Was ist wichtig für eine gesunde Leistungskultur in der Gesellschaft?

Leistungsfähigkeit und -bereitschaft sind essenziell für die Zukunft einer Gesellschaft. Zur Situation hierzulande nehmen Expertinnen und Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft, Sport und Politik Stellung.

Bob Hanning
Geschäftsführer Füchse Berlin Handball GmbH
© Sascha Klahn

Leistungskultur in der Gesellschaft – schaue ich auf den aktuellen Diskurs dieses Themas im deutschen Spitzensport, kann ich nur den Kopf schütteln. Von höchster Stelle werden Rentenverträge für Profitrainer gefordert, Minusleistungen wie bei den Olympischen Spielen werden großgeredet und gleichzeitig die Bundes­jugend­spiele totreformiert. Machen wir uns nichts vor: Kein Plan, keine Leistung, kein Konzept – der Patient Spitzensport liegt auf der Intensivstation. Damit ist der Sport nichts anderes als das Spiegelbild unserer Gesellschaft. Ich kann das Gerede von einer gesunden Work-Life-Balance nicht mehr hören. Das eigentliche Ziel dieser Formel halte ich für sinnvoll, doch was ist eine solche Balance wert, wenn alle nur das Life betonen und niemand mehr Work im Sinn hat? Unsere Gesellschaft ist satt, träge und selbstgerecht. Es ist fünf vor zwölf, wir müssen schleunigst umdenken. ‚Leistung statt Labern‘ lautet mein Ratschlag an uns alle. Wir müssen Strukturen schaffen, die den Fleißigen belohnen. Die Substanz und das Potenzial sind in Deutschland vorhanden – in allen Bereichen der Gesellschaft. Davon bin ich überzeugt. Wir müssen über Vorbilder führen, für junge Menschen Anker sein, klare Ziele definieren, für diese einstehen und dabei immer auch Werte vermitteln. Kurzum: Ärmel hochkrempeln und machen. Geredet haben wir alle genug.

Eine gesunde Leistungskultur in der Gesellschaft erfordert Respekt, Chancengleichheit und die Berücksichtigung individueller Bedürfnisse, aber auch den Blick auf das große Ganze. Es gilt, über die eigene Individua­lisierung hinaus Verantwortung für die Gemeinschaft zu übernehmen. Eine Gesellschaft kann nur dann leistungsfähig bleiben, wenn sie auf dem Engagement jedes Einzelnen aufbaut. Als Juristin erlebe ich täglich, wie wichtig ein unterstützendes Umfeld ist – Menschen können nur dann ihr Potenzial entfalten, wenn sie sich sicher, wertgeschätzt und unterstützt fühlen. Wir als WGBG setzen auf flexible Arbeitsmodelle, um die individuellen Lebenssituationen unserer Mitarbeitenden zu berücksichtigen – besonders bei jungen Müttern oder durch Altersteilzeitregelungen. Ein Beispiel, das uns stolz macht: In diesem Jahr haben wir einer tragenden Mitarbeiterin ein dreimonatiges Sabbatical ermöglicht, damit sie neue Kraft schöpfen kann. Unsere Erfahrung ist, dass Mitarbeitende solche Unterstützung mit hoher Leistungsbereitschaft und Engagement zurückgeben. Dieses Miteinander hat dazu geführt, dass sich der ­Begriff ‚WGBG-Familie‘ etabliert hat – sowohl bei unseren Kunden als auch innerhalb unseres Teams.

Birgit Danschke
Rechtsanwältin LL.M. und Vorständin der WGBG
© Sascha Klahn

Prof. Dr. Martin Klaffke
Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin
© A. Rentsch

Leistung misst, inwieweit Ziele erreicht und Aufgaben erfüllt wurden. Wichtiger denn je ist es, Ursachen und Auswirkungen von Leistung im Hinblick auf ethische Standards, individuelles Wohlbefinden, Inklusion und Gemeinschaft zu betrachten. Leistung in Betrieben ohne Rücksicht auf Konsequenzen anzustreben verspricht allenfalls kurzfristig Gewinn. Der Preis dafür ist eine toxische Arbeitskultur, in der Arbeitsfähigkeit, Engagement und Beschäftigtenbindung abnehmen. Dadurch gerät Leistung rasch in Misskredit. Unerlässlich ist es, Chancengerechtigkeit zu gewährleisten und es allen Beschäftigten zu ermöglichen, ihr volles Potenzial zu entfalten. Dabei gilt es, die Arbeitswelt neu zu denken. New Work ist weit mehr als die Flexibilisierung von Arbeitszeit, Arbeitsort und Karrieremodelle, die ein individuelles Ausbalancieren von Arbeit und Freizeit fördern. Im Kern geht es um Sinnstiftung der Tätigkeit, um Eigenverantwortung, Selbstbestimmung und um psychische Sicherheit der Beschäftigten. Nicht zuletzt bedingt dies, Wertschätzung und Respekt im täglichen Miteinander zu leben, Leistungserwartungen transparent zu kommunizieren, Feedback regelmäßig zu geben sowie Unterstützung beim lebenslangen Lernen anzubieten.

Wo ich hinschaue, sehe ich vor allem Erschöpfung, Überforderung und den großen Wunsch nach Unterstützung und einem Kurswechsel. Mit den sich zuspitzenden Krisen in Bereichen wie Klima, Demokratie, Ungleichheit, Fragmentierung oder mentale Gesundheit entlarvt sich die Leistungsgesellschaft als ein nicht mehr tragfähiges Lebensmodell. Die Balance zwischen zwei zentralen Lebenspolen, Sein und Machen, ist seit Langem gestört. Der erste Schritt hin zu einer gesunden Leistungskultur besteht für mich darin, dass ich mir eine Reihe von Fragen stelle: Wie bin ich selbst mit der Leistungsgesellschaft verwoben, die ich zugleich kritisch hinterfrage? Leiste ich, weil ich überwältigende Gefühle verdrängen möchte, oder spüre ich einen positiven Sog, zum Leben beizutragen? Zu was für einer Welt trage ich mit meiner Leistung bei? Wie ist meine Balance zwischen Leistung und Regeneration? Wie viel Raum finde ich für ‚unproduktive‘ Aspekte wie ­Erschöpfung und Überforderung? Wo kann ich verdauen, lernen und spielen?

Dr. Joana Breidenbach
Sozialunternehmerin und Autorin
© Timo Wirsching

Franziska Giffey
Bürgermeisterin und Senatorin für Wirtschaft, Energie und Betriebe
© Hans-Christian Plambeck

Leistung entsteht nicht von allein, sondern durch Fleiß, Mut und harte Arbeit. Anerkennung und 
Förderung helfen dabei. Diesen Ansatz verfolgen wir auch in der Senatswirtschaftsverwaltung, indem wir diejenigen unterstützen, die gute Ideen in die Tat umsetzen wollen und bereit sind, dafür viel Kraft aufzuwenden. Wir fördern Meisterinnen und Meister, die am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn stehen. Wir greifen Unternehmens­gründerinnen und -gründern mit dem GründungsBONUS Plus in der finan­ziell herausfordernden Anfangsphase unter die Arme. Wir wollen Leistung sichtbar machen, Respekt dafür ­zollen und aktiv unterstützen. Nur so schaffen wir eine Gesellschaft, in der jede und ­jeder das eigene ­Potenzial voll entfalten kann.

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