Ackern mit KI

Eine wachsende Weltbevölkerung, die ernährt werden muss, Arbeitskräftemangel in der Landwirtschaft, zu viel Dünger auf den Feldern: Ist künstliche Intelligenz die Lösung? Manche sehen die Landwirtschaft schon kurz vor der „KI-Revolution“. Dem steht jedoch oft ein Kommunikationsproblem entgegen.

MIT EINEM LASER GEZIELT UNKRAUT VERBRENNEN, per Drohne reife Äpfel erkennen und vom Baum pflücken lassen oder die Gülle punktuell dosiert auf dem Feld versprühen: Künstliche Intelligenz wird in der Landwirtschaft bereits seit Jahren angewendet, teils in Forschungsprojekten, teils in der Praxis. Traktoren und Landmaschinen werden längst mit Joysticks gelenkt, mit Touchscreens ausgerüstet und über Satellitennavigation in der Spur gehalten. Roboter melken Kühe, Sensoren messen, ob das Vieh gesund ist. Das alles steuert die KI noch nicht allein, mit ihrer Hilfe soll es bald aber einen großen Schritt vorangehen. „Die Landwirtschaft gehört zu den Branchenvorreitern der KI und ist damit den meisten anderen Branchen voraus“, sagte Dr. Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer des Digitalverbands Bitkom, im Juni bei der Vorstellung einer Befragung zur KI in der Landwirtschaft. Allerdings setzen demnach derzeit nur neun Prozent der Betriebe KI auch tatsächlich ein. Immerhin würden weitere 38 Prozent den KI-Einsatz planen oder diskutieren, so die Studie. „Die Landwirtschaft steht vor einer KI-Revolution“, heißt es vom Verband Bitkom und der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft zu der Umfrage.

AUF DEM BUNDESWEIT EINZIGARTIGEN LEIBNIZ-INNOVATIONSHOF für nachhaltige Bioökonomie in der brandenburgischen Gemeinde Groß Kreutz testet das Potsdamer Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie (ATB) die komplette Digitalisierung eines Betriebs, zusammen mit dem Deutschen GeoForschungsZentrum, der Technischen Universität Berlin und der Universität Potsdam. Das Land Brandenburg fördert das Vorhaben mit 25 Millionen Euro. In einem Projekt entstünden unter anderem hochauflösende sensorbasierte Bodenkarten, erzählt Dr.Sebastian Vogel. Er leitet am ATB die Arbeitsgruppe „Sensorbasierte Bodenkartierung“. Vereinfacht gesagt seien KI und „Machine Learning“ auf dem Hof nötig, um Tausende Sensordaten zu verarbeiten, die beim Abfahren der Felder erhoben werden. Mit diesen Daten, daraufhin gezielt genommenen Bodenproben für ein Labor und einem Rechenmodell wird eine exakte Bodenkarte erstellt. Damit wird wiederum die erforderliche Menge etwa von Kalk oder Dünger ermittelt – quadratmetergenau und nicht einheitlich für das ganze Feld.

DIESE MÖGLICHKEIT BIETET SICH ERST DURCH KI“, sagt Vogel. „Diese hohe Auflösung allein durch Laboranalysen zu bestimmen wäre viel zu aufwendig und teuer.“ Die Düngebedarfskarte wird in den Düngestreuer am Trecker eingepflegt, und mithilfe der GPS-Positionsbestimmung landet die richtige Menge am richtigen Ort. Bei der konventionellen Methode wurde bisher die gesamte Ackerfläche einheitlich gedüngt. Unterschiede im Boden blieben unberücksichtigt. Das führe dazu, dass die Fläche jeweils etwa zu einem Drittel richtig, mit zu viel und mit zu wenig Dünger versorgt werde, schätzt Vogel. „Das ist natürlich eine Verschwendung von Ressourcen und eine Umweltbelastung“, sagt der Wissenschaftler. „Und wo zu wenig gedüngt wird, kann das Ertragspotenzial nicht ausgeschöpft werden.“ In einem 900-Hektar-Betrieb im Osten Brandenburgs habe man geschätzt, dass durch die konventionelle flächeneinheitliche Kalkdüngung jährlich etwa 100 Tonnen Kalk zu viel ausgebracht worden sind, was zu einem geringeren Kornertrag von bis zu 280 Tonnen pro Jahr geführt haben könnte, erläutert Vogel. Allerdings sei dabei nur modellhaft das Kalken betrachtet worden, nicht andere mögliche Umwelteinflüsse.

„PRECISION FARMING“ HEISST DIE METHODE. Dazu werden Millionen von Daten für bestimmte Orte gesammelt, auch mit hochauflösenden Kameras an Drohnen oder Robotern, die über das Feld fahren. Bei der Auswertung dieser Daten kommen KI-basierte Algorithmen zum Einsatz, um beispielsweise Unkräuter oder Pflanzenkrankheiten zu identifizieren. Beibringen müssen das dem Computer aber Menschen, die Bilder für das maschinelle Lernen annotieren und damit die korrekten Beispiele vorgeben. Allgemein zugängliche und brauchbare Datensammlungen gibt es dafür nicht. Ein aufwendiger und langer Prozess also. Schon in der Praxis angekommen sind „Spot Sprayer“. Die Geräte geben in einem Gehäuse Blitzlichtstöße aus, um optimales Licht für hochauflösende Kameras zu gewährleisten. Die Software erkennt dann, ob auf den Bildern Gemüse oder Unkraut zu sehen ist, und steuert punktgenau eine Düse für Unkrautvernichtungsmittel, das nur auf dem Unkraut landet. Das Ganze geschieht innerhalb von Millisekunden. Hersteller versprechen, dadurch bis zu 95 Prozent an Chemie einsparen zu können. Ganz ohne Unkrautvernichtungsmittel kommen ähnliche Systeme aus, die ein bisschen nach Science-Fiction und „Star Wars“ klingen: Ein gezielter Laserstrahl brennt das Unkraut weg. Das hilft, wenn schädliche Pflanzen gegen Chemikalien resistent geworden sind.

HAT KI IN DER LANDWIRTSCHAFT DISRUPTIONSPOTENZIAL? Ja, ein hohes, sagt der Energiekonzern E.ON bezogen auf die EU-Märkte. In einem Trendreport errechnete das Unternehmen zudem weltweit Risikokapitalaktivitäten von rund 7,7 Milliarden US-Dollar für die vergangenen fünf Jahre. Wissenschaftler Sebastian Vogel vom Potsdamer ATB wägt ab: Für die nähere Zukunft sei es wahrscheinlich, dass einzelne Dienstleister ausgewählte KI-Innovationen anböten. Langfristig werde sich eine gut funktionierende und die Arbeit erleichternde KI durchsetzen, beispielsweise für einfache Pflegemaßnahmen auf dem Feld. Aber in den nächsten ein, zwei Jahren werde das eher nicht im großen Stil passieren, so Vogel. Ausprobiert und erforscht wird aber vieles: Mit 44 Millionen Euro fördert allein das Bundeslandwirtschaftsministerium 36 Projekte für KI in der Landwirtschaft. Das Fachmagazin top agrar schreibt, dass 2021 fast 2,5Prozent der deutschen Start-ups im Bereich Landwirtschaft und Ernährung gegründet worden seien und es in Deutschland insgesamt etwa 300 bis 570 Agrar-Start-ups gebe. Dazu gehören Ideen für das „Vertical Farming“, bei dem Gemüse oder Obst auf kleiner Fläche mehrstöckig das ganze Jahr über wachsen kann. Die KI steuert Umweltbedingungen und Nährstoffzufuhr. Allerdings sind solche Anlagen Stromfresser, insbesondere wenn LED-Strahler das Sonnenlicht ersetzen. Auch Schädlingen wie Blattläusen oder Kartoffelkäfern soll mit KI-Hilfe der Garaus gemacht werden. Algorithmen könnten außerdem helfen, Krankheiten so früh wie möglich zu erkennen, standortangepasste Pflanzensorten zu züchten und Extremwetter besser vorherzusagen. Eine Art Rundumanwendung bietet der Prototyp eines Agrarroboters, der sich solarbetrieben über ein Gemüsefeld dreht. Mit KI-Unterstützung soll er zukünftig autonom ackern, säen, wässern, düngen, ernten und Kisten mit Gemüse füllen können.

ANDERS ALS UNTER GUT KONTROLLIERBAREN BEDINGUNGEN IM STALL muss die KI im Freiland mit unterschiedlichen Lichtverhältnissen oder Landschaften umgehen können. Außerdem sind die neuen Lösungen teuer: Mehrere Zehn- bis Hunderttausend Euro kann eine KI-gesteuerte Maschine kosten. Systeme wie der Spot Sprayer benötigen zudem eine Internetverbindung, über die die Algorithmen der Hersteller regelmäßig aktualisiert werden. In einer Art Abo können Lizenzen für verschiedene Feldfrüchte gekauft werden, damit die Software diese selbstständig erkennt. Doch wer öfter auf dem Land unterwegs ist, weiß, dass man dort lange funknetzfreie Zeiten verbringen kann. Eine streikende Internetverbindung just dann, wenn die Landmaschine neue Daten benötigt und die Arbeit auf dem Acker ruft, kann keine KI beheben. Auf dem Leibniz-Innovationshof in Groß Kreutz behelfen sich Sebastian Vogel und seine Kolleginnen mit einer Notlösung: Sie werden einen Anhänger mit 5G Funktechnik aufstellen, damit die enormen Datenmengen von Drohnen und Sensoren aus der Cloud direkt und in Echtzeit auf den Betriebscomputern und Apps der Maschinen landen können.

Aufmacherbild: © Rawpixel.com / Shutterstock
Fotos: © Manuel Gutjahr_ATB
Text: Jan F. Kien
Datum: September 2024

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