Georgia Näder ist immer ganz nah dran an Ottobock, dem Weltmarktführer in Prothetik. Das gilt für die Mitarbeiter und Produkte ebenso wie für die Menschen, denen sie eine neue Lebensqualität schenken. Von ihrer Rolle im Familienunternehmen hat die Urenkelin des Firmengründers ihre eigenen Vorstellungen. Und für ein Start-up bleibt auch noch Zeit.
BEIM ERSTEN HINSCHAUEN FALLEN SIE NICHT WEITER AUF, die kleinen Steigungen, die unterschiedlichen Materialien. Die Wege fügen sich organisch in den begrünten Innenhof in Prenzlauer Berg ein. Sie verbinden die historischen Gebäude und damit auch die Standorte von Ottobock „auf Bötzow“, wie das Areal genannt wird. 2018 verlegte der Weltmarktführer für Prothetik Unternehmensbereiche vom Potsdamer Platz auf das Gelände der ehemaligen Brauerei, unter anderem Ottobock Human Mobility – die Produktentwicklung für smarte, maßgeschneiderte Rollstühle – und das Ottobock Future Lab, das Themen wie die Digitalisierung der Orthopädietechnik vorantreiben will. Auch das International Patient Care Center, in dem Patientinnen aus dem Ausland betreut werden, hat auf dem Gelände Einzug gehalten. Der vom belgischen Gartenarchitekten Peter Wirtz gestaltete Innenhof dient als Therapiegarten, in dem Menschen mit Prothesen ihre ersten Schritte in geschützter Atmosphäre machen können.
Von ihrem heutigen Schreibtisch aus könnte Georgia Näder die Aktivitäten im Hof beobachten, doch für eine Pause fehlt die Zeit. Einen festen Arbeitsplatz oder gar ein eigenes Büro habe sie nicht, sagt die Vice President Futuring Mediterranee & Business Transition. Sie brauche den engen Austausch mit den Mitarbeiterinnen. „Wenn ich hier bin, setze ich mich einfach irgendwo dazu.“ Seit einigen Monaten pendelt die Managerin zwischen Paris, Berlin und Duderstadt, wo sich die Unternehmenszentrale befindet. Die meiste Zeit verbringe sie in Paris, sagt Näder, und das werde die nächsten ein, zwei Jahre wohl auch so bleiben. Grund ist der Generationswechsel im französischen Head Office, den sie begleitet. Es ist ein weiterer Sprung ins kalte Wasser, eine von vielen Aufgaben, die sie mit der größten Selbstverständlichkeit und völlig unerschrocken annimmt. So wie sie damals als zwanzigjährige Studentin und Urenkelin des Firmengründers den Sitz im Aufsichtsrat übernahm. Denn unbekanntes Terrain zu betreten und Learning by Doing seien für sie nichts Besonderes: „Für die fachlichen Themen gibt es Experten. Da muss ich nicht auch Expertin sein. Aber niemand kennt das Unternehmen Ottobock und die Menschen dort so gut wie ich. Und das kann ich in die Projekte und Prozesse einbringen.“
GEORGIA NÄDER KOMMT IN DUDERSTADT ZUR WELT, wächst in dem Ort im südlichen Niedersachsen auf. „Nach der Schule ging es entweder zu mei- nem Großvater zum Mittagessen oder auch mal in die Firma“, erinnert sie sich. Sie sei ein typisches Unternehmerkind gewesen: „Morgens, mittags, abends – die Firma war immer Thema bei uns.“ Als sie 14 Jahre alt ist, trennen sich ihre Eltern. Die Tochter entscheidet sich für den Schulwechsel auf ein Internat, um die Trennung besser zu verarbeiten. Der Abstand tut ihr gut, der Kontakt zu den Eltern bleibt dennoch eng – besonders zu ihrem Vater, Professor Hans Georg Näder. Ihm gelingt es, bei dem Teenager Interesse für das Familienunternehmen zu wecken, und schon bald begleitet die Tochter ihn zu Events oder auf Geschäftsreisen. An seiner Seite erlebt sie zum ersten Mal die Paralympics, die Ottobock seit 1988 mit Technikerteams vor Ort unterstützt. Die Willenskraft der Athleten fasziniert die begeisterte Sportlerin ebenso wie die Technologien, mit denen Ottobock den Menschen ihre Mobilität und damit ein wichtiges Stück Lebensqualität verschafft.
Nach dem Abitur studiert Georgia Näder Betriebswirtschaft mit Fokus auf Business Innovation, Administration und Healthcare in Barcelona und Kopenhagen. Mal lautet die Priorität Studium, mal Aufsichtsrat. Sie entwickelt ihr eigenes Tool für Zeitmanagement – einen Kalender mit Farbsystem, in den sie ihre Termine händisch einträgt. „So kann ich mir alles besser einprägen“, sagt die Managerin. Diese unkonventionelle Herangehensweise für den Blick auf das Wesentliche ist typisch für Näder. Und dass sie mit ihrer Art immer wieder beeindruckt, ist kein Kalkül: „Es ist mir wichtig, dass jeder spürt: Die ist authentisch.“ Diesen unverkrampften Umgang mit der eigenen Führungsrolle habe sie von ihrem Vater gelernt, er sei Teil der Unternehmenskultur.
WENN GEORGIA NÄDER VOM LERNEN SPRICHT, fällt schnell der Name Heinrich Popow. Der zweifache Goldmedaillengewinner der Paralympics 2012 und 2016, der im Alter von neun Jahren eine Beinamputation wegen Knochenkrebs erlitten hat, ist als Head of Performance für die Sportthemen des Medtech-Unternehmens zuständig – zum Beispiel für die „Running Clinics“. Das Format wurde 2013 von Heinrich Popow und Ottobock gemeinsam entwickelt: In den Sportcamps lernen oberschenkelamputierte Menschen, mit einer Sportprothese zu laufen, Basketball oder Fußball zu spielen. Während des Trainings komme es oft zu sehr emotionalen Momenten, sagt Georgia Näder und erzählt von dem jungen Familienvater, der mit der Gewissheit heimfuhr, zum ersten Mal mit seiner kleinen Tochter Fangen spielen zu können. „Da wird mir immer bewusst, wie schön es ist, die Chance zu haben, dieses Unternehmen mitzuprägen und das Leben so vieler Menschen zum Positiven zu verändern.“
Wer Dinge verändern will, müsse raus aus der Komfortzone und fähig sein, die Perspektive zu wechseln – zwei der Gründe, weshalb Näder 2018 zusammen mit einer Freundin ein eigenes Unternehmen auf dem Bötzow-Gelände an den Start bringt. Unter dem Namen Maluwa Superfoods vertreiben die beiden Gründerinnen Pulver und Presslinge von Moringa oleifera, dem Meerrettichbaum. Die Blätter der tropischen Pflanze sind reich an Eiweißen und Omega-3-Fettsäuren und gelten als Energiespender. „Es war ein Learning in vielerlei Hinsicht. Nicht aufgeben, sich nicht demotivieren lassen, kreative und kosten- günstige Lösungen finden, das bringt extrem viel.“ Sie habe gelernt, Herausforderungen aktiv anzugehen, nichts auszusitzen, klar zu kommunizieren. Die wichtigste Erkenntnis: „Man kann alles lernen, wenn man will und wenn man gute Leute hat, die man fragen kann.“
UM DIE EXPERTEN VON MORGEN frühzeitig und langfristig an das Unternehmen zu binden, fährt Ottobock mehrgleisig. So hat das Unternehmen in Zusammenarbeit mit der PFH Privaten Hochschule Göttingen, der Universität Göttingen und seit Kurzem der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Studiengänge im Bereich Orthobionik und Healthcare Technology etabliert. Und wer bereits im Gesundheitswesen arbeitet, den erwarten in der Ottobock Academy vielfältige Fort- und Weiterbildungen rund um die Orthopädie- und Rehabilitationstechnik. Für die Talente im eigenen Haus ist Georgia Näder zuständig. Sie hat ein Nachwuchsprogramm initiiert, um die nächste Generation „guter Leute“ an den Start zu bringen. Den Anfang machen Mitarbeiter der westeuropäischen Niederlassungen – Frankreich, Schweden, Benelux, Österreich und Deutschland. Das Kick-off fand im Mai statt, gefolgt von Coaching- Sessions. Auch das Management von Ottobock bringt sich ein und teilt sein Wissen mit den jungen Talenten.
Und Georgia Näder? Wird in Paris erwartet. Sie hat es sich zum Ziel gesetzt, die Strukturen dort zu modernisieren und eine neue Führungsmannschaft aufzubauen. Die Posten für Finanzen und Personal sind bereits besetzt, die Spitze des Führungsgremiums übernimmt sie für den Moment selbst. Das Projekt Generationswechsel ist auf einem sehr guten Weg – in Frankreich wie im gesamten Haus Näder.
Text: Christian Bracht
Foto: © Norman Konrad
Datum: September 2024
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