Länger gesund leben, ein Traum? Longevity nennt sich das Ziel, das Leben zu verlängern und nicht krank zu werden. Die Wissenschaft kennt bereits einige Rezepte dafür. Vieles kann man selbst tun. Auch das Altern zurückzudrehen ist keine reine Utopie mehr. Die Branche ist bereits milliardenschwer.
Ins Bett um 20.30 Uhr, aufstehen um 4.30 Uhr, 111 Pillen, eine Stunde Fitness: Das sind nur einige der Routinen, an die sich der US-Multimillionär Bryan Johnson hält – jeden Tag. Dazu lässt er seinen Körper von 30 Medizinerinnen, Physiotherapeuten und Beraterinnen rundum überwachen. Gewicht, Körpertemperatur und Blut kommen ebenso unter die Lupe wie sein Herzschlag. Die Morgenmahlzeit „Green Giant“ ist flüssig, später gibt es einen Brei aus gedämpftem Gemüse und Linsen, danach einen Nusspudding mit Samen. Nach 11.30 Uhr isst Johnson nichts mehr. Ergänzt wird das Programm durch Pillen mit Vitaminen, Mineralien, Medikamente. So erzählte es der 46-Jährige, der im milden kalifornischen Klima von Venice Beach lebt, Ende vergangenen Jahres dem US-Magazin Time. Die Daten seines voll vermessenen Lebens stehen auf der Website seines Projekts Blueprint. Johnsons Ziel? Der Millionär präsentiert es auf einem schwarzen T-Shirt: „DON’T DIE“, steht dort in großen Buchstaben, stirb nicht. Das Altern zu verlangsamen und sogar umzukehren sei möglich, das würden seine Daten bereits zeigen.
Johnson ist das wohl extremste Beispiel des Longevity-Trends. Der Mann sei aber „kein Spinner“, betont Prof. Dr. Bernd Kleine-Gunk, Präsident der interdisziplinären Deutschen Gesellschaft für Prävention und Anti-Aging-Medizin. „Alles, was er macht, ist gut belegt, wissenschaftlich fundiert und von einem guten Team um ihn herum begleitet“, so Kleine-Gunk. Der „Hochleistungssport in Sachen Lebensverlängerung“, den Johnson betreibe, müsse „einem natürlich auch Spaß machen“, sagt Kleine-Gunk; ihm wäre ein solches „Askeseprogramm“ zu viel. Johnson ließ sich seinen Lebensstil in den vergangenen drei Jahren rund vier Millionen Dollar kosten. Dafür war es hilfreich, dass er 2013 sein Start-up Braintree Venmo für 800 Millionen Dollar an Paypal verkaufte. Es geht aber womöglich auch billiger: „Wer etwas für ein gesundes Altern tun will, sollte auf eine gesunde Ernährung achten, körperlich fit bleiben, ausreichend schlafen und auf Alkohol und Zigaretten verzichten. Chronischer Stress sollte möglichst vermieden und soziale Kontakte gepflegt werden“, so fasst das Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns bündig den Stand der Wissenschaft auf seiner Website zusammen. „Das ist die Basis“, sagt der Gynäkologe und Ernährungsmediziner Kleine-Gunk. Der in Nürnberg praktizierende Arzt ist einer der deutschen Longevity-Pioniere und ein Bestsellerautor zum Thema. Fasten und Kalorienrestriktion, ergänzt er, seien die derzeit wirksamsten Anti-Aging-Maßnahmen. Das Wort „derzeit“ betont Kleine-Gunk, er erwartet noch viel mehr.
Schon jetzt leben Menschen länger als in früheren Zeiten. Den Rekord hält Jeanne Calment. Sie wurde laut den „Journals of Gerontology“ der älteste Mensch der Welt. Die 1997 verstorbene Französin lebte wissenschaftlich belegt 122 Jahre und 164 Tage lang. In Deutschland hat sich die durchschnittliche Lebenserwartung Neugeborener seit Ende des 19. Jahrhunderts mehr als verdoppelt. Laut Statistischem Bundesamt beträgt sie aktuell 83,2 Jahre für Frauen und 78,3 Jahre für Männer. Im Jahr 2021 lebten nach Angabe der Statistiker hierzulande gut 23500 Menschen, die mindestens 100 Jahre alt waren. Bessere Ernährung, medizinischer Fortschritt, Hygiene, gestiegener Wohlstand sind die Gründe. Doch Altwerden hat seinen Preis: Altersbedingte Krankheiten nehmen zu.
Zeig dein Blut, der Test sagt, wie alt du wirklich bist. In den vergangenen 15 Jahren hat die Grundlagenforschung viel Neues über die molekularen Prozesse des Alterns herausgefunden. Einer dieser Meilensteine war die Entdeckung der epigenetischen Uhr durch den deutsch-amerikanischen Mathematiker und Biostatiker Steve Horvath. Diese Uhr misst das biologische Alter eines Menschen, das mit der Anzahl der Jahre seit der Geburt nicht übereinstimmen muss. Vereinfacht erklärt: Das Erbgut (DNA) wird im Laufe des Lebens durch Umwelteinflüsse beschädigt. Das Epigenom, eine Art Verpackung der DNA, bestimmt, welche Gene ein- und ausgeschaltet werden. Mit der Zeit wird dieser Vorgang unpräziser und fehleranfälliger; das kann zu Krankheiten wie Alzheimer und Krebs oder zu Schlaganfällen führen. An den Veränderungen des Epigenoms zeigt sich, wie alt die Zellen tatsächlich sind. Ein epigenetischer Test, für rund 200 Euro im Internet zu bestellen, benötigt nur einen Tropfen Blut oder etwas Speichel. Der Test kann auch zeigen, ob sich durch eine andere Ernährung, Sport oder Medikamente etwas ändert. „Jetzt entwickeln sich daraus die ersten sehr effektiven Therapien“, erläutert Kleine-Gunk.
Von der Prävention zur Regeneration. Longevity-Maßnahmen setzen direkt am Alterungsprozess an. Jedenfalls ist das die Absicht. Das Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns ist vorsichtig, was die Pille gegen das Altern angeht. Es gebe einige vielversprechende Ansätze, die allerdings genauer erforscht werden müssten. Die Suche nach Substanzen oder Medikamenten, die das Altern umdrehen können, laufe aber intensiv. Professor Kleine-Gunk sieht ein „paar sinnvolle Klassiker“ in Nahrungsergänzungsmitteln, sogenannten Supplementen: Vitamin D und Omega-3-Fettsäuren oder dem neueren Entzündungshemmer Alpha-Ketoglutarat. Ebenfalls neu ist Spermidin. Es könne die sogenannte Autophagie in Zellen anregen, die „molekularen Abfall“ in Zellen abbaut, erläutert er. Das bekannte Medikament Metformin für Diabetiker lässt diese laut Studien länger leben – sogar länger als gesunde Menschen. „In der Longevity-Szene nehmen viele es jetzt schon, weil es seit 60 Jahren bekannt ist und übersichtliche Nebenwirkungen hat“, sagt Kleine-Gunk. Dagegen sei das Medikament Rapamycin umstritten, weil es als Immunsuppressivum „deutlich mehr Nebenwirkungen“ habe. „Außerdem will man besonders im Alter das Immunsystem ja gerade nicht runterregeln“, so der Arzt. Wobei er betont, dass „individuell besprochen“ werden müsse, was sinnvoll sei.
Steht die Revolution der Anti-Aging-Medizin bevor? Der Bonner Unternehmer Ingmar Brunken hat sie für sich jedenfalls schon ausgerufen. Begleitet von Kleine-Gunk, reaktivierte er seine Thymusdrüse. Sie sitzt hinter dem Brustbein und produziert die für die Immunabwehr wichtigen T-Zellen. Im Lauf des Lebens verkümmert sie aber, bereits gebildete Abwehrzellen kommen für Jahrzehnte ins Depot. Im Alter gehen sie dann langsam aus. Dem US-Biomediziner Greg Fahy war es schon vor Jahren gelungen, den Thymus mit einem Cocktail aus einem Wachstumshormon, einem Steroid und dem Diabetesmittel Metformin zu regenerieren. Studien haben das belegt. Brunken folgte dem Beispiel. „Im epigenetischen Test vorher und nachher haben wir gesehen, dass er gut drei Jahre jünger geworden ist“, sagt Kleine-Gunk. Allerdings stand auch für Brunken erst eine intensive Vorbereitung an, etwa mit Sport. Immerhin habe die „strenge Prozedur“ zu weiteren fünf Jahren epigenetischer Verjüngung geführt, wie es in einer Mitteilung zum Buch „Verjüngung! – Der Selbstversuch“ von Brunken und Kleine-Gunk heißt. Ständig wiederholen lasse sich das jedoch nicht.
Die Frage des Geldes. Für Kleine-Gunk habe die Behandlung von Brunken gezeigt, dass man auch „mit deutlich weniger Geld und mit deutlich weniger Aufwand als bei Bryan Johnson eine Verjüngung erreichen kann“. Die genauen Kosten des Tests nennt Brunken nicht. Fest steht, dass neue Medikamente viel teurer sind als Nahrungsergänzungsmittel, Kleine-Gunk sieht durchaus die „Gefahr einer Zweiklassenmedizin“. Andererseits könne „ein gesunder Lebensstil, fit sein im Alter“ in Zukunft „vielleicht ein Statussymbol“ werden, statt eines „dicken Autos“. In den USA haben die Größen der Techbranche längst viel Geld in Longevity-Start-ups gesteckt, etwa OpenAI-Chef Sam Altman, Google-Mitgründer Larry Page oder Amazon-Gründer Jeff Bezos. In Deutschland hat die von dem Internetunternehmer Michael Greve gegründete Forever Healthy Foundation bisher 18 Start-ups mit „Leuchtturm-Investitionen“ gefördert. Auch die Pharmabranche streckt die Fühler aus. Das dänische Unternehmen Novo Nordisk, Hersteller des Diabetesmittels Ozempic, hat vor Kurzem Cardior Pharmaceuticals übernommen – für mehr als eine Milliarde Euro. Das Start-up aus Hannover will die bisher kaum behandelbare Herzinsuffizienz reparieren und umkehren.
Stirbt das Sterben aus? Bryan Johnson hätte das gern. Seine radikale Askese und die rasanten medizinischen Fortschritte kratzen offenbar schon an der Langlebigkeitsgrenze des Menschen, den 122 Jahren von Jeanne Calment. Mit der Unsterblichkeit werde es aber nichts, sagt Kleine-Gunk. Allerdings: „Wenn wir das Altern als Sterbeursache abschaffen, dann sind 250 Jahre gar nicht so unrealistisch“, so der Longevity-Experte.
Fotos: © ImageFlow / Shutterstock
Text: Jan F. Kien
Datum: Mai 2024
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