals komplexen Systemen, Bereichen, „wo alles zusammenkommt und zusammen funktioniert“. Diese frühe Leidenschaft führte sie zunächst in die Grundlagenforschung, bevor sie den Sprung in die angewandte Wissenschaft wagte.

Ihre Familie prägt diese Entwicklung maßgeblich. Der Vater war Unternehmer, was ihr früh zeigte, dass Wissenschaft und Wirtschaft zusammengehören können. Die Verbindung von akademischer Exzellenz und praktischer Anwendung wurde zu einem Leitmotiv ihres Werdegangs. Die Mutter unterstützte ihre Ambitionen von Anfang an, auch wenn der Weg nach Deutschland zunächst ungewiss schien.

Portrait von Ghazaleh Madani, Gründerin und CEO von CanChip, im Gespräch.

Als Ghazaleh Madani 2020 nach Deutschland kommt, ist die größte Herausforderung nicht die Sprache, sondern die kulturelle Anpassung. „Ich wusste, dass ich mit 24 nicht alles erreichen kann“, reflektiert sie ihre Anfangszeit, „aber ich hatte auch ein bisschen Glück, weil ich meine Community hier gefunden habe.“ Diese Community wurde zum Anker in der neuen Heimat. Regelmäßige Treffen, gemeinsame Abende in iranischen Restaurants, der Austausch von Geschichten – all das half dabei, Wurzeln zu schlagen, ohne die eigene Identität zu verlieren.

Der Weg vom Labor zum eigenen Unternehmen ist nicht geradlinig. „Meine Mutter hat mich immer gefragt: Wann machst du es denn endlich?“, lacht Madani. Die Entscheidung reift langsam, getrieben von der Überzeugung, dass ihre Forschung einen direkten Beitrag zur Verbesserung der Medizin leisten könnte. Der Wendepunkt kommt, als die junge Wissenschaftlerin erkennt, dass die traditionelle Forschung zu langsam ist für die drängenden medizinischen Probleme ihrer Zeit. „Die Resignation spürt man mal mehr, mal weniger. Und dann denke ich an die harte Ausbildung und sehe auf der anderen Seite so wenig Bereitschaft, eigene Versprechen einzuhalten“, erinnert sie sich an die Frustrationen im akademischen Betrieb. Die Gründung selbst wird zum emotionalen Kraftakt. Mit einer großen Portion Mut und der Unterstützung ihres deutschen Partners wagt sie den Schritt in die Selbstständigkeit und bringt im Januar 2024 CanChip an den Start.

Portrait von Ghazaleh Madani, Gründerin und CEO von CanChip, in ihrem Labor, während sie einen weißen Kittel überzieht.

Zwei konkrete Ziele hat Madani mit ihrem Unternehmen vor Augen: Sie will Krebspatienten bessere Therapien ermöglichen und Tierversuche überflüssig machen. Zwei Schicksale aus ihrer eigenen Familie treiben sie an: Ihr Onkel verstarb an Krebs, ihre Mutter erkrankte ebenfalls, konnte aber geheilt werden. Heute entwickelt Madani mit ihrem Team engagierter Fachleute aus den Bereichen Krebsforschung und Molekularbiologie innovative Lösungen für personalisierte Krebstherapien. CanChip repliziert Organstrukturen auf Chips, auf denen auch Tumorzellen wachsen, um deren Eigenschaften zu analysieren und Therapien zu testen. Es ist ein wichtiger Bereich, in dem Deutschland international Konkurrenzfähigkeit beweisen muss – insbesondere gegenüber den USA, wo die meisten wichtigen Innovationen in diesem Segment entstehen.

Madani sieht personalisierte Medizin nicht als ferne medizinische Utopie für Einzelanwendungen, sondern als baldige Standardlösung. „Wichtig ist, dass wir mithilfe von Krankenhäusern und Patienten in den nächsten drei bis fünf Jahren möglichst viele Daten sammeln“, sagt sie optimistisch über die Zeitperspektive der Entwicklung. Das Ziel für die nächsten drei Jahre ist die Validierung ihrer innovativen Lösungen – es wäre ein Meilenstein, um den Durchbruch zu praktischen Anwendungen zu schaffen.

Im April 2025 gewinnt Madani den German Startup Award in der Kategorie „Newcomerin des Jahres“. Die Auszeichnung verschafft dem Unternehmen wichtige Sichtbarkeit. „Das war wirklich eine sehr gute Sache“, freut sie sich über die Anerkennung, die dabei hilft, weitere Investoren zu gewinnen. Der Preis hat die Tür zu internationalen Märkten geöffnet, insbesondere nach Dubai, wo in den nächsten zwölf Monaten konkrete Markteinführungspläne bestehen.

Portrait von Ghazaleh Madani, Gründerin und CEO von CanChip, in ihrem Labor sitzend mit offenem Blick in die Kamera. © Hanna Wiedemann / https://hannawiedemann.com/

Trotz aller Erfolge kämpft Madani wie viele Gründer in Deutschland mit der Bürokratie. Die regulatorischen Hürden im Gesundheitswesen sind hoch, die Genehmigungsverfahren langwierig. „Es ist alles so kompliziert und schwierig“, seufzt sie. „Ich verstehe die gesetzlichen Dinge, weil es um Gesundheit geht, aber sie machen es noch schwieriger.“ Diese Erfahrung teilt sie mit vielen internationalen Fachkräften, die nach Deutschland kommen. Die Diskrepanz zwischen dem Bedarf an Innovation und den strukturellen Hindernissen ist ein Problem, das auch in politischen Diskussionen zunehmend thematisiert wird.

Wenn Madani auf ihren bisherigen Weg zurückblickt, gibt ihr das Kraft. „Manchmal denke ich, vielleicht hätte ich einiges anders gemacht“, überlegt sie. „Aber wenn ich darüber nachdenke – ich habe wirklich großartige Menschen kennengelernt.“ Diese Dankbarkeit prägt ihre Haltung: Herausforderungen als Lernchancen zu begreifen, Rückschläge als Teil des Weges zu akzeptieren. Die Frage nach der Zukunft beantwortet Madani diplomatisch. Deutschland sei ihr zur Heimat geworden, doch sie halte sich Optionen offen. „Mehr Frauen in wichtigen Positionen würden jedem Staat guttun“, sagt sie mit Blick auf internationale Möglichkeiten, „es profitieren alle davon.“

Madani besitzt die iranische Staatsbürgerschaft, die deutsche steht noch aus – ein bürokratisches Detail, das symbolisch für ihren Status zwischen zwei Welten steht. Ihre Verbundenheit mit Deutschland ist unübersehbar. Am Ende des Gesprächs wird deutlich, was die Wissenschaftlerin in all den Jahren gelernt hat: „Die Angst ist nicht mehr da“, sagt sie. „Das ist sehr wichtig.“ Es ist diese Furchtlosigkeit, kombiniert mit fachlicher Präzision und unternehmerischem Weitblick, die sie auszeichnet. Ihre Geschichte zeigt exemplarisch, was alles gelingen kann, wenn Gesellschaft und Individuum aufeinander zugehen.

Madani brauchte Wissen und Innovationskraft mit, Deutschland bot Möglichkeiten und Infrastruktur. Das Ergebnis ist ein Unternehmen, das möglicherweise Leben retten wird – und eine Wissenschaftlerin, die beweist, dass eine frühe Leidenschaft auch unter schwierigen Umständen erfüllt werden kann. In einer Zeit, in der über Migration oft emotional diskutiert wird, steht Ghazaleh Madani für eine andere Erzählung: die der produktiven Integration, des wissenschaftlichen Fortschritts und des Mutes, Grenzen zu überschreiten – geografische wie intellektuelle.

Text: Christian Bracht
Fotos: Hanna Wiedemann
Datum: Oktober 2025

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