Auf der Zielgeraden

WASSER SEI EIN FASZINIERENDES FORSCHUNGSGEBIET, sagt Dr. Lisa Hannusch und strahlt dabei über das ganze Gesicht. Deshalb habe sie sich im Laufe ihres Physikstudiums auf Bio- und Polymerphysik fokussiert und die Themen Wasseranalytik und Sensorik von Fließgewässern bearbeitet. „Wir haben einfache, leicht anwendbare Techniken entwickelt, um selbst kleinste Moleküle detektieren zu können“, sagt Hannusch, die 2021 in Biotechnologie promoviert wurde. Dabei geht es beispielsweise um Herbizide, Pestizide, Metalle und Medikamentenrückstände, die sich im Wasser befinden – und schädlich sein können. Werden solche Stoffe schnell identifiziert, kann ebenso schnell gegengesteuert werden. Das ist nicht nur in der Natur wichtig, sondern auch in Produktionsanlagen oder Gebäuden: überall dort, wo Wasser zirkuliert. „Durch die Coronapandemie ist die Nachfrage, was solche Techniken betrifft, erheblich gestiegen“, sagt Lisa Hannusch. „Alle haben verstanden, wie wichtig solche Verfahren sind.“

ETWAS ZU VERSTEHEN, um sich auf neuem Terrain schnell sicher zu fühlen und entscheidungsfähig zu sein, ist essenziell für Lisa Hannusch und ihr Verständnis von Unternehmertum. Das Rüstzeug hierfür habe sie ihrem Physikstudium und der Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen und der Technischen Universität Dresden zu verdanken. „Man lernt zu lernen“, sagt die geschäftsführende Gesellschafterin der GIG Holding GmbH innerhalb der GIG Unternehmensgruppe. Das 1998 von ihren Eltern Torsten und Kathrin Hannusch gegründete und aufgebaute Unternehmen ist ein Komplettanbieter für Facility Management und legt seinen Schwerpunkt auf Dienstleistungen in den Bereichen Technik und Engineering. Mit mehr als 500 Mitarbeiterinnen in 19 Niederlassungen betreut der Mittelständler deutschlandweit etwa 500 Gewerbe- und ca. 200 000 Wohneinheiten. Hauptsitz der GIG Unternehmensgruppe ist Berlin.

DAS LEBEN IM UND FÜR DAS FAMILIENUNTERNEHMEN in Charlottenburg-Wilmersdorf ist Lisa Hannusch seit ihrer Kindheit vertraut: Als ihr Vater gründete, war sie neun Jahre alt und „sprang oft durch die Büros“, wie sie sagt. Wer sie durch die Flure zu ihrem Büro begleitet, spürt schnell, wie sehr die stets so konzentriert wirkende Managerin mit der GIG Unternehmensgruppe und ihren Menschen verwachsen ist. Hier ein Scherz, dort ein freundlicher Satz: Lisa Hannusch begegnet den Mitarbeitern auf Augenhöhe, Berührungsängste gibt es weder bei ihr noch bei den Angestellten. „Einige kenne ich noch aus der Anfangszeit“, sagt Hannusch, und ein wenig Stolz klingt mit, als sie ergänzt: „Wenn jemand so lange für uns arbeitet, dann, glaube ich, haben wir etwas richtig gemacht.“ Auch auf ihre Ernennung zur geschäftsführenden Gesellschafterin im Januar 2023 habe sie aus dem Mitarbeiterkreis nur positives Feedback bekommen. „Ich bin ja kein unbekanntes Gesicht hier, ich habe bei GIG in verschiedenen Bereichen gearbeitet, um das Unternehmen kennenzulernen. Und die Leute wissen, dass ich für Kontinuität stehe, auch wenn meine Art der Führung eine andere ist als die meines Vaters.“

ALS DIE UNTERNEHMENSÜBERNAHME zum ersten Mal Thema wird, ist Lisa Hannusch 21 Jahre alt und studiert an der Trent University im kanadischen Peterborough. Sie lernt zu programmieren, Daten auszuwerten, analytisch und strategisch zu arbeiten. Die Physik ist ihre Welt. Ihre Eltern hätten ihr jegliche Freiheit gelassen, „trotzdem war es gut, schon so früh über meine mögliche Rolle im Unternehmen zu sprechen“, sagt Hannusch. „Ich bin Einzelkind, aber meine Eltern haben mir immer signalisiert, dass sich andere Wege finden, falls ich nicht übernehmen möchte.“ Als die Tochter sich für die Nachfolge entscheidet, sind die Eltern erleichtert. „Aus heutiger Sicht würde ich sagen, dass der Nachfolgeprozess bereits mit meiner Rückkehr nach Deutschland begann. Ich habe regelmäßig an Beiratssitzungen teilgenommen und konnte ein Gefühl entwickeln, auf was ich mich da einlasse“, sagt Lisa Hannusch und malt beim letzten Wort Gänsefüßchen in die Luft. Nach ihrer Promotion an der TU Dresden steigt sie im September 2021 als Head of Innovation & Business Development im elterlichen Unternehmen ein.

„WIR HABEN UNS DAMALS FÜNF JAHRE GEGEBEN“, sagt die Managerin, „denn wir wissen beide, dass meine Nachfolge die Veränderung von Prozessen im Unternehmen voraussetzt.“ Konkret bedeutet das: Bei GIG wurde das Management neu aufgestellt. „Ich habe nicht die Detailkenntnis meines Vaters, der das Unternehmen aufgebaut hat“, sagt Hannusch, „aber ich habe Menschen mit diesem Detailwissen an meiner Seite. Meine Art der Unternehmensführung ist deshalb eine andere.“ Mit ihrem Vater verbinde sie das Interesse an neuen Technologien, an den Möglichkeiten, die sich für das Unternehmen durch die Digitalisierung auftun. „Mein Vater hat die Digitalisierung bei uns schon weit vorangetrieben“, erklärt die Nachfolgerin und nennt Beispiele: Die Mieterinnen der betreuten Wohnanlagen können Schäden auf einer digitalen Plattform melden, die mit einem Chatbot arbeitet, und die Handwerker von GIG haben eine App installiert, die ihnen eine KI-basierte Routenoptimierung für den täglichen Einsatz im Stadtgebiet anzeigt. „Mit solchen Tools sparen wir Zeit und agieren nachhaltig“, sagt Lisa Hannusch. Welch großen Stellenwert Nachhaltigkeit in der GIG Unternehmensgruppe hat, wird auch jenseits der App deutlich. „Wir haben eine eigene Nachhaltigkeits-Abteilung, die zum Beispiel Zertifizierungen unserer Kunden begleitet. Und wir haben die ‚GIG Lotsen‘. Das sind die Ansprechpartner für unsere Kundinnen und Kunden zu allen Fragen rund um das Thema ESG und Nachhaltigkeit.“

DER NACHHALTIGKEITSGEDANKE findet sich auch im Unternehmensleitbild wieder, das Lisa Hannusch mit dem Strategieteam der GIG Gruppe im vergangenen Mai überarbeitet hat. Der längste Passus darin bezieht sich auf die Mitarbeiter. „Wir leben das Thema soziale Verantwortung“, sagt die Managerin. „Das war schon meinem Vater wichtig, von Anfang an. Auch als wir in Bezug auf Mitarbeiteranzahl und Umsatz noch ‚klein‘ waren, wurde ein bestimmter Prozentsatz des Ergebnisses für soziale Zwecke verwendet.“ Ihr Vater unterstützt den Jugendsport als Beirat der BR Volleys, Lisa Hannusch ist Aufsichtsratsmitglied der Semperoper Stiftung in Dresden und der Organisation Joblinge gAG, die sich für Arbeits- und Ausbildungsplätze für Kinder und Jugendliche sowie für Chancengleichheit stark macht.

WENN DER ÜBERGABEPROZESS weiterhin wie geplant verläuft, ziehen sich Hannuschs Eltern 2026 aus der Geschäftsführung der GIG Holding GmbH zurück – für die Managerin geht es also auf die Zielgerade zu. Welche Visionen hat sie für das Familienunternehmen, wie will sie es weiterentwickeln? „Ich denke, wir sind mit unseren Kernkompetenzen als technische Facility-Management-Spezialisten für Immobilien und in der Energietechnik gut für die Zukunft aufgestellt“, sagt Lisa Hannusch. „Dazu kommen unsere Spezialleistungen für die Branchen Pharma, Biotechnologie und Life Science. Auch die Entwicklung und das Umsetzen nachhaltiger Energiekonzepte nimmt immer mehr an Fahrt auf.“ Den Satz „Aber da geht noch mehr“ sagt sie nicht, doch er schwingt mit. Weichen für Wachstum und Nachhaltigkeit will sie stellen, bestehende Partnerschaften ausbauen, Joint Ventures zum Laufen bringen wie ein appbasiertes Campusmanagement, das gemeinsam mit einem Kunden entwickelt wurde. Lisa Hannusch hat die Gründerszene im Blick, bringt gemeinsam mit jungen Unternehmen Pilotprojekte an den Start. Und so bewahrheitet sich, was sie vor Studienbeginn bei einer Informationsveranstaltung über die Fachrichtung Physik hörte: „Damit kannst du alles machen.“

Text: Christian Bracht
Foto: © Maria Sturm
Datum: März 2024