Freundliche Übernahme

Dank der Entwicklung der künstlichen Intelligenz – für alle spätestens sichtbar, seit OpenAI sein Sprachprogramm ChatGPT vorstellte – erleben humanoide Roboter gerade einen weltweiten Hype. Eine Berliner Firma baut solche Maschinen schon seit 30 Jahren. Das größte Hindernis bleibt die menschliche Angst.

WENN MATTHIAS KRINKE ÜBER SEINE ROBOTER SPRICHT, dann wirkt es, als erzählte er von guten Kollegen. Da ist „Robert“, der ihn in seiner Berliner Firma pi4_robotics jeden Morgen begrüßt. „Gisela“ steckt in einem Einkaufszentrum 24 Stunden am Tag andere Miniroboter zusammen und verkauft sie. Und „Romi“ unterstützt die menschlichen Mitarbeiter in einem Pflegeheim. Die Roboter sind ganz klar mechanische Kreaturen, nur abstrakt erinnert ihre Körperform an die der Menschen, ihr „Gesicht“ ist ein permanenter Smiley auf einem viereckigen Bildschirm.

Doch Krinke spricht liebevoll von diesen Kreaturen, er kann seinen Stolz kaum verhehlen. Kein Wunder, schließlich scheint es, als wäre er gerade dabei, sein Lebenswerk zu krönen. 1992 schraubte er mit einem Startkapital von 2000 Mark in seiner Wohnung in Prenzlauer Berg die ersten Roboter zusammen. Heute beschäftigt er 50 menschliche und 15 künstliche Mitarbeiterinnen, 10.000 Roboteranlagen seiner Firma stehen in zahlreichen Industriehallen. Und von Romi, dem Roboter im Seniorenheim, hat er gerade sein erstes Produktionslos verkauft. 500 Stück will er im kommenden Jahr bauen und auf den Markt bringen. Es sind solche Zahlen, die Matthias Krinke selbstbewusste Aussagen entlocken: „Humanoide Roboter sind das nächste große Ding, das wird größer als die Automobilindustrie.“ Und: „Wir befinden uns am Übergang vom menschlichen Zeitalter zum Roboterzeitalter, vom Anthropozän zum Robozän.“

ER IST NICHT DER EINZIGE, DER SO DENKT. Schon seit Jahrzehnten verrichten Roboter in Fabriken unermüdlich schwere Arbeiten, fertigen Autos oder auch filigrane Medizingeräte an. Sie haben zwar oft Arme, erinnern sonst aber kaum an Menschen. Doch manchmal sind sie auch kaum von ihnen zu unterscheiden, wie „Muhammad“ zeigte, den die saudi-arabische Firma QSS Robotics kürzlich auf einer KI-Konferenz vorstellte. Oder sie wirken wie ein Supermensch, ein Terminator. Das beweist „Atlas“, ein humanoider Roboter der Firma Boston Dynamics, in eindrucksvollen Videos. Er absolviert einen Parcours in atemberaubender Geschwindigkeit und vollzieht beim Hechten über die Hindernisse auch mal einen Salto. Ein ähnliches Modell stellte Tausendsassa Elon Musk bereits 2022 vor. „Optimus“ soll für Roboter das sein, was Tesla für das Auto war. Und in Baden-Württemberg verblüffte das Start-up Neura die Fachwelt Anfang des Jahres, als der dort entwickelte Roboter „Mipa“ auf die auf Schwäbisch gestellte Frage „Wie geht es dir?“ antwortete: „Mir gohds guad!“

Längst geht es auch um richtig viel Geld. Das kalifornische Unternehmen Figure AI, das derartige Maschinenmenschen entwickelt, hat vor Kurzem 675 Millionen Dollar Kapital einsammeln können, obwohl es erst 2022 gegründet wurde. Die Liste der Geldgeber liest sich dabei fast wie ein Who’s who der wichtigsten Techunternehmen. ChatGPT-Entwickler Open AI ist dabei, Amazon-Gründer Jeff Bezos, Nvidia, Samsung und Intel. Das norwegische Start-up 1X Technologies konnte Anfang des Jahres immerhin 100 Millionen Dollar aufnehmen – unter anderem von Samsung.

DER HYPE HAT AUCH MIT DER GESCHICHTE DES MENSCHEN ZU TUN. Denn die Idee einer Maschine in Menschengestalt fasziniert uns, seit wir Dinge bauen. Schon die altgriechischen Sagen erzählen vom Schmiedegott Hephaistos, der solche Wesen kreiert habe. Leonardo da Vinci skizzierte einen Automaten, der aussieht wie ein Soldat mit einer Rüstung. 1962 konstruierte der Österreicher Claus Scholz den vielleicht ersten wirklich humanoiden Roboter. Sein MM7 konnte bereits sehr komplexe Bewegungsabläufe umsetzen, wie Türen öffnen oder gar Getränke aus einer Flasche in ein Glas einschenken. Er arbeitete allerdings nicht völlig autonom, sowohl seine Stromversorgung als auch die Steuerbefehle waren von einer externen Einheit abhängig. Humanoide Roboter zu bauen hat auch praktische Gründe. Matthias Krinke von pi4_robotics erläutert es so: „Die Welt, wie wir sie kennen, ist von Menschen für Menschen erbaut worden. Deshalb ist es sinnvoll, auch Roboter so zu bauen, dass sie in dieser Welt zurechtkommen.“ Tatsächlich sind Roboter nur dann nützlich, wenn sie in einer menschgemäßen Umgebung funktionieren, also etwa einen Tisch abräumen können. Außerdem müssen auch sie Treppen oder Rampen hinauf- und hinuntergehen und Aufzüge benutzen. Dafür ist das Design des Menschen schon ganz gut geeignet.

JETZT ABER MACHT DIE ENTWICKLUNG OFFENBAR EINEN SPRUNG. „Die KI hilft uns sehr“, erläutert Matthias Krinke. Mit Scheitel, Brille und grünem Hemd wirkt der 57-Jährige eher wie ein ewiger Techniknerd als ein trendiger Start-up-Gründer. Im Studium fühlte er sich noch wie ein König, wenn er Großrechner bedienen konnte, deren Kapazität heute der eines billigen Taschenrechners entspricht. Dank KI können nun riesige Datenmengen verarbeitet werden, die schnellen Prozessoren tun ihr Übriges. Damit sei ein entscheidender Schritt möglich: „Roboter können Situationen antizipieren, die man ihnen vorher nicht beigebracht hat. Sie sind von Natur aus unflexibel und es erfordert enorme Kapazitäten, ihnen beizubringen, was gut und was schlecht ist. Ein Mensch weiß das intuitiv.“ Experten wie Robert Riener von der ETH Zürich geben ihm recht. Riener ist Professor für sensomotorische Systeme und hat im November 2023 eine Arbeit veröffentlicht, in der die besten Roboter mit den Fähigkeiten des Menschen verglichen wurden. Der Neuen Zürcher Zeitung sagte Riener: „Die Kopplung mit KI erlaubt Robotern, die Informationen ihrer Sensoren in Echtzeit auszuwerten und zu interpretieren, sodass sie ihre Umgebung besser verstehen.“

Wegen dieser Fortschritte spricht Krinke vom baldigen Aufkommen eines „Robozäns“. Er meint damit aber nicht, dass Roboter alle Arbeiten übernehmen werden. Vielmehr hofft er, dass Menschen und Roboter nebeneinander arbeiten können. Als Beispiel nennt er die Pflege, in der es bekanntlich permanent einen akuten Personalmangel gibt. Derzeit laufe eine Pflegekraft jeden Tag zwölf Kilometer. Das kostet Kraft und Zeit. Zahlreiche Hol- und Bringdienste könne aber der Roboter Romi übernehmen. Er kann zu den Patientinnen rollen und sie erinnern: „Hey, du hast einen Termin beim Physio“ – und sie dann dort hinführen. „Eine Stunde Roboterarbeit spart einer Pflegekraft täglich eine Stunde“, hat Krinke ausgerechnet. Und diese Stunde könnte die Pflegekraft dann dazu nutzen, sich intensiv um spezifische Probleme der Patienten zu kümmern.

EIN PROBLEM ABER GIBT ES AUF DEM WEG DORTHIN, und das ist die Angst der Menschen vor den Maschinen. Auch die gibt es schon lange, zahlreiche Horrorgeschichten aus der Science-Fiction zeugen davon. Da ist die Angst, dass die Maschinen den Menschen Arbeitsplätze wegnehmen. Das bewog schon die Ludditen in England Anfang des 19. Jahrhunderts dazu, ihre Webstühle zu zerstören. Hinzu kommt ein Grusel, der offenbar viele von uns befällt, wenn Roboter uns allzu ähnlich sehen. Es ist jenes Phänomen, das der Robotiker Masahiro Mori schon 1970 als „unheimliches Tal“ bezeichnet hat. Zunächst gilt: Je menschenähnlicher Roboter wirken, desto sympathischer sind sie uns. Aber laut Mori schlagen ab einem gewissen Grad an Ähnlichkeit die Gefühle der Menschen in Grauen und Abwehr um.

Damit das bei seinen Robotern nicht passiert, arbeitet Matthias Krinke eng mit Forscherinnen zusammen, etwa Linda Onnasch, Professorin für Handlungs- und Automationspsychologie an der TU Berlin. Sie forscht über die Fallstricke in der Beziehung zwischen Mensch und Maschine. Zusammen mit Medizinern der Charité hat sie das Projekt Romi begleitet. „Ein Gesicht mit einer natürlich erscheinenden Augenpartie ist zum Beispiel hilfreich“, erklärt sie in einer Publikation ihrer Uni. Übermäßig sympathisch dürfe der Roboter aber auch nicht wirken. „Eine zu niedliche Anmutung hat den Nachteil, dass Menschen das Gerät dann schonen wollen und es weniger häufig nutzen.“ Damit sie uns Menschen wirklich helfen kann, sollte eine Maschine also schon eine Maschine bleiben.

Fotos: © Phonlamai Photo / Shutterstock
Text: Constantin Wißmann
Datum: Mai 2024

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